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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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Lothar! was soll ich so weitläuftig Einzelnes
hererzählen, da noch so vieles zu sagen übrig
bleibt? Genug! -- ich war bei der Lauscherei
entdeckt, und von Coppelius gemißhandelt wor¬
den. Angst und Schrecken hatten mir ein hitziges
Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen
krank lag. "Ist der Sandmann noch da?" --
Das war mein erstes gesundes Wort und das
Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. --
Nur noch den schrecklichsten Moment meiner Ju¬
gendjahre darf ich dir erzählen; dann wirst du
überzeugt seyn, daß es nicht meiner Augen Blö¬
digkeit ist, wenn mir nun alles farblos erscheint,
sondern, daß ein dunkles Verhängniß wirklich
einen trüben Wolkenschleier über mein Leben ge¬
hängt hat, den ich vielleicht nur sterbend zer¬
reisse. --

Coppelius ließ sich nicht mehr sehen, es
hieß, er habe die Stadt verlassen.

Ein Jahr mochte vergangen seyn, als wir der
alten unveränderten Sitte gemäß Abends an dem
runden Tische saßen. Der Vater war sehr heiter

und

Lothar! was ſoll ich ſo weitlaͤuftig Einzelnes
hererzaͤhlen, da noch ſo vieles zu ſagen uͤbrig
bleibt? Genug! — ich war bei der Lauſcherei
entdeckt, und von Coppelius gemißhandelt wor¬
den. Angſt und Schrecken hatten mir ein hitziges
Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen
krank lag. „Iſt der Sandmann noch da?“ —
Das war mein erſtes geſundes Wort und das
Zeichen meiner Geneſung, meiner Rettung. —
Nur noch den ſchrecklichſten Moment meiner Ju¬
gendjahre darf ich dir erzaͤhlen; dann wirſt du
uͤberzeugt ſeyn, daß es nicht meiner Augen Bloͤ¬
digkeit iſt, wenn mir nun alles farblos erſcheint,
ſondern, daß ein dunkles Verhaͤngniß wirklich
einen truͤben Wolkenſchleier uͤber mein Leben ge¬
haͤngt hat, den ich vielleicht nur ſterbend zer¬
reiſſe. —

Coppelius ließ ſich nicht mehr ſehen, es
hieß, er habe die Stadt verlaſſen.

Ein Jahr mochte vergangen ſeyn, als wir der
alten unveraͤnderten Sitte gemaͤß Abends an dem
runden Tiſche ſaßen. Der Vater war ſehr heiter

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[16/0024] Lothar! was ſoll ich ſo weitlaͤuftig Einzelnes hererzaͤhlen, da noch ſo vieles zu ſagen uͤbrig bleibt? Genug! — ich war bei der Lauſcherei entdeckt, und von Coppelius gemißhandelt wor¬ den. Angſt und Schrecken hatten mir ein hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag. „Iſt der Sandmann noch da?“ — Das war mein erſtes geſundes Wort und das Zeichen meiner Geneſung, meiner Rettung. — Nur noch den ſchrecklichſten Moment meiner Ju¬ gendjahre darf ich dir erzaͤhlen; dann wirſt du uͤberzeugt ſeyn, daß es nicht meiner Augen Bloͤ¬ digkeit iſt, wenn mir nun alles farblos erſcheint, ſondern, daß ein dunkles Verhaͤngniß wirklich einen truͤben Wolkenſchleier uͤber mein Leben ge¬ haͤngt hat, den ich vielleicht nur ſterbend zer¬ reiſſe. — Coppelius ließ ſich nicht mehr ſehen, es hieß, er habe die Stadt verlaſſen. Ein Jahr mochte vergangen ſeyn, als wir der alten unveraͤnderten Sitte gemaͤß Abends an dem runden Tiſche ſaßen. Der Vater war ſehr heiter und

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/24>, abgerufen am 20.04.2024.