Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.samen Tage spielt' um ihre Freuden, lieblich, wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee, wenn er erröthet und glüht im freudigen Abendglanze. Engel des Himmels! rief ich, wer kann Dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz Dich begriffen? Wunderst Du dich, erwiederte sie, dass ich so sehr Dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich denn auch von denen, die nicht glauben können an Dich, hab' ich denn nicht Dich ergründet, hab' ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle Dich nur und siehe Dich selbst nicht; ich will Dich hervorbeschwören, ich will - Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat die Hülse durchbrochen und steht, wie ein Frühling, da; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist der finstre Hyperion nicht, das ist die wilde Trauer nicht mehr - o mein, mein herrlicher Junge! Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt' ich glauben an diess Wunder der Liebe? konnt' ich? mich hätte die Freude getödtet. I. Bd. I
samen Tage spielt’ um ihre Freuden, lieblich, wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee, wenn er erröthet und glüht im freudigen Abendglanze. Engel des Himmels! rief ich, wer kann Dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz Dich begriffen? Wunderst Du dich, erwiederte sie, dass ich so sehr Dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich denn auch von denen, die nicht glauben können an Dich, hab’ ich denn nicht Dich ergründet, hab’ ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle Dich nur und siehe Dich selbst nicht; ich will Dich hervorbeschwören, ich will – Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat die Hülse durchbrochen und steht, wie ein Frühling, da; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist der finstre Hyperion nicht, das ist die wilde Trauer nicht mehr – o mein, mein herrlicher Junge! Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt’ ich glauben an diess Wunder der Liebe? konnt’ ich? mich hätte die Freude getödtet. I. Bd. I
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samen Tage spielt’ um ihre Freuden, lieblich, wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee, wenn er erröthet und glüht im freudigen Abendglanze.
Engel des Himmels! rief ich, wer kann Dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz Dich begriffen?
Wunderst Du dich, erwiederte sie, dass ich so sehr Dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich denn auch von denen, die nicht glauben können an Dich, hab’ ich denn nicht Dich ergründet, hab’ ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle Dich nur und siehe Dich selbst nicht; ich will Dich hervorbeschwören, ich will –
Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat die Hülse durchbrochen und steht, wie ein Frühling, da; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist der finstre Hyperion nicht, das ist die wilde Trauer nicht mehr – o mein, mein herrlicher Junge!
Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt’ ich glauben an diess Wunder der Liebe? konnt’ ich? mich hätte die Freude getödtet.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/135>, abgerufen am 16.07.2024. |