Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will zart behandelt seyn, und thut auch recht daran. Gut! unterbrach mich einer, das begreif ich, aber, wie diess dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch Volk seyn soll, das seh' ich nicht. Sie wären sogar, sagt' ich, ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen! Was hat die Philosophie, erwiedert' er, was hat die kalte Erhabenheit dieser Wissenschaft mit Dichtung zu thun? Die Dichtung, sagt' ich, meiner Sache gewiss, ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft. Wie Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen göttlichen Seyns. Und so läuft am End' auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnissvollen Quelle der Dichtung zusammen. Das ist ein paradoxer Mensch, rief Diotima, jedoch ich ahn' ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist die Rede. Der Mensch, begann ich wieder, der nicht wenigstens im Leben Einmal volle lautre Schönheit in sich fühlte, wenn in ihm die Kräfte seines Wesens, wie die Farben am Irisbogen, in einander spielten, der nie erfuhr, wie nur in ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will zart behandelt seyn, und thut auch recht daran. Gut! unterbrach mich einer, das begreif ich, aber, wie diess dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch Volk seyn soll, das seh’ ich nicht. Sie wären sogar, sagt’ ich, ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen! Was hat die Philosophie, erwiedert’ er, was hat die kalte Erhabenheit dieser Wissenschaft mit Dichtung zu thun? Die Dichtung, sagt’ ich, meiner Sache gewiss, ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft. Wie Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen göttlichen Seyns. Und so läuft am End’ auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnissvollen Quelle der Dichtung zusammen. Das ist ein paradoxer Mensch, rief Diotima, jedoch ich ahn’ ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist die Rede. Der Mensch, begann ich wieder, der nicht wenigstens im Leben Einmal volle lautre Schönheit in sich fühlte, wenn in ihm die Kräfte seines Wesens, wie die Farben am Irisbogen, in einander spielten, der nie erfuhr, wie nur in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0150"/> ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will zart behandelt seyn, und thut auch recht daran.</p><lb/> <p>Gut! unterbrach mich einer, das begreif ich, aber, wie diess dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch Volk seyn soll, das seh’ ich nicht.</p><lb/> <p>Sie wären sogar, sagt’ ich, ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen!</p><lb/> <p>Was hat die Philosophie, erwiedert’ er, was hat die kalte Erhabenheit dieser Wissenschaft mit Dichtung zu thun?</p><lb/> <p>Die Dichtung, sagt’ ich, meiner Sache gewiss, ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft. Wie Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen göttlichen Seyns. Und so läuft am End’ auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnissvollen Quelle der Dichtung zusammen.</p><lb/> <p>Das ist ein paradoxer Mensch, rief Diotima, jedoch ich ahn’ ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist die Rede.</p><lb/> <p>Der Mensch, begann ich wieder, der nicht wenigstens im Leben Einmal volle lautre Schönheit in sich fühlte, wenn in ihm die Kräfte seines Wesens, wie die Farben am Irisbogen, in einander spielten, der nie erfuhr, wie nur in </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will zart behandelt seyn, und thut auch recht daran.
Gut! unterbrach mich einer, das begreif ich, aber, wie diess dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch Volk seyn soll, das seh’ ich nicht.
Sie wären sogar, sagt’ ich, ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen!
Was hat die Philosophie, erwiedert’ er, was hat die kalte Erhabenheit dieser Wissenschaft mit Dichtung zu thun?
Die Dichtung, sagt’ ich, meiner Sache gewiss, ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft. Wie Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen göttlichen Seyns. Und so läuft am End’ auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnissvollen Quelle der Dichtung zusammen.
Das ist ein paradoxer Mensch, rief Diotima, jedoch ich ahn’ ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist die Rede.
Der Mensch, begann ich wieder, der nicht wenigstens im Leben Einmal volle lautre Schönheit in sich fühlte, wenn in ihm die Kräfte seines Wesens, wie die Farben am Irisbogen, in einander spielten, der nie erfuhr, wie nur in
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/150>, abgerufen am 16.07.2024. |