der Capelle, vor mir stand der Prior, ein hoher ehrwürdiger Greis. Er schaute mich an mit unbeschreiblich mildem Ernst, er faßte meine Hände, und es war, als halte ein Heiliger, von himmlischem Mitleid erfüllt, den Verlornen in den Lüften über dem Flammenpfuhl fest, in dem er hinabstürzen wollte. "Du bist krank, mein Bruder! sprach der Prior, wir wollen Dich in das Kloster bringen, da magst Du Dich erholen." Ich küßte seine Hände, sein Kleid, ich konnte nicht sprechen, nur tiefe angstvolle Seufzer verriethen den fürchterlichen, zerrissenen Zu¬ stand meiner Seele. -- Man führte mich in das Refektorium, auf einen Wink des Priors entfernten sich die Mönche, ich blieb mit ihm allein. "Du scheinst, mein Bruder! fing er an: von schwerer Sünde belastet, denn nur die tiefste, trostloseste Reue über eine entsetzliche That kann sich so gebehrden. Doch groß ist die Langmuth des Herrn, stark und kräftig ist die Fürsprache der Heiligen, faße
der Capelle, vor mir ſtand der Prior, ein hoher ehrwuͤrdiger Greis. Er ſchaute mich an mit unbeſchreiblich mildem Ernſt, er faßte meine Haͤnde, und es war, als halte ein Heiliger, von himmliſchem Mitleid erfuͤllt, den Verlornen in den Luͤften uͤber dem Flammenpfuhl feſt, in dem er hinabſtuͤrzen wollte. „Du biſt krank, mein Bruder! ſprach der Prior, wir wollen Dich in das Kloſter bringen, da magſt Du Dich erholen.“ Ich kuͤßte ſeine Haͤnde, ſein Kleid, ich konnte nicht ſprechen, nur tiefe angſtvolle Seufzer verriethen den fuͤrchterlichen, zerriſſenen Zu¬ ſtand meiner Seele. — Man fuͤhrte mich in das Refektorium, auf einen Wink des Priors entfernten ſich die Moͤnche, ich blieb mit ihm allein. „Du ſcheinſt, mein Bruder! fing er an: von ſchwerer Suͤnde belaſtet, denn nur die tiefſte, troſtloſeſte Reue uͤber eine entſetzliche That kann ſich ſo gebehrden. Doch groß iſt die Langmuth des Herrn, ſtark und kraͤftig iſt die Fuͤrſprache der Heiligen, faße
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der Capelle, vor mir ſtand der Prior, ein
hoher ehrwuͤrdiger Greis. Er ſchaute mich
an mit unbeſchreiblich mildem Ernſt, er
faßte meine Haͤnde, und es war, als halte
ein Heiliger, von himmliſchem Mitleid erfuͤllt,
den Verlornen in den Luͤften uͤber dem
Flammenpfuhl feſt, in dem er hinabſtuͤrzen
wollte. „Du biſt krank, mein Bruder! ſprach
der Prior, wir wollen Dich in das Kloſter
bringen, da magſt Du Dich erholen.“ Ich
kuͤßte ſeine Haͤnde, ſein Kleid, ich konnte
nicht ſprechen, nur tiefe angſtvolle Seufzer
verriethen den fuͤrchterlichen, zerriſſenen Zu¬
ſtand meiner Seele. — Man fuͤhrte mich in
das Refektorium, auf einen Wink des Priors
entfernten ſich die Moͤnche, ich blieb mit
ihm allein. „Du ſcheinſt, mein Bruder!
fing er an: von ſchwerer Suͤnde belaſtet,
denn nur die tiefſte, troſtloſeſte Reue uͤber
eine entſetzliche That kann ſich ſo gebehrden.
Doch groß iſt die Langmuth des Herrn, ſtark
und kraͤftig iſt die Fuͤrſprache der Heiligen, faße
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[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/195>, abgerufen am 29.11.2024.
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