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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Und ich sollt' ohne Ruhe seyn von nun an,
Verloren ohne Hoffnung mir an Fremdes
Die Seele meiner Jugend! Ach! ich fühlt'
Es jetzt, wie es geworden war mit mir.
Dem Adler gleich, der in der Wolke fliegt,
Erschien und schwand mir aus dem Auge wieder,
Und wieder mir des hohen Fremdlings Bild,
Daß mir das Herz erbebt' und ich umsonst
Mich fassen wollte. Schliefst du gut, mein Kind!
Begrüßte nun der gute Vater mich,
Und gerne wollt' ich auch ein Wort ihm sagen.
Die Thränen doch erstickten mir die Stimme,
Und in den Strom' hinunter mußt' ich sehn,
Und wußte nicht, wo ich mein Angesicht
Verbergen sollte.
Glückliche! die du
Dieß nie erfahren, überhebe mein
Dich nicht. Auch du, und wer von allen mag
Sein eigen bleiben unter dieser Sonne?
Oft meint' ich schon, wir leben nur, zu sterben,
Uns opfernd hinzugeben für ein Anders.
O schön zu sterben, edel sich zu opfern,
Und nicht so fruchtlos, so vergebens, Liebe!
Das mag die Ruhe der Unsterblichen
Dem Menschen seyn.
Und ich ſollt' ohne Ruhe ſeyn von nun an,
Verloren ohne Hoffnung mir an Fremdes
Die Seele meiner Jugend! Ach! ich fuͤhlt'
Es jetzt, wie es geworden war mit mir.
Dem Adler gleich, der in der Wolke fliegt,
Erſchien und ſchwand mir aus dem Auge wieder,
Und wieder mir des hohen Fremdlings Bild,
Daß mir das Herz erbebt' und ich umſonſt
Mich faſſen wollte. Schliefſt du gut, mein Kind!
Begruͤßte nun der gute Vater mich,
Und gerne wollt' ich auch ein Wort ihm ſagen.
Die Thraͤnen doch erſtickten mir die Stimme,
Und in den Strom' hinunter mußt' ich ſehn,
Und wußte nicht, wo ich mein Angeſicht
Verbergen ſollte.
Gluͤckliche! die du
Dieß nie erfahren, uͤberhebe mein
Dich nicht. Auch du, und wer von allen mag
Sein eigen bleiben unter dieſer Sonne?
Oft meint' ich ſchon, wir leben nur, zu ſterben,
Uns opfernd hinzugeben fuͤr ein Anders.
O ſchoͤn zu ſterben, edel ſich zu opfern,
Und nicht ſo fruchtlos, ſo vergebens, Liebe!
Das mag die Ruhe der Unſterblichen
Dem Menſchen ſeyn.
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[98/0106] Und ich ſollt' ohne Ruhe ſeyn von nun an, Verloren ohne Hoffnung mir an Fremdes Die Seele meiner Jugend! Ach! ich fuͤhlt' Es jetzt, wie es geworden war mit mir. Dem Adler gleich, der in der Wolke fliegt, Erſchien und ſchwand mir aus dem Auge wieder, Und wieder mir des hohen Fremdlings Bild, Daß mir das Herz erbebt' und ich umſonſt Mich faſſen wollte. Schliefſt du gut, mein Kind! Begruͤßte nun der gute Vater mich, Und gerne wollt' ich auch ein Wort ihm ſagen. Die Thraͤnen doch erſtickten mir die Stimme, Und in den Strom' hinunter mußt' ich ſehn, Und wußte nicht, wo ich mein Angeſicht Verbergen ſollte. Gluͤckliche! die du Dieß nie erfahren, uͤberhebe mein Dich nicht. Auch du, und wer von allen mag Sein eigen bleiben unter dieſer Sonne? Oft meint' ich ſchon, wir leben nur, zu ſterben, Uns opfernd hinzugeben fuͤr ein Anders. O ſchoͤn zu ſterben, edel ſich zu opfern, Und nicht ſo fruchtlos, ſo vergebens, Liebe! Das mag die Ruhe der Unſterblichen Dem Menſchen ſeyn.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/106>, abgerufen am 23.07.2024.