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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Ganz ohne Beschäftigung kann und will
der Mensch nicht seyn, er sucht sie, aber auf
was für Wege geräth er oft? fließen nicht tau-
send Laster aus einem geschäftigen Müßiggange
die eben so vielmal modisizirt werden? Die Le-
sesucht ist so weit entfernt diesem Uebel abzuhel-
fen, daß es vielmehr dadurch seine Hauptnah-
rung erhält. Sie vermehrt die Unordnung der
Gedanken, verstimmt dadurch die Empfindun-
gen, und unterdrückt auch den lezten Fun-
ken von Thätigkeit, bringt die Leidenschaften,
die dem Menschen zur Vollendung seiner Voll-
kommenheit gegeben sind, in die höchste Ver-
wirrung.

Alle Anstrengung des Geistes gehet durch
die Verzärtelung des Verstandes, durch die Ver-
wöhnung des Geschmacks verlohren, aller Sinn
für das ernsthafte und nüzliche wird abgestumpft,
denn man will ja nicht mit Anstrengung lesen,
sondern man mischt alles durch einander, liest al-
les durch einander, liest alles was geschrieben
ist, und ist zufrieden mit dem was die Phan-
tasie beschäftigt. O! die Würde des Menschen!
sinkt er nicht so gar in Absicht seines Vergnü-
gens zum Kinde herab? vergißt er nicht seine
Würde durch die Unterdrückung seiner edelsten
Empfindungen?

Ganz ohne Beſchaͤftigung kann und will
der Menſch nicht ſeyn, er ſucht ſie, aber auf
was fuͤr Wege geraͤth er oft? fließen nicht tau-
ſend Laſter aus einem geſchaͤftigen Muͤßiggange
die eben ſo vielmal modiſizirt werden? Die Le-
ſeſucht iſt ſo weit entfernt dieſem Uebel abzuhel-
fen, daß es vielmehr dadurch ſeine Hauptnah-
rung erhaͤlt. Sie vermehrt die Unordnung der
Gedanken, verſtimmt dadurch die Empfindun-
gen, und unterdruͤckt auch den lezten Fun-
ken von Thaͤtigkeit, bringt die Leidenſchaften,
die dem Menſchen zur Vollendung ſeiner Voll-
kommenheit gegeben ſind, in die hoͤchſte Ver-
wirrung.

Alle Anſtrengung des Geiſtes gehet durch
die Verzaͤrtelung des Verſtandes, durch die Ver-
woͤhnung des Geſchmacks verlohren, aller Sinn
fuͤr das ernſthafte und nuͤzliche wird abgeſtumpft,
denn man will ja nicht mit Anſtrengung leſen,
ſondern man miſcht alles durch einander, lieſt al-
les durch einander, lieſt alles was geſchrieben
iſt, und iſt zufrieden mit dem was die Phan-
taſie beſchaͤftigt. O! die Wuͤrde des Menſchen!
ſinkt er nicht ſo gar in Abſicht ſeines Vergnuͤ-
gens zum Kinde herab? vergißt er nicht ſeine
Wuͤrde durch die Unterdruͤckung ſeiner edelſten
Empfindungen?

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[84/0084] Ganz ohne Beſchaͤftigung kann und will der Menſch nicht ſeyn, er ſucht ſie, aber auf was fuͤr Wege geraͤth er oft? fließen nicht tau- ſend Laſter aus einem geſchaͤftigen Muͤßiggange die eben ſo vielmal modiſizirt werden? Die Le- ſeſucht iſt ſo weit entfernt dieſem Uebel abzuhel- fen, daß es vielmehr dadurch ſeine Hauptnah- rung erhaͤlt. Sie vermehrt die Unordnung der Gedanken, verſtimmt dadurch die Empfindun- gen, und unterdruͤckt auch den lezten Fun- ken von Thaͤtigkeit, bringt die Leidenſchaften, die dem Menſchen zur Vollendung ſeiner Voll- kommenheit gegeben ſind, in die hoͤchſte Ver- wirrung. Alle Anſtrengung des Geiſtes gehet durch die Verzaͤrtelung des Verſtandes, durch die Ver- woͤhnung des Geſchmacks verlohren, aller Sinn fuͤr das ernſthafte und nuͤzliche wird abgeſtumpft, denn man will ja nicht mit Anſtrengung leſen, ſondern man miſcht alles durch einander, lieſt al- les durch einander, lieſt alles was geſchrieben iſt, und iſt zufrieden mit dem was die Phan- taſie beſchaͤftigt. O! die Wuͤrde des Menſchen! ſinkt er nicht ſo gar in Abſicht ſeines Vergnuͤ- gens zum Kinde herab? vergißt er nicht ſeine Wuͤrde durch die Unterdruͤckung ſeiner edelſten Empfindungen?

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/84>, abgerufen am 25.11.2024.