Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Da gieng ich so zurück mit meinen Blumen, Sah auf den Pfad, den abendröthlichen, In meiner Stille nieder, und es schlief Mir sanft im Busen das Vergangene, Ein kindlich Hoffen athmete mir auf; Wie wenn uns zwischen süßem Schlaf und Wachen Die Augen halb geöffnet sind, so war Ich Blinde. Sieh! da stand er vor mir mein Heroe und ich Arme war, wie todt, Und ihm, dem Brüderlichen, überglänzte Das Angesicht, wie einem Gott, die Freude. "Emilie!" -- das war sein frommer Gruß, Ach! alles Sehnen weckte mir und all Das liebe Leiden, so ich eingewiegt, Der goldne Ton des Jünglings wieder auf! Nicht aufsehn durft' ich! keine Sylbe durft' Ich sagen! O, was hätt' ich ihm gesagt! Was mein' ich denn, du Gute? -- laß mich nur! Nun darf ich ja, nun ists so thöricht nimmer, Und schön ist's, wenn der Schmerz mit seiner Schwester Der Wonne sich versöhnt, noch eh' er weggeht. O Wiedersehn! das ist noch mehr, du Liebe! Da gieng ich ſo zuruͤck mit meinen Blumen, Sah auf den Pfad, den abendroͤthlichen, In meiner Stille nieder, und es ſchlief Mir ſanft im Buſen das Vergangene, Ein kindlich Hoffen athmete mir auf; Wie wenn uns zwiſchen ſuͤßem Schlaf und Wachen Die Augen halb geoͤffnet ſind, ſo war Ich Blinde. Sieh! da ſtand er vor mir mein Heroe und ich Arme war, wie todt, Und ihm, dem Bruͤderlichen, uͤberglaͤnzte Das Angeſicht, wie einem Gott, die Freude. „Emilie!“ — das war ſein frommer Gruß, Ach! alles Sehnen weckte mir und all Das liebe Leiden, ſo ich eingewiegt, Der goldne Ton des Juͤnglings wieder auf! Nicht aufſehn durft' ich! keine Sylbe durft' Ich ſagen! O, was haͤtt' ich ihm geſagt! Was mein' ich denn, du Gute? — laß mich nur! Nun darf ich ja, nun iſts ſo thoͤricht nimmer, Und ſchoͤn iſt's, wenn der Schmerz mit ſeiner Schweſter Der Wonne ſich verſoͤhnt, noch eh' er weggeht. O Wiederſehn! das iſt noch mehr, du Liebe! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0111" n="103"/> <lg n="2"> <l>Da gieng ich ſo zuruͤck mit meinen Blumen,</l><lb/> <l>Sah auf den Pfad, den abendroͤthlichen,</l><lb/> <l>In meiner Stille nieder, und es ſchlief</l><lb/> <l>Mir ſanft im Buſen das Vergangene,</l><lb/> <l>Ein kindlich Hoffen athmete mir auf;</l><lb/> <l>Wie wenn uns zwiſchen ſuͤßem Schlaf und Wachen</l><lb/> <l>Die Augen halb geoͤffnet ſind, ſo war</l><lb/> <l>Ich Blinde. Sieh! da ſtand er vor mir mein</l><lb/> <l>Heroe und ich Arme war, wie todt,</l><lb/> <l>Und ihm, dem Bruͤderlichen, uͤberglaͤnzte</l><lb/> <l>Das Angeſicht, wie einem Gott, die Freude.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>„Emilie!“ — das war ſein frommer Gruß,</l><lb/> <l>Ach! alles Sehnen weckte mir und all</l><lb/> <l>Das liebe Leiden, ſo ich eingewiegt,</l><lb/> <l>Der goldne Ton des Juͤnglings wieder auf!</l><lb/> <l>Nicht aufſehn durft' ich! keine Sylbe durft'</l><lb/> <l>Ich ſagen! O, was haͤtt' ich ihm geſagt!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Was mein' ich denn, du Gute? — laß mich nur!</l><lb/> <l>Nun darf ich ja, nun iſts ſo thoͤricht nimmer,</l><lb/> <l>Und ſchoͤn iſt's, wenn der Schmerz mit ſeiner</l><lb/> <l>Schweſter</l><lb/> <l>Der Wonne ſich verſoͤhnt, noch eh' er weggeht.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>O Wiederſehn! das iſt noch mehr, du Liebe!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0111]
Da gieng ich ſo zuruͤck mit meinen Blumen,
Sah auf den Pfad, den abendroͤthlichen,
In meiner Stille nieder, und es ſchlief
Mir ſanft im Buſen das Vergangene,
Ein kindlich Hoffen athmete mir auf;
Wie wenn uns zwiſchen ſuͤßem Schlaf und Wachen
Die Augen halb geoͤffnet ſind, ſo war
Ich Blinde. Sieh! da ſtand er vor mir mein
Heroe und ich Arme war, wie todt,
Und ihm, dem Bruͤderlichen, uͤberglaͤnzte
Das Angeſicht, wie einem Gott, die Freude.
„Emilie!“ — das war ſein frommer Gruß,
Ach! alles Sehnen weckte mir und all
Das liebe Leiden, ſo ich eingewiegt,
Der goldne Ton des Juͤnglings wieder auf!
Nicht aufſehn durft' ich! keine Sylbe durft'
Ich ſagen! O, was haͤtt' ich ihm geſagt!
Was mein' ich denn, du Gute? — laß mich nur!
Nun darf ich ja, nun iſts ſo thoͤricht nimmer,
Und ſchoͤn iſt's, wenn der Schmerz mit ſeiner
Schweſter
Der Wonne ſich verſoͤhnt, noch eh' er weggeht.
O Wiederſehn! das iſt noch mehr, du Liebe!
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/111>, abgerufen am 25.06.2024. |