Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.bett sahn, und das Leben des Frühlings und die ewig jugendliche Sonne uns mahnte, dass auch der Mensch einst da war, und nun dahin ist, dass des Menschen herrliche Natur jezt kaum noch da ist, wie das Bruchstük eines Tempels oder im Gedächtniss, wie ein Todtenbild - Da sass ich traurig spielend neben ihm, und pflükte das Moos von eines Halbgotts Piedestal, grub eine marmorne Heldenschulter aus dem Schutt, und schnitt den Dornbusch und das Haidekraut von den halbbegrabnen Architraven, indess mein Adamas die Landschaft zeichnete, wie sie freundlich tröstend den Ruin umgab, den Waizenhügel, die Oliven, die Ziegenheerde; die am Felsen des Gebirgs hieng, den Ulmenwald, der von den Gipfeln in das Thal sich stürzte; und die Lacerte spielte zu unsern Füssen, und die Fliegen umsummten uns in der Stille des Mittags - Lieber Bellarmin! ich hätte Lust, so pünktlich Dir, wie Nestor, zu erzählen; ich ziehe durch die Vergangenheit, wie ein Aehrenleser über die Stoppeläker, wenn der Herr des Lands geerndtet hat; da liest man jeden Strohhalm auf. Und wie ich neben ihm stand auf den Höhen von Delos, wie das ein Tag war, der mir graute, da ich mit ihm an der Granitwand des Cynthus bett sahn, und das Leben des Frühlings und die ewig jugendliche Sonne uns mahnte, dass auch der Mensch einst da war, und nun dahin ist, dass des Menschen herrliche Natur jezt kaum noch da ist, wie das Bruchstük eines Tempels oder im Gedächtniss, wie ein Todtenbild – Da sass ich traurig spielend neben ihm, und pflükte das Moos von eines Halbgotts Piedestal, grub eine marmorne Heldenschulter aus dem Schutt, und schnitt den Dornbusch und das Haidekraut von den halbbegrabnen Architraven, indess mein Adamas die Landschaft zeichnete, wie sie freundlich tröstend den Ruin umgab, den Waizenhügel, die Oliven, die Ziegenheerde; die am Felsen des Gebirgs hieng, den Ulmenwald, der von den Gipfeln in das Thal sich stürzte; und die Lacerte spielte zu unsern Füssen, und die Fliegen umsummten uns in der Stille des Mittags – Lieber Bellarmin! ich hätte Lust, so pünktlich Dir, wie Nestor, zu erzählen; ich ziehe durch die Vergangenheit, wie ein Aehrenleser über die Stoppeläker, wenn der Herr des Lands geerndtet hat; da liest man jeden Strohhalm auf. Und wie ich neben ihm stand auf den Höhen von Delos, wie das ein Tag war, der mir graute, da ich mit ihm an der Granitwand des Cynthus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0028"/> bett sahn, und das Leben des Frühlings und die ewig jugendliche Sonne uns mahnte, dass auch der Mensch einst da war, und nun dahin ist, dass des Menschen herrliche Natur jezt kaum noch da ist, wie das Bruchstük eines Tempels oder im Gedächtniss, wie ein Todtenbild – Da sass ich traurig spielend neben ihm, und pflükte das Moos von eines Halbgotts Piedestal, grub eine marmorne Heldenschulter aus dem Schutt, und schnitt den Dornbusch und das Haidekraut von den halbbegrabnen Architraven, indess mein Adamas die Landschaft zeichnete, wie sie freundlich tröstend den Ruin umgab, den Waizenhügel, die Oliven, die Ziegenheerde; die am Felsen des Gebirgs hieng, den Ulmenwald, der von den Gipfeln in das Thal sich stürzte; und die Lacerte spielte zu unsern Füssen, und die Fliegen umsummten uns in der Stille des Mittags – Lieber <hi rendition="#g">Bellarmin!</hi> ich hätte Lust, so pünktlich Dir, wie Nestor, zu erzählen; ich ziehe durch die Vergangenheit, wie ein Aehrenleser über die Stoppeläker, wenn der Herr des Lands geerndtet hat; da liest man jeden Strohhalm auf. Und wie ich neben ihm stand auf den Höhen von Delos, wie das ein Tag war, der mir graute, da ich mit ihm an der Granitwand des Cynthus </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
bett sahn, und das Leben des Frühlings und die ewig jugendliche Sonne uns mahnte, dass auch der Mensch einst da war, und nun dahin ist, dass des Menschen herrliche Natur jezt kaum noch da ist, wie das Bruchstük eines Tempels oder im Gedächtniss, wie ein Todtenbild – Da sass ich traurig spielend neben ihm, und pflükte das Moos von eines Halbgotts Piedestal, grub eine marmorne Heldenschulter aus dem Schutt, und schnitt den Dornbusch und das Haidekraut von den halbbegrabnen Architraven, indess mein Adamas die Landschaft zeichnete, wie sie freundlich tröstend den Ruin umgab, den Waizenhügel, die Oliven, die Ziegenheerde; die am Felsen des Gebirgs hieng, den Ulmenwald, der von den Gipfeln in das Thal sich stürzte; und die Lacerte spielte zu unsern Füssen, und die Fliegen umsummten uns in der Stille des Mittags – Lieber Bellarmin! ich hätte Lust, so pünktlich Dir, wie Nestor, zu erzählen; ich ziehe durch die Vergangenheit, wie ein Aehrenleser über die Stoppeläker, wenn der Herr des Lands geerndtet hat; da liest man jeden Strohhalm auf. Und wie ich neben ihm stand auf den Höhen von Delos, wie das ein Tag war, der mir graute, da ich mit ihm an der Granitwand des Cynthus
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/28>, abgerufen am 16.02.2025. |