Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich sahe sie an und Thränen stürzten mir aus brennendem Auge.

So lebe denn wohl, Diotima! rief ich, Himmel meiner Liebe, lebe wohl! - Lasset uns stark seyn, theure Freunde! theure Mutter! ich gab dir Freude und Laid. Lebt wohl! lebt wohl!

Ich wankte fort. Diotima folgte mir allein.

Es war Abend geworden und die Sterne giengen herauf am Himmel. Wir standen still unter dem Hause. Ewiges war in uns, über uns. Zart, wie der Aether, umwand mich Diotima. Thörichter, was ist denn Trennung? flüsterte sie geheimnißvoll mir zu, mit dem Lächeln einer Unsterblichen.

Es ist mir auch jezt anders, sagt' ich, und ich weiß nicht, was von beiden ein Traum ist, mein Leiden oder meine Freudigkeit.

Beides ist, erwiederte sie, und beides ist gut.

Vollendete! rief ich, ich spreche wie du. Am Sternenhimmel wollen wir uns erkennen. Er sei das Zeichen zwischen mir und dir, so lange die Lippen verstummen.

Das sei er! sprach sie mit einem langsamen niegehörten Tone - es war ihr lezter.

Ich sahe sie an und Thränen stürzten mir aus brennendem Auge.

So lebe denn wohl, Diotima! rief ich, Himmel meiner Liebe, lebe wohl! – Lasset uns stark seyn, theure Freunde! theure Mutter! ich gab dir Freude und Laid. Lebt wohl! lebt wohl!

Ich wankte fort. Diotima folgte mir allein.

Es war Abend geworden und die Sterne giengen herauf am Himmel. Wir standen still unter dem Hause. Ewiges war in uns, über uns. Zart, wie der Aether, umwand mich Diotima. Thörichter, was ist denn Trennung? flüsterte sie geheimnißvoll mir zu, mit dem Lächeln einer Unsterblichen.

Es ist mir auch jezt anders, sagt’ ich, und ich weiß nicht, was von beiden ein Traum ist, mein Leiden oder meine Freudigkeit.

Beides ist, erwiederte sie, und beides ist gut.

Vollendete! rief ich, ich spreche wie du. Am Sternenhimmel wollen wir uns erkennen. Er sei das Zeichen zwischen mir und dir, so lange die Lippen verstummen.

Das sei er! sprach sie mit einem langsamen niegehörten Tone – es war ihr lezter.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="chapter" n="2">
          <pb facs="#f0019"/>
          <p>Ich sahe sie an und Thränen stürzten mir aus brennendem Auge.</p><lb/>
          <p>So lebe denn wohl, Diotima! rief ich, Himmel meiner Liebe, lebe wohl! &#x2013; Lasset uns stark seyn, theure Freunde! theure Mutter! ich gab dir Freude und Laid. Lebt wohl! lebt wohl!</p><lb/>
          <p>Ich wankte fort. Diotima folgte mir allein.</p><lb/>
          <p>Es war Abend geworden und die Sterne giengen herauf am Himmel. Wir standen still unter dem Hause. Ewiges war in uns, über uns. Zart, wie der Aether, umwand mich Diotima. Thörichter, was ist denn Trennung? flüsterte sie geheimnißvoll mir zu, mit dem Lächeln einer Unsterblichen.</p><lb/>
          <p>Es ist mir auch jezt anders, sagt&#x2019; ich, und ich weiß nicht, was von beiden ein Traum ist, mein Leiden oder meine Freudigkeit.</p><lb/>
          <p>Beides ist, erwiederte sie, und beides ist gut.</p><lb/>
          <p>Vollendete! rief ich, ich spreche wie du. Am Sternenhimmel wollen wir uns erkennen. Er sei das Zeichen zwischen mir und dir, so lange die Lippen verstummen.</p><lb/>
          <p>Das sei er! sprach sie mit einem langsamen niegehörten Tone &#x2013; es war ihr lezter.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Ich sahe sie an und Thränen stürzten mir aus brennendem Auge. So lebe denn wohl, Diotima! rief ich, Himmel meiner Liebe, lebe wohl! – Lasset uns stark seyn, theure Freunde! theure Mutter! ich gab dir Freude und Laid. Lebt wohl! lebt wohl! Ich wankte fort. Diotima folgte mir allein. Es war Abend geworden und die Sterne giengen herauf am Himmel. Wir standen still unter dem Hause. Ewiges war in uns, über uns. Zart, wie der Aether, umwand mich Diotima. Thörichter, was ist denn Trennung? flüsterte sie geheimnißvoll mir zu, mit dem Lächeln einer Unsterblichen. Es ist mir auch jezt anders, sagt’ ich, und ich weiß nicht, was von beiden ein Traum ist, mein Leiden oder meine Freudigkeit. Beides ist, erwiederte sie, und beides ist gut. Vollendete! rief ich, ich spreche wie du. Am Sternenhimmel wollen wir uns erkennen. Er sei das Zeichen zwischen mir und dir, so lange die Lippen verstummen. Das sei er! sprach sie mit einem langsamen niegehörten Tone – es war ihr lezter.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Arbeitsstelle Zentralbegriffe der »Kunstperiode«, Prof. Dr. Jochen A. Bär, Universität Vechta, Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2019-12-12T13:52:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andre Pietsch, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2019-11-13T13:52:36Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: stillschweigend korrigiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: stillschweigend; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/19
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/19>, abgerufen am 29.03.2024.