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Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

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gegeben und an welchem der edelste urälteste Rhein¬
wein kredenzt worden, als gelt' es ein Krönungsmahl.
Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachge¬
rühmt wird, ist, daß er zu jenem Tauffeste ein Paar Leute
geladen, die in feindseliger Gesinnung ihm gar öfters
wehe gethan hatten, dann aber andere, denen er
weh gethan zu haben glaubte, so daß der Schmaus
ein wirkliches Friedens- und Versöhnungsfest wurde.

Ach! -- der gute Herr Tyß wußte, ahnte nicht,
daß dasselbe Knäblein, dessen Geburt ihn so erfreute,
ihm so bald Kummer und Noth verursachen würde.

Schon in der frühsten Zeit zeigte der Knabe Pe¬
regrinus eine ganz besondere Gemüthsart. Denn nach¬
dem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht un¬
unterbrochen geschrieen, ohne daß irgend ein körperli¬
ches Uebel zu entdecken, wurde er plötzlich still, und
erstarrte zur regungslosen Unempfindlichkeit. Nicht
des mindesten Eindrucks schien er fähig, nicht zum Lä¬
cheln, nicht zum Weinen verzog sich das kleine Antlitz,
das einer leblosen Puppe anzugehören schien. Die
Mutter behauptete, daß sie sich versehen an dem al¬
ten Buchhalter, der schon seit zwanzig Jahren stumm
und starr mit demselben leblosen Gesicht im Comtoir
vor dem Hauptbuch säße, und vergoß viele heiße Thrä¬
nen über das kleine Automat.

gegeben und an welchem der edelſte urälteſte Rhein¬
wein kredenzt worden, als gelt' es ein Krönungsmahl.
Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachge¬
rühmt wird, iſt, daß er zu jenem Tauffeſte ein Paar Leute
geladen, die in feindſeliger Geſinnung ihm gar öfters
wehe gethan hatten, dann aber andere, denen er
weh gethan zu haben glaubte, ſo daß der Schmaus
ein wirkliches Friedens- und Verſöhnungsfeſt wurde.

Ach! — der gute Herr Tyß wußte, ahnte nicht,
daß daſſelbe Knäblein, deſſen Geburt ihn ſo erfreute,
ihm ſo bald Kummer und Noth verurſachen würde.

Schon in der frühſten Zeit zeigte der Knabe Pe¬
regrinus eine ganz beſondere Gemüthsart. Denn nach¬
dem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht un¬
unterbrochen geſchrieen, ohne daß irgend ein körperli¬
ches Uebel zu entdecken, wurde er plötzlich ſtill, und
erſtarrte zur regungsloſen Unempfindlichkeit. Nicht
des mindeſten Eindrucks ſchien er fähig, nicht zum Lä¬
cheln, nicht zum Weinen verzog ſich das kleine Antlitz,
das einer lebloſen Puppe anzugehören ſchien. Die
Mutter behauptete, daß ſie ſich verſehen an dem al¬
ten Buchhalter, der ſchon ſeit zwanzig Jahren ſtumm
und ſtarr mit demſelben lebloſen Geſicht im Comtoir
vor dem Hauptbuch ſäße, und vergoß viele heiße Thrä¬
nen über das kleine Automat.

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[13/0018] gegeben und an welchem der edelſte urälteſte Rhein¬ wein kredenzt worden, als gelt' es ein Krönungsmahl. Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachge¬ rühmt wird, iſt, daß er zu jenem Tauffeſte ein Paar Leute geladen, die in feindſeliger Geſinnung ihm gar öfters wehe gethan hatten, dann aber andere, denen er weh gethan zu haben glaubte, ſo daß der Schmaus ein wirkliches Friedens- und Verſöhnungsfeſt wurde. Ach! — der gute Herr Tyß wußte, ahnte nicht, daß daſſelbe Knäblein, deſſen Geburt ihn ſo erfreute, ihm ſo bald Kummer und Noth verurſachen würde. Schon in der frühſten Zeit zeigte der Knabe Pe¬ regrinus eine ganz beſondere Gemüthsart. Denn nach¬ dem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht un¬ unterbrochen geſchrieen, ohne daß irgend ein körperli¬ ches Uebel zu entdecken, wurde er plötzlich ſtill, und erſtarrte zur regungsloſen Unempfindlichkeit. Nicht des mindeſten Eindrucks ſchien er fähig, nicht zum Lä¬ cheln, nicht zum Weinen verzog ſich das kleine Antlitz, das einer lebloſen Puppe anzugehören ſchien. Die Mutter behauptete, daß ſie ſich verſehen an dem al¬ ten Buchhalter, der ſchon ſeit zwanzig Jahren ſtumm und ſtarr mit demſelben lebloſen Geſicht im Comtoir vor dem Hauptbuch ſäße, und vergoß viele heiße Thrä¬ nen über das kleine Automat.

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/18>, abgerufen am 21.11.2024.