Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in sor-
gender Liebe,
Alternd im Kinde sich nicht wiederzusehn, ist
der Tod.
Aber vielleicht erwarmst du dereinst am Strale des
Himmels,
Aus dem dürftigen Schlaf schmeichelt sein Odem
dich auf;
Und, wie ein Samenkorn, durchbrichst du die
eherne Hülse,
Und die knospende Welt windet sich schüchtern
heraus.
Deine gesparte Kraft flammt auf in üppigem
Frühling,
Rosen glühen und Wein sprudelt im kärglichen
Nord.
Aber jetzt kehr' ich zurück an den Rhein, in die
glückliche Heimath,
Und es wehen, wie einst, zärtliche Lüfte mich an.
Und das strebende Herz besänftigen mir die ver-
trauten
Friedlichen Bäume, die einst mich in den Armen
gewiegt,
Und das heilige Grün, der Zeuge des ewigen,
schönen
Lebens der Welt, es erfrischt, wandelt zum
Jüngling mich um.
Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in ſor-
gender Liebe,
Alternd im Kinde ſich nicht wiederzuſehn, iſt
der Tod.
Aber vielleicht erwarmſt du dereinſt am Strale des
Himmels,
Aus dem duͤrftigen Schlaf ſchmeichelt ſein Odem
dich auf;
Und, wie ein Samenkorn, durchbrichſt du die
eherne Huͤlſe,
Und die knospende Welt windet ſich ſchuͤchtern
heraus.
Deine geſparte Kraft flammt auf in uͤppigem
Fruͤhling,
Roſen gluͤhen und Wein ſprudelt im kaͤrglichen
Nord.
Aber jetzt kehr' ich zuruͤck an den Rhein, in die
gluͤckliche Heimath,
Und es wehen, wie einſt, zaͤrtliche Luͤfte mich an.
Und das ſtrebende Herz beſaͤnftigen mir die ver-
trauten
Friedlichen Baͤume, die einſt mich in den Armen
gewiegt,
Und das heilige Gruͤn, der Zeuge des ewigen,
ſchoͤnen
Lebens der Welt, es erfriſcht, wandelt zum
Juͤngling mich um.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0157" n="149"/>
          <l>Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in &#x017F;or-</l><lb/>
          <l>gender Liebe,</l><lb/>
          <l>Alternd im Kinde &#x017F;ich nicht wiederzu&#x017F;ehn, i&#x017F;t</l><lb/>
          <l>der Tod.</l><lb/>
          <l>Aber vielleicht erwarm&#x017F;t du derein&#x017F;t am Strale des</l><lb/>
          <l>Himmels,</l><lb/>
          <l>Aus dem du&#x0364;rftigen Schlaf &#x017F;chmeichelt &#x017F;ein Odem</l><lb/>
          <l>dich auf;</l><lb/>
          <l>Und, wie ein Samenkorn, durchbrich&#x017F;t du die</l><lb/>
          <l>eherne Hu&#x0364;l&#x017F;e,</l><lb/>
          <l>Und die knospende Welt windet &#x017F;ich &#x017F;chu&#x0364;chtern</l><lb/>
          <l>heraus.</l><lb/>
          <l>Deine ge&#x017F;parte Kraft flammt auf in u&#x0364;ppigem</l><lb/>
          <l>Fru&#x0364;hling,</l><lb/>
          <l>Ro&#x017F;en glu&#x0364;hen und Wein &#x017F;prudelt im ka&#x0364;rglichen</l><lb/>
          <l>Nord.</l><lb/>
          <l>Aber jetzt kehr' ich zuru&#x0364;ck an den Rhein, in die</l><lb/>
          <l>glu&#x0364;ckliche Heimath,</l><lb/>
          <l>Und es wehen, wie ein&#x017F;t, za&#x0364;rtliche Lu&#x0364;fte mich an.</l><lb/>
          <l>Und das &#x017F;trebende Herz be&#x017F;a&#x0364;nftigen mir die ver-</l><lb/>
          <l>trauten</l><lb/>
          <l>Friedlichen Ba&#x0364;ume, die ein&#x017F;t mich in den Armen</l><lb/>
          <l>gewiegt,</l><lb/>
          <l>Und das heilige Gru&#x0364;n, der Zeuge des ewigen,</l><lb/>
          <l>&#x017F;cho&#x0364;nen</l><lb/>
          <l>Lebens der Welt, es erfri&#x017F;cht, wandelt zum</l><lb/>
          <l>Ju&#x0364;ngling mich um.</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0157] Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in ſor- gender Liebe, Alternd im Kinde ſich nicht wiederzuſehn, iſt der Tod. Aber vielleicht erwarmſt du dereinſt am Strale des Himmels, Aus dem duͤrftigen Schlaf ſchmeichelt ſein Odem dich auf; Und, wie ein Samenkorn, durchbrichſt du die eherne Huͤlſe, Und die knospende Welt windet ſich ſchuͤchtern heraus. Deine geſparte Kraft flammt auf in uͤppigem Fruͤhling, Roſen gluͤhen und Wein ſprudelt im kaͤrglichen Nord. Aber jetzt kehr' ich zuruͤck an den Rhein, in die gluͤckliche Heimath, Und es wehen, wie einſt, zaͤrtliche Luͤfte mich an. Und das ſtrebende Herz beſaͤnftigen mir die ver- trauten Friedlichen Baͤume, die einſt mich in den Armen gewiegt, Und das heilige Gruͤn, der Zeuge des ewigen, ſchoͤnen Lebens der Welt, es erfriſcht, wandelt zum Juͤngling mich um.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/157
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/157>, abgerufen am 25.11.2024.