Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.Jch glaube man hat so sehr Unrecht eben Alles was den Schein von Menschen trägt Jch glaube man hat ſo ſehr Unrecht eben Alles was den Schein von Menſchen traͤgt <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0114" n="114"/> <p>Jch glaube man hat ſo ſehr Unrecht eben<lb/> nicht, wenn man es der jetzigen Modelektuͤre<lb/> zwar nicht grade zu, doch aber unter andern Urſa-<lb/> chen mit zuſchreibt, daß die Frauenzimmer, deren<lb/> Herzen ſonſt ſanft, milde, und fuͤr ſtille Em-<lb/> pfindungen und haͤusliche Freuden geſchaffen<lb/> ſind, jetzt mit ſo vieler Gleichguͤltigkeit uͤber<lb/> den Mord vieler Tauſende, uͤber grauſende<lb/> Schlachten ſprechen, ſich freuen, wenn die,<lb/> welche ſie nicht in Schutz nehmen, erwuͤrgt<lb/> werden, Ausdruͤcke gebrauchen die ihre Wuth<lb/> verrathen, und zeigen wozu ſie faͤhig waͤren,<lb/> wenn die Natur ihrem Koͤrper eine andere Or-<lb/> ganiſation gegeben haͤtte. Sie gehen aus der<lb/> empfindelnden Periode in die rohe uͤber, und<lb/> man ſollte beinahe Grauſamkeit zur Grundlage<lb/> des weiblichen Charakters machen. Hat man<lb/> ſonſt etwa aus <hi rendition="#i">Schmeichelei daruͤber hingeſehen,</hi><lb/> oder ſind alle ihre Tugenden Folgen der Erzie-<lb/> hung die mit dieſer ſtehen oder fallen? —<lb/> Wer wollte ſo ungerecht ſeyn dies zu behaup-<lb/> ten und nicht die gehoͤrigen Einſchraͤnkungen<lb/> machen?</p><lb/> <p>Alles was den Schein von Menſchen traͤgt<lb/> gefaͤllt ſehr einer ſchwachen oder uͤberſpannten<lb/> Phantaſie, ſie hat aber nicht die Kraft dieſen<lb/> Schein von der Wahrheit zu unterſcheiden.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [114/0114]
Jch glaube man hat ſo ſehr Unrecht eben
nicht, wenn man es der jetzigen Modelektuͤre
zwar nicht grade zu, doch aber unter andern Urſa-
chen mit zuſchreibt, daß die Frauenzimmer, deren
Herzen ſonſt ſanft, milde, und fuͤr ſtille Em-
pfindungen und haͤusliche Freuden geſchaffen
ſind, jetzt mit ſo vieler Gleichguͤltigkeit uͤber
den Mord vieler Tauſende, uͤber grauſende
Schlachten ſprechen, ſich freuen, wenn die,
welche ſie nicht in Schutz nehmen, erwuͤrgt
werden, Ausdruͤcke gebrauchen die ihre Wuth
verrathen, und zeigen wozu ſie faͤhig waͤren,
wenn die Natur ihrem Koͤrper eine andere Or-
ganiſation gegeben haͤtte. Sie gehen aus der
empfindelnden Periode in die rohe uͤber, und
man ſollte beinahe Grauſamkeit zur Grundlage
des weiblichen Charakters machen. Hat man
ſonſt etwa aus Schmeichelei daruͤber hingeſehen,
oder ſind alle ihre Tugenden Folgen der Erzie-
hung die mit dieſer ſtehen oder fallen? —
Wer wollte ſo ungerecht ſeyn dies zu behaup-
ten und nicht die gehoͤrigen Einſchraͤnkungen
machen?
Alles was den Schein von Menſchen traͤgt
gefaͤllt ſehr einer ſchwachen oder uͤberſpannten
Phantaſie, ſie hat aber nicht die Kraft dieſen
Schein von der Wahrheit zu unterſcheiden.
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