Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Heidelberg. Lange lieb' ich Dich schon, möchte Dich, mir zur Lust, Mutter nennen und Dir schenken ein kunstlos Lied, Du, der Vaterlandsstädte Ländlich schönste, so viel ich sah. Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt, Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei Dir glänzt, Leicht und kräftig die Brücke, Die von Wagen und Menschen tönt. Wie von Göttern gesandt, fesselt' ein Zauber einst, Auf die Brücke mich an, da ich vorüber gieng, Und herein in die Berge Mir die reizende Ferne schien. Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog, Traurig froh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön, Liebend unterzugehen, In die Fluten der Zeit sich wirft. Heidelberg. Lange lieb' ich Dich ſchon, moͤchte Dich, mir zur Luſt, Mutter nennen und Dir ſchenken ein kunſtlos Lied, Du, der Vaterlandsſtaͤdte Laͤndlich ſchoͤnſte, ſo viel ich ſah. Wie der Vogel des Walds uͤber die Gipfel fliegt, Schwingt ſich uͤber den Strom, wo er vorbei Dir glaͤnzt, Leicht und kraͤftig die Bruͤcke, Die von Wagen und Menſchen toͤnt. Wie von Goͤttern geſandt, feſſelt' ein Zauber einſt, Auf die Bruͤcke mich an, da ich voruͤber gieng, Und herein in die Berge Mir die reizende Ferne ſchien. Und der Juͤngling, der Strom, fort in die Ebne zog, Traurig froh, wie das Herz, wenn es, ſich ſelbſt zu ſchoͤn, Liebend unterzugehen, In die Fluten der Zeit ſich wirft. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0072" n="64"/> <div n="1"> <head><hi rendition="#g">Heidelberg</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Lange lieb' ich Dich ſchon, moͤchte Dich, mir zur Luſt,</l><lb/> <l>Mutter nennen und Dir ſchenken ein kunſtlos Lied,</l><lb/> <l>Du, der Vaterlandsſtaͤdte</l><lb/> <l>Laͤndlich ſchoͤnſte, ſo viel ich ſah.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wie der Vogel des Walds uͤber die Gipfel fliegt,</l><lb/> <l>Schwingt ſich uͤber den Strom, wo er vorbei Dir</l><lb/> <l>glaͤnzt,</l><lb/> <l>Leicht und kraͤftig die Bruͤcke,</l><lb/> <l>Die von Wagen und Menſchen toͤnt.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wie von Goͤttern geſandt, feſſelt' ein Zauber einſt,</l><lb/> <l>Auf die Bruͤcke mich an, da ich voruͤber gieng,</l><lb/> <l>Und herein in die Berge</l><lb/> <l>Mir die reizende Ferne ſchien.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Und der Juͤngling, der Strom, fort in die Ebne zog,</l><lb/> <l>Traurig froh, wie das Herz, wenn es, ſich ſelbſt</l><lb/> <l>zu ſchoͤn,</l><lb/> <l>Liebend unterzugehen,</l><lb/> <l>In die Fluten der Zeit ſich wirft.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [64/0072]
Heidelberg.
Lange lieb' ich Dich ſchon, moͤchte Dich, mir zur Luſt,
Mutter nennen und Dir ſchenken ein kunſtlos Lied,
Du, der Vaterlandsſtaͤdte
Laͤndlich ſchoͤnſte, ſo viel ich ſah.
Wie der Vogel des Walds uͤber die Gipfel fliegt,
Schwingt ſich uͤber den Strom, wo er vorbei Dir
glaͤnzt,
Leicht und kraͤftig die Bruͤcke,
Die von Wagen und Menſchen toͤnt.
Wie von Goͤttern geſandt, feſſelt' ein Zauber einſt,
Auf die Bruͤcke mich an, da ich voruͤber gieng,
Und herein in die Berge
Mir die reizende Ferne ſchien.
Und der Juͤngling, der Strom, fort in die Ebne zog,
Traurig froh, wie das Herz, wenn es, ſich ſelbſt
zu ſchoͤn,
Liebend unterzugehen,
In die Fluten der Zeit ſich wirft.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/72>, abgerufen am 16.02.2025. |