Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.Hyperion an Bellarmin. Eh' es eines von uns beeden wusste, gehörten wir uns an. Wenn ich so, mit allen Huldigungen des Herzens, seelig überwunden, vor ihr stand, und schwieg, und all' mein Leben sich hingab in den Stralen des Augs, das sie nur sah, nur sie umfasste, und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete, und nicht wusste, wo ich war mit meinen Gedanken, wenn ich oft, begraben in Lust und Schönheit, bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte, und um die leiseste Bewegung, wie die Biene um die schwanken Zweige, meine Seele schweift' und flog, und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandt', und, überrascht von meiner Freude, meine Freude sich verbergen musst, und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht und fand - Wenn sie, wunderbar allwissend, jeden Wohlklang, jeden Mislaut in der Tiefe meines Wesens, im Momente, da er begann, noch eh' ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirne, jeden Schatten einer Wehmuth, eines Stolzes auf der Lippe, jeden Funken mir im Auge Hyperion an Bellarmin. Eh’ es eines von uns beeden wusste, gehörten wir uns an. Wenn ich so, mit allen Huldigungen des Herzens, seelig überwunden, vor ihr stand, und schwieg, und all’ mein Leben sich hingab in den Stralen des Augs, das sie nur sah, nur sie umfasste, und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete, und nicht wusste, wo ich war mit meinen Gedanken, wenn ich oft, begraben in Lust und Schönheit, bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte, und um die leiseste Bewegung, wie die Biene um die schwanken Zweige, meine Seele schweift’ und flog, und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandt’, und, überrascht von meiner Freude, meine Freude sich verbergen musst, und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht und fand – Wenn sie, wunderbar allwissend, jeden Wohlklang, jeden Mislaut in der Tiefe meines Wesens, im Momente, da er begann, noch eh’ ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirne, jeden Schatten einer Wehmuth, eines Stolzes auf der Lippe, jeden Funken mir im Auge <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0115"/> <div type="chapter" n="2"> <head><hi rendition="#g #k">Hyperion</hi> an <hi rendition="#g #k">Bellarmin</hi>.</head><lb/> <p>Eh’ es eines von uns beeden wusste, gehörten wir uns an.</p><lb/> <p>Wenn ich so, mit allen Huldigungen des Herzens, seelig überwunden, vor ihr stand, und schwieg, und all’ mein Leben sich hingab in den Stralen des Augs, das sie nur sah, nur sie umfasste, und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete, und nicht wusste, wo ich war mit meinen Gedanken, wenn ich oft, begraben in Lust und Schönheit, bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte, und um die leiseste Bewegung, wie die Biene um die schwanken Zweige, meine Seele schweift’ und flog, und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandt’, und, überrascht von meiner Freude, meine Freude sich verbergen musst, und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht und fand –</p><lb/> <p>Wenn sie, wunderbar allwissend, jeden Wohlklang, jeden Mislaut in der Tiefe meines Wesens, im Momente, da er begann, noch eh’ ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirne, jeden Schatten einer Wehmuth, eines Stolzes auf der Lippe, jeden Funken mir im Auge </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Hyperion an Bellarmin.
Eh’ es eines von uns beeden wusste, gehörten wir uns an.
Wenn ich so, mit allen Huldigungen des Herzens, seelig überwunden, vor ihr stand, und schwieg, und all’ mein Leben sich hingab in den Stralen des Augs, das sie nur sah, nur sie umfasste, und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete, und nicht wusste, wo ich war mit meinen Gedanken, wenn ich oft, begraben in Lust und Schönheit, bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte, und um die leiseste Bewegung, wie die Biene um die schwanken Zweige, meine Seele schweift’ und flog, und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandt’, und, überrascht von meiner Freude, meine Freude sich verbergen musst, und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht und fand –
Wenn sie, wunderbar allwissend, jeden Wohlklang, jeden Mislaut in der Tiefe meines Wesens, im Momente, da er begann, noch eh’ ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirne, jeden Schatten einer Wehmuth, eines Stolzes auf der Lippe, jeden Funken mir im Auge
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