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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.

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Heimath der Natur sie auf, aus der sie entwichen! -

Du kennst diß Wort, Hyperion! Du hast es angefangen in mir. Du wirsts vollenden in dir, und dann erst ruhn.

Ich habe genug daran, um freudig, als ein griechisch Mädchen zu sterben.

Die Armen, die nichts kennen, als ihr dürftig Machwerk, die der Noth nur dienen und den Genius verschmähn, und dich nicht ehren, kindlich Leben der Natur! die mögen vor dem Tode sich fürchten. Ihr Joch ist ihre Welt geworden; Besseres, als ihren Knechtsdienst, kennen sie nicht; scheun die Götterfreiheit, die der Tod uns giebt?

Ich aber nicht! ich habe mich des Stükwerks überhoben, das die Menschenhände gemacht, ich hab' es gefühlt, das Leben der Natur, das höher ist, denn alle Gedanken - wenn ich auch zur Pflanze würde, wäre denn der Schade so groß? - Ich werde seyn. Wie sollt' ich mich verlieren aus der Sphäre des Lebens, worinn die ewige Liebe, die allen gemein ist, die Naturen alle zusammenhält? wie sollt ich scheiden aus dem Bunde, der die Wesen alle verknüpft? Der bricht so leicht nicht, wie die losen Bande dieser Zeit. Der ist nicht,

Heimath der Natur sie auf, aus der sie entwichen! –

Du kennst diß Wort, Hyperion! Du hast es angefangen in mir. Du wirsts vollenden in dir, und dann erst ruhn.

Ich habe genug daran, um freudig, als ein griechisch Mädchen zu sterben.

Die Armen, die nichts kennen, als ihr dürftig Machwerk, die der Noth nur dienen und den Genius verschmähn, und dich nicht ehren, kindlich Leben der Natur! die mögen vor dem Tode sich fürchten. Ihr Joch ist ihre Welt geworden; Besseres, als ihren Knechtsdienst, kennen sie nicht; scheun die Götterfreiheit, die der Tod uns giebt?

Ich aber nicht! ich habe mich des Stükwerks überhoben, das die Menschenhände gemacht, ich hab’ es gefühlt, das Leben der Natur, das höher ist, denn alle Gedanken – wenn ich auch zur Pflanze würde, wäre denn der Schade so groß? – Ich werde seyn. Wie sollt’ ich mich verlieren aus der Sphäre des Lebens, worinn die ewige Liebe, die allen gemein ist, die Naturen alle zusammenhält? wie sollt ich scheiden aus dem Bunde, der die Wesen alle verknüpft? Der bricht so leicht nicht, wie die losen Bande dieser Zeit. Der ist nicht,

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[0102] Heimath der Natur sie auf, aus der sie entwichen! – Du kennst diß Wort, Hyperion! Du hast es angefangen in mir. Du wirsts vollenden in dir, und dann erst ruhn. Ich habe genug daran, um freudig, als ein griechisch Mädchen zu sterben. Die Armen, die nichts kennen, als ihr dürftig Machwerk, die der Noth nur dienen und den Genius verschmähn, und dich nicht ehren, kindlich Leben der Natur! die mögen vor dem Tode sich fürchten. Ihr Joch ist ihre Welt geworden; Besseres, als ihren Knechtsdienst, kennen sie nicht; scheun die Götterfreiheit, die der Tod uns giebt? Ich aber nicht! ich habe mich des Stükwerks überhoben, das die Menschenhände gemacht, ich hab’ es gefühlt, das Leben der Natur, das höher ist, denn alle Gedanken – wenn ich auch zur Pflanze würde, wäre denn der Schade so groß? – Ich werde seyn. Wie sollt’ ich mich verlieren aus der Sphäre des Lebens, worinn die ewige Liebe, die allen gemein ist, die Naturen alle zusammenhält? wie sollt ich scheiden aus dem Bunde, der die Wesen alle verknüpft? Der bricht so leicht nicht, wie die losen Bande dieser Zeit. Der ist nicht,

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/102>, abgerufen am 03.05.2024.