Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

Götterbotin! weiltest Du
Nun in gütigem Genügen
Bei dem Sänger immerzu!

Sommerglut und Frühlingsmilde,
Streit und Friede wechselt hier
Vor dem stillen Götterbilde
Wunderbar im Busen mir;
Zürnend unter Huldigungen,
Hab ich oft beschämt, besiegt;
Sie zu fassen, schon gerungen,
Die mein Kühnstes überfliegt;
Unzufrieden im Gewinne,
Hab' ich stolz darob geweint,
Daß zu herrlich meinem Sinne
Und zu mächtig sie erscheint.
Ach! und deine stille Schöne,
Heilig holdes Angesicht!
Herz! an deine Himmelstöne
Ist gewöhnt das meine nicht;
Aber deine Melodieen
Heitern mählig mir den Sinn,
Daß die trüben Träume fliehen,
Und ich selbst ein Andrer bin;
Bin ich dazu denn erkoren?
Ich zu deiner hohen Ruh'?

Goͤtterbotin! weilteſt Du
Nun in guͤtigem Genuͤgen
Bei dem Saͤnger immerzu!

Sommerglut und Fruͤhlingsmilde,
Streit und Friede wechſelt hier
Vor dem ſtillen Goͤtterbilde
Wunderbar im Buſen mir;
Zuͤrnend unter Huldigungen,
Hab ich oft beſchaͤmt, beſiegt;
Sie zu faſſen, ſchon gerungen,
Die mein Kuͤhnſtes uͤberfliegt;
Unzufrieden im Gewinne,
Hab' ich ſtolz darob geweint,
Daß zu herrlich meinem Sinne
Und zu maͤchtig ſie erſcheint.
Ach! und deine ſtille Schoͤne,
Heilig holdes Angeſicht!
Herz! an deine Himmelstoͤne
Iſt gewoͤhnt das meine nicht;
Aber deine Melodieen
Heitern maͤhlig mir den Sinn,
Daß die truͤben Traͤume fliehen,
Und ich ſelbſt ein Andrer bin;
Bin ich dazu denn erkoren?
Ich zu deiner hohen Ruh'?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="4">
            <pb facs="#f0029" n="21"/>
            <l>Go&#x0364;tterbotin! weilte&#x017F;t Du</l><lb/>
            <l>Nun in gu&#x0364;tigem Genu&#x0364;gen</l><lb/>
            <l>Bei dem Sa&#x0364;nger immerzu!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="5">
            <l>Sommerglut und Fru&#x0364;hlingsmilde,</l><lb/>
            <l>Streit und Friede wech&#x017F;elt hier</l><lb/>
            <l>Vor dem &#x017F;tillen Go&#x0364;tterbilde</l><lb/>
            <l>Wunderbar im Bu&#x017F;en mir;</l><lb/>
            <l>Zu&#x0364;rnend unter Huldigungen,</l><lb/>
            <l>Hab ich oft be&#x017F;cha&#x0364;mt, be&#x017F;iegt;</l><lb/>
            <l>Sie zu fa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;chon gerungen,</l><lb/>
            <l>Die mein Ku&#x0364;hn&#x017F;tes u&#x0364;berfliegt;</l><lb/>
            <l>Unzufrieden im Gewinne,</l><lb/>
            <l>Hab' ich &#x017F;tolz darob geweint,</l><lb/>
            <l>Daß zu herrlich meinem Sinne</l><lb/>
            <l>Und zu ma&#x0364;chtig &#x017F;ie er&#x017F;cheint.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="6">
            <l>Ach! und deine &#x017F;tille Scho&#x0364;ne,</l><lb/>
            <l>Heilig holdes Ange&#x017F;icht!</l><lb/>
            <l>Herz! an deine Himmelsto&#x0364;ne</l><lb/>
            <l>I&#x017F;t gewo&#x0364;hnt das meine nicht;</l><lb/>
            <l>Aber deine Melodieen</l><lb/>
            <l>Heitern ma&#x0364;hlig mir den Sinn,</l><lb/>
            <l>Daß die tru&#x0364;ben Tra&#x0364;ume fliehen,</l><lb/>
            <l>Und ich &#x017F;elb&#x017F;t ein Andrer bin;</l><lb/>
            <l>Bin ich dazu denn erkoren?</l><lb/>
            <l>Ich zu deiner hohen Ruh'?</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0029] Goͤtterbotin! weilteſt Du Nun in guͤtigem Genuͤgen Bei dem Saͤnger immerzu! Sommerglut und Fruͤhlingsmilde, Streit und Friede wechſelt hier Vor dem ſtillen Goͤtterbilde Wunderbar im Buſen mir; Zuͤrnend unter Huldigungen, Hab ich oft beſchaͤmt, beſiegt; Sie zu faſſen, ſchon gerungen, Die mein Kuͤhnſtes uͤberfliegt; Unzufrieden im Gewinne, Hab' ich ſtolz darob geweint, Daß zu herrlich meinem Sinne Und zu maͤchtig ſie erſcheint. Ach! und deine ſtille Schoͤne, Heilig holdes Angeſicht! Herz! an deine Himmelstoͤne Iſt gewoͤhnt das meine nicht; Aber deine Melodieen Heitern maͤhlig mir den Sinn, Daß die truͤben Traͤume fliehen, Und ich ſelbſt ein Andrer bin; Bin ich dazu denn erkoren? Ich zu deiner hohen Ruh'?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/29
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/29>, abgerufen am 20.04.2024.