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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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dann natürlich durch häusliche Unordnung noch
vermehrt wird. Dies ist kein geringes Jngre-
dienz des häuslichen Unglücks. Die Zeit wird
verschwendet, durch Müßiggang gewonnen, durch
Trägheit erkauft, der Erfüllung höherer Pflich-
ten gestohlen; eine solche Lebensart verträgt
sich mit keinem Amte, mit keinem Stan-
de; bürgerliches und häusliches Unglück ist
ihre Folge. Die Gleichgültigkeit gegen
ernsthafte Dinge nimmt unter Jünglingen
und Knaben, unter Weibern und Mädchen
sehr zu.



Die zweite Quelle der Langeweile ist der
Mangel an Geschmack an ernsthaften Beschäfti-
gungen. Woher entstehet er? Von Natur hat
der Mensch eine gewiße Sterbsamkeit, er sucht
Arbeit und will thätig seyn. Dieser Trieb er-
hält durch Beispiel, und Vorstellung des Nu-
tzens feine Hauptstärke. Uebung gibt Ausbildung
und Fertigkeit, und diese bringt wiederum die
Lust hervor. Das Vergnügen das aus dem Ge-
fühl dieser Fertigkeit und Leichtigkeit womit man
etwas ausrichten kann, entstehet, macht daß
man es gern thut. Dies nenne ich Geschmack
an der Sache finden und dieser erleichtert auch

dann natuͤrlich durch haͤusliche Unordnung noch
vermehrt wird. Dies iſt kein geringes Jngre-
dienz des haͤuslichen Ungluͤcks. Die Zeit wird
verſchwendet, durch Muͤßiggang gewonnen, durch
Traͤgheit erkauft, der Erfuͤllung hoͤherer Pflich-
ten geſtohlen; eine ſolche Lebensart vertraͤgt
ſich mit keinem Amte, mit keinem Stan-
de; buͤrgerliches und haͤusliches Ungluͤck iſt
ihre Folge. Die Gleichguͤltigkeit gegen
ernſthafte Dinge nimmt unter Juͤnglingen
und Knaben, unter Weibern und Maͤdchen
ſehr zu.



Die zweite Quelle der Langeweile iſt der
Mangel an Geſchmack an ernſthaften Beſchaͤfti-
gungen. Woher entſtehet er? Von Natur hat
der Menſch eine gewiße Sterbſamkeit, er ſucht
Arbeit und will thaͤtig ſeyn. Dieſer Trieb er-
haͤlt durch Beiſpiel, und Vorſtellung des Nu-
tzens feine Hauptſtaͤrke. Uebung gibt Ausbildung
und Fertigkeit, und dieſe bringt wiederum die
Luſt hervor. Das Vergnuͤgen das aus dem Ge-
fuͤhl dieſer Fertigkeit und Leichtigkeit womit man
etwas ausrichten kann, entſtehet, macht daß
man es gern thut. Dies nenne ich Geſchmack
an der Sache finden und dieſer erleichtert auch

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[82/0082] dann natuͤrlich durch haͤusliche Unordnung noch vermehrt wird. Dies iſt kein geringes Jngre- dienz des haͤuslichen Ungluͤcks. Die Zeit wird verſchwendet, durch Muͤßiggang gewonnen, durch Traͤgheit erkauft, der Erfuͤllung hoͤherer Pflich- ten geſtohlen; eine ſolche Lebensart vertraͤgt ſich mit keinem Amte, mit keinem Stan- de; buͤrgerliches und haͤusliches Ungluͤck iſt ihre Folge. Die Gleichguͤltigkeit gegen ernſthafte Dinge nimmt unter Juͤnglingen und Knaben, unter Weibern und Maͤdchen ſehr zu. Die zweite Quelle der Langeweile iſt der Mangel an Geſchmack an ernſthaften Beſchaͤfti- gungen. Woher entſtehet er? Von Natur hat der Menſch eine gewiße Sterbſamkeit, er ſucht Arbeit und will thaͤtig ſeyn. Dieſer Trieb er- haͤlt durch Beiſpiel, und Vorſtellung des Nu- tzens feine Hauptſtaͤrke. Uebung gibt Ausbildung und Fertigkeit, und dieſe bringt wiederum die Luſt hervor. Das Vergnuͤgen das aus dem Ge- fuͤhl dieſer Fertigkeit und Leichtigkeit womit man etwas ausrichten kann, entſtehet, macht daß man es gern thut. Dies nenne ich Geſchmack an der Sache finden und dieſer erleichtert auch

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/82>, abgerufen am 25.11.2024.