Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

Mein Weh ihm sehn zu lassen; lieber gieng
Ich dann hinaus zum Hügel und das Herz
Gewöhnte mir zum freien Himmel sich.
Ich tadelt' oft ein wenig mich darüber,
Daß nirgend mehr im Hause mirs gefiel.
Vergnügt mit Allem war ich ehmals da,
Und leicht war Alles mir. Nun ängstigt es
Mich oft; noch trieb ich mein Geschäft, doch leblos,
Bis in die Seele stumm in meiner Trauer.

Es war, wie in der Schattenwelt, im Hause.
Der stille Vater und das stumme Kind!
Wir wollen fort auf eine Reise, Tochter!
Sagt' eines Tags mein Vater und wir giengen,
Und kamen dann zu Dir. In diesem Land',
An deines Nekars friedlichschönen Ufern,
Da dämmert eine stille Freude mir
Zum erstenmale wieder auf. Wie oft
Im Abendlichte stand ich auf dem Hügel
Mit dir, und sah das grüne Thal hinauf,
Wo zwischen Bergen, da die Rebe wächst,
An manchem Dorf vorüber, durch die Wiesen
Zu uns herab, von luft'ger Weid' umkränzt,
Das goldne ruhige Gewässer wallte!
Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt.

Mein Weh ihm ſehn zu laſſen; lieber gieng
Ich dann hinaus zum Huͤgel und das Herz
Gewoͤhnte mir zum freien Himmel ſich.
Ich tadelt' oft ein wenig mich daruͤber,
Daß nirgend mehr im Hauſe mirs gefiel.
Vergnuͤgt mit Allem war ich ehmals da,
Und leicht war Alles mir. Nun aͤngſtigt es
Mich oft; noch trieb ich mein Geſchaͤft, doch leblos,
Bis in die Seele ſtumm in meiner Trauer.

Es war, wie in der Schattenwelt, im Hauſe.
Der ſtille Vater und das ſtumme Kind!
Wir wollen fort auf eine Reiſe, Tochter!
Sagt' eines Tags mein Vater und wir giengen,
Und kamen dann zu Dir. In dieſem Land',
An deines Nekars friedlichſchoͤnen Ufern,
Da daͤmmert eine ſtille Freude mir
Zum erſtenmale wieder auf. Wie oft
Im Abendlichte ſtand ich auf dem Huͤgel
Mit dir, und ſah das gruͤne Thal hinauf,
Wo zwiſchen Bergen, da die Rebe waͤchſt,
An manchem Dorf voruͤber, durch die Wieſen
Zu uns herab, von luft'ger Weid' umkraͤnzt,
Das goldne ruhige Gewaͤſſer wallte!
Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <pb facs="#f0102" n="94"/>
              <l>Mein Weh ihm &#x017F;ehn zu la&#x017F;&#x017F;en; lieber gieng</l><lb/>
              <l>Ich dann hinaus zum Hu&#x0364;gel und das Herz</l><lb/>
              <l>Gewo&#x0364;hnte mir zum freien Himmel &#x017F;ich.</l><lb/>
              <l>Ich tadelt' oft ein wenig mich daru&#x0364;ber,</l><lb/>
              <l>Daß nirgend mehr im Hau&#x017F;e mirs gefiel.</l><lb/>
              <l>Vergnu&#x0364;gt mit Allem war ich ehmals da,</l><lb/>
              <l>Und leicht war Alles mir. Nun a&#x0364;ng&#x017F;tigt es</l><lb/>
              <l>Mich oft; noch trieb ich mein Ge&#x017F;cha&#x0364;ft, doch leblos,</l><lb/>
              <l>Bis in die Seele &#x017F;tumm in meiner Trauer.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Es war, wie in der Schattenwelt, im Hau&#x017F;e.</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;tille Vater und das &#x017F;tumme Kind!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Wir wollen fort auf eine Rei&#x017F;e, Tochter!</l><lb/>
              <l>Sagt' eines Tags mein Vater und wir giengen,</l><lb/>
              <l>Und kamen dann zu Dir. In die&#x017F;em Land',</l><lb/>
              <l>An deines Nekars friedlich&#x017F;cho&#x0364;nen Ufern,</l><lb/>
              <l>Da da&#x0364;mmert eine &#x017F;tille Freude mir</l><lb/>
              <l>Zum er&#x017F;tenmale wieder auf. Wie oft</l><lb/>
              <l>Im Abendlichte &#x017F;tand ich auf dem Hu&#x0364;gel</l><lb/>
              <l>Mit dir, und &#x017F;ah das gru&#x0364;ne Thal hinauf,</l><lb/>
              <l>Wo zwi&#x017F;chen Bergen, da die Rebe wa&#x0364;ch&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>An manchem Dorf voru&#x0364;ber, durch die Wie&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Zu uns herab, von luft'ger Weid' umkra&#x0364;nzt,</l><lb/>
              <l>Das goldne ruhige Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er wallte!</l><lb/>
              <l>Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0102] Mein Weh ihm ſehn zu laſſen; lieber gieng Ich dann hinaus zum Huͤgel und das Herz Gewoͤhnte mir zum freien Himmel ſich. Ich tadelt' oft ein wenig mich daruͤber, Daß nirgend mehr im Hauſe mirs gefiel. Vergnuͤgt mit Allem war ich ehmals da, Und leicht war Alles mir. Nun aͤngſtigt es Mich oft; noch trieb ich mein Geſchaͤft, doch leblos, Bis in die Seele ſtumm in meiner Trauer. Es war, wie in der Schattenwelt, im Hauſe. Der ſtille Vater und das ſtumme Kind! Wir wollen fort auf eine Reiſe, Tochter! Sagt' eines Tags mein Vater und wir giengen, Und kamen dann zu Dir. In dieſem Land', An deines Nekars friedlichſchoͤnen Ufern, Da daͤmmert eine ſtille Freude mir Zum erſtenmale wieder auf. Wie oft Im Abendlichte ſtand ich auf dem Huͤgel Mit dir, und ſah das gruͤne Thal hinauf, Wo zwiſchen Bergen, da die Rebe waͤchſt, An manchem Dorf voruͤber, durch die Wieſen Zu uns herab, von luft'ger Weid' umkraͤnzt, Das goldne ruhige Gewaͤſſer wallte! Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/102
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/102>, abgerufen am 22.11.2024.