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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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tik nahm, Dinge einmischte, die schon längst von
den besten Historikern als Albernheiten verwor-
fen wurden. Auf dem Theater mögen sich sol-
che Spektakelstücke, vermittelst der Skevopöie,
und anderer dahin gehörigen Künste, gut aus-
nehmen, über das übrige werden die Drama-
turgien Auskunft geben. Die Stimme des
großen Haufens kannüber den innern Werth nicht
entscheiden, nur über seinen Geschmack will ich
ihm ein Urtheil einräumen, dessen Verantwor-
tung er aber selbst übernehmen mag.

Die Charaktere der Helden haben keine
Haltung. Wenn es schon äußerst schwer ist le-
bende Menschen richtig zu charakterisiten, wie
viel schwerer, ja unmöglich muß es seyn, eine
Charakteristik der Menschen jener Zeiten zu ent-
werfen! Sie wird immer so ausfallen wie der
Verfasser will. Es ist mit dem Zeichnen der
Charaktere in jeder sonst guten Geschichte so ei-
ne eigene Sache. Wir beurtheilen in derselben
die Menschen nach ihren Handlungen, und die-
se nach Absichten und Mitteln. Wie schwer ist
dies? Unter hundert Fällen sind wol kaum zehn,
wo man mit Wahrscheinlichkeit etwas schliessen
kann. Können nicht oft ganz andere Absichten
zum Grunde liegen, als die Mittel und die
Handlung selbst verrathen? Dies muß wenig-
stens zur Toleranz führen, und diese, dünkt

tik nahm, Dinge einmiſchte, die ſchon laͤngſt von
den beſten Hiſtorikern als Albernheiten verwor-
fen wurden. Auf dem Theater moͤgen ſich ſol-
che Spektakelſtuͤcke, vermittelſt der Skevopoͤie,
und anderer dahin gehoͤrigen Kuͤnſte, gut aus-
nehmen, uͤber das uͤbrige werden die Drama-
turgien Auskunft geben. Die Stimme des
großen Haufens kannuͤber den innern Werth nicht
entſcheiden, nur uͤber ſeinen Geſchmack will ich
ihm ein Urtheil einraͤumen, deſſen Verantwor-
tung er aber ſelbſt uͤbernehmen mag.

Die Charaktere der Helden haben keine
Haltung. Wenn es ſchon aͤußerſt ſchwer iſt le-
bende Menſchen richtig zu charakteriſiten, wie
viel ſchwerer, ja unmoͤglich muß es ſeyn, eine
Charakteriſtik der Menſchen jener Zeiten zu ent-
werfen! Sie wird immer ſo ausfallen wie der
Verfaſſer will. Es iſt mit dem Zeichnen der
Charaktere in jeder ſonſt guten Geſchichte ſo ei-
ne eigene Sache. Wir beurtheilen in derſelben
die Menſchen nach ihren Handlungen, und die-
ſe nach Abſichten und Mitteln. Wie ſchwer iſt
dies? Unter hundert Faͤllen ſind wol kaum zehn,
wo man mit Wahrſcheinlichkeit etwas ſchlieſſen
kann. Koͤnnen nicht oft ganz andere Abſichten
zum Grunde liegen, als die Mittel und die
Handlung ſelbſt verrathen? Dies muß wenig-
ſtens zur Toleranz fuͤhren, und dieſe, duͤnkt

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[40/0040] tik nahm, Dinge einmiſchte, die ſchon laͤngſt von den beſten Hiſtorikern als Albernheiten verwor- fen wurden. Auf dem Theater moͤgen ſich ſol- che Spektakelſtuͤcke, vermittelſt der Skevopoͤie, und anderer dahin gehoͤrigen Kuͤnſte, gut aus- nehmen, uͤber das uͤbrige werden die Drama- turgien Auskunft geben. Die Stimme des großen Haufens kannuͤber den innern Werth nicht entſcheiden, nur uͤber ſeinen Geſchmack will ich ihm ein Urtheil einraͤumen, deſſen Verantwor- tung er aber ſelbſt uͤbernehmen mag. Die Charaktere der Helden haben keine Haltung. Wenn es ſchon aͤußerſt ſchwer iſt le- bende Menſchen richtig zu charakteriſiten, wie viel ſchwerer, ja unmoͤglich muß es ſeyn, eine Charakteriſtik der Menſchen jener Zeiten zu ent- werfen! Sie wird immer ſo ausfallen wie der Verfaſſer will. Es iſt mit dem Zeichnen der Charaktere in jeder ſonſt guten Geſchichte ſo ei- ne eigene Sache. Wir beurtheilen in derſelben die Menſchen nach ihren Handlungen, und die- ſe nach Abſichten und Mitteln. Wie ſchwer iſt dies? Unter hundert Faͤllen ſind wol kaum zehn, wo man mit Wahrſcheinlichkeit etwas ſchlieſſen kann. Koͤnnen nicht oft ganz andere Abſichten zum Grunde liegen, als die Mittel und die Handlung ſelbſt verrathen? Dies muß wenig- ſtens zur Toleranz fuͤhren, und dieſe, duͤnkt

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/40>, abgerufen am 25.04.2024.