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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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den Mann in ein Labyrinth von Elend stürzen?
Romane und Komödie fanden nicht selten das
Ende in Tragödien. -- Gewiß, meine theuer-
ste W. ich sage nicht zu viel, wenn ich behaup-
te, daß die Langeweile die aus Mangel des Ge-
schmacks an ernsthaften Beschäftigungen ent-
stehet nicht durch die jetzige Modelektüre ge-
hoben, sondern daß sie selbst dadurch her-
vorgebracht und ernährt wird.
Die Erfah-
rung kann einen jeden, wer Lust hat sich um-
zusehen, davon überzeugen. --

Aus Mangel an natürlichen Fähigkeiten
sollte billig keine Langeweile entstehen, wol aber
aus Mangel an Fähigkeiten, wo wir selbst der
schuldige Theil sind. Wer das erste behaupten,
und das lezte leugnen wollte, den würde ich,
wie jener griechische Geometer zu thun pflegte,
durch die Ungereimtheit widerlegen. Die güti-
ge Natur hat Jedem ein Maaß von Kräften
zugetheilt, durch deren treuen Gebrauch ihm
die Summe des Glücks erwächst, deren er fä-
hig ist. Eine immer schlafende Kraft ist keine
Kraft; der Gebrauch giebt ihr den Namen.
Wer eine Kraft die sich zu entwickeln anfängt, von
dem rechten Gegenstande abwendet, oder sie in
den Schlaf lullt, ist Hervorbringer mehrerer
Unvollkommenheiten und also Vermehrer des
Unglücks. Wie? wenn man dies nun mit Recht

den Mann in ein Labyrinth von Elend ſtuͤrzen?
Romane und Komoͤdie fanden nicht ſelten das
Ende in Tragoͤdien. — Gewiß, meine theuer-
ſte W. ich ſage nicht zu viel, wenn ich behaup-
te, daß die Langeweile die aus Mangel des Ge-
ſchmacks an ernſthaften Beſchaͤftigungen ent-
ſtehet nicht durch die jetzige Modelektuͤre ge-
hoben, ſondern daß ſie ſelbſt dadurch her-
vorgebracht und ernaͤhrt wird.
Die Erfah-
rung kann einen jeden, wer Luſt hat ſich um-
zuſehen, davon uͤberzeugen. —

Aus Mangel an natuͤrlichen Faͤhigkeiten
ſollte billig keine Langeweile entſtehen, wol aber
aus Mangel an Faͤhigkeiten, wo wir ſelbſt der
ſchuldige Theil ſind. Wer das erſte behaupten,
und das lezte leugnen wollte, den wuͤrde ich,
wie jener griechiſche Geometer zu thun pflegte,
durch die Ungereimtheit widerlegen. Die guͤti-
ge Natur hat Jedem ein Maaß von Kraͤften
zugetheilt, durch deren treuen Gebrauch ihm
die Summe des Gluͤcks erwaͤchſt, deren er faͤ-
hig iſt. Eine immer ſchlafende Kraft iſt keine
Kraft; der Gebrauch giebt ihr den Namen.
Wer eine Kraft die ſich zu entwickeln anfaͤngt, von
dem rechten Gegenſtande abwendet, oder ſie in
den Schlaf lullt, iſt Hervorbringer mehrerer
Unvollkommenheiten und alſo Vermehrer des
Ungluͤcks. Wie? wenn man dies nun mit Recht

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[86/0086] den Mann in ein Labyrinth von Elend ſtuͤrzen? Romane und Komoͤdie fanden nicht ſelten das Ende in Tragoͤdien. — Gewiß, meine theuer- ſte W. ich ſage nicht zu viel, wenn ich behaup- te, daß die Langeweile die aus Mangel des Ge- ſchmacks an ernſthaften Beſchaͤftigungen ent- ſtehet nicht durch die jetzige Modelektuͤre ge- hoben, ſondern daß ſie ſelbſt dadurch her- vorgebracht und ernaͤhrt wird. Die Erfah- rung kann einen jeden, wer Luſt hat ſich um- zuſehen, davon uͤberzeugen. — Aus Mangel an natuͤrlichen Faͤhigkeiten ſollte billig keine Langeweile entſtehen, wol aber aus Mangel an Faͤhigkeiten, wo wir ſelbſt der ſchuldige Theil ſind. Wer das erſte behaupten, und das lezte leugnen wollte, den wuͤrde ich, wie jener griechiſche Geometer zu thun pflegte, durch die Ungereimtheit widerlegen. Die guͤti- ge Natur hat Jedem ein Maaß von Kraͤften zugetheilt, durch deren treuen Gebrauch ihm die Summe des Gluͤcks erwaͤchſt, deren er faͤ- hig iſt. Eine immer ſchlafende Kraft iſt keine Kraft; der Gebrauch giebt ihr den Namen. Wer eine Kraft die ſich zu entwickeln anfaͤngt, von dem rechten Gegenſtande abwendet, oder ſie in den Schlaf lullt, iſt Hervorbringer mehrerer Unvollkommenheiten und alſo Vermehrer des Ungluͤcks. Wie? wenn man dies nun mit Recht

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/86>, abgerufen am 01.05.2024.