Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenbliken, dieser tödtenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blizen! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblichers, wie meine Freuden, dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres, wie meine Freuden.

Aber nur Dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie die Deine ist, erzähl' ich's. So freigebig, wie die Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht seyn; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen.

Ich kannte, seit dem lezten Seelengespräche, mit jedem Tage mich weniger. Ich fühlt', es war ein heilig Geheimniss zwischen mir und Diotima.

Ich staunte, träumte. Als wär' um Mitternacht ein seeliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit ihm umzugehn, so war es mir in der Seele.

O es ist ein seltsames Gemische von Seeligkeit und Schwermuth, wenn es so sich offenbart, dass wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Daseyn.

O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenbliken, dieser tödtenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blizen! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblichers, wie meine Freuden, dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres, wie meine Freuden.

Aber nur Dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie die Deine ist, erzähl’ ich’s. So freigebig, wie die Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht seyn; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen.

Ich kannte, seit dem lezten Seelengespräche, mit jedem Tage mich weniger. Ich fühlt’, es war ein heilig Geheimniss zwischen mir und Diotima.

Ich staunte, träumte. Als wär’ um Mitternacht ein seeliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit ihm umzugehn, so war es mir in der Seele.

O es ist ein seltsames Gemische von Seeligkeit und Schwermuth, wenn es so sich offenbart, dass wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Daseyn.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="chapter" n="2">
          <pb facs="#f0129"/>
          <p>O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenbliken, dieser tödtenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blizen! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblichers, wie meine Freuden, dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres, wie meine Freuden.</p><lb/>
          <p>Aber nur Dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie die Deine ist, erzähl&#x2019; ich&#x2019;s. So freigebig, wie die Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht seyn; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen.</p><lb/>
          <p>Ich kannte, seit dem lezten Seelengespräche, mit jedem Tage mich weniger. Ich fühlt&#x2019;, es war ein heilig Geheimniss zwischen mir und Diotima.</p><lb/>
          <p>Ich staunte, träumte. Als wär&#x2019; um Mitternacht ein seeliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit ihm umzugehn, so war es mir in der Seele.</p><lb/>
          <p>O es ist ein seltsames Gemische von Seeligkeit und Schwermuth, wenn es so sich offenbart, dass wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Daseyn.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenbliken, dieser tödtenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blizen! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblichers, wie meine Freuden, dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres, wie meine Freuden. Aber nur Dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie die Deine ist, erzähl’ ich’s. So freigebig, wie die Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht seyn; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen. Ich kannte, seit dem lezten Seelengespräche, mit jedem Tage mich weniger. Ich fühlt’, es war ein heilig Geheimniss zwischen mir und Diotima. Ich staunte, träumte. Als wär’ um Mitternacht ein seeliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit ihm umzugehn, so war es mir in der Seele. O es ist ein seltsames Gemische von Seeligkeit und Schwermuth, wenn es so sich offenbart, dass wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Daseyn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Arbeitsstelle Zentralbegriffe der »Kunstperiode«, Prof. Dr. Jochen A. Bär, Universität Vechta, Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2019-12-12T13:56:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andre Pietsch, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2019-11-13T13:56:08Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: stillschweigend korrigiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: stillschweigend; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/129
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/129>, abgerufen am 03.05.2024.