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Hobrecht, James: Entwickelung der Verkehrs-Verhältnisse in Berlin. Berlin, 1893

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zu machen, den Unwillen der Landwirthe. Die öffentliche
Meinung war -- wie so oft -- ein Spielball, den sich Sonder-
interesse und Unkenntniss der Dinge lustig zuwarfen.

Eine Zeitung sprach die Frage aus, ob Virchow und Ho-
brecht mehr in ein Zuchthaus oder in ein Irrenhaus gehörten.

Namentlich war es die Berieselung, welche angegriffen
wurde. So berichtet die Spenersche Zeitung vom 31. October
1871, Faucher habe in seinem vortrefflichen Buche über die
inneren Eisenbahnen Londons gesagt:

Dass es mit der Berieselung nichts ist, kann
doch jetzt nur noch der Eigensinn verkennen
. Es
sind ja samt und sonders ganz lächerlich verlau-
fene Spielereien gewesen
.

Eine Blumenlese aus einem "Aufruf an alle Mit-
bürger, denen das Wohl der Stadt wahrhaft am
Herzen liegt, die insbesondere die Ursachen der
immer heftiger werdenden Epidemien verringern
wollen
" (März 1872?) lautet also:

"In jüngster Zeit haben sich die Vertreter dieser Idee
(Canalisation) sogar zu dem kühnen Gedanken aufgeschwun-
gen, dass es auch der volkswirthschaftlich richtigste Weg sei,
gleichgültig, ob dabei alle Gesetze der Chemie, Physik, Me-
chanik und Volkswirthschaft auf den Kopf gestellt werden.
Die Wissenschaft muss umkehren, weil die Canali-
sationsmänner es wollen
" u. s. w.

Der Bau der Canalisation von Berlin begann im Jahre
1874. Dem Bau des Radial-System III, dessen Pumpstation
in der Schöneberger Strasse liegt, folgten nach einander
Radial-System I, II, IV, V, VI, VII, VIII, IX. X und XII.
Ausgeführt sind bis jetzt im ganzen 706 400 lfd. m Strassen-
leitungen und angeschlossen an die Canalisation wurden
22 550 bebaute Grundstücke.

Entsprechend dem Ausbau der Canalisation im Innern
der Stadt wurden die Rieselfelder aptirt.

Begonnen wurde im Jahre 1875 mit dem Gute Osdorf.
Heute ist die Stadt Eigenthümerin von etwa 8200 ha Riesel-
güter, von denen ca. 5000 ha aptirt sind.


zu machen, den Unwillen der Landwirthe. Die öffentliche
Meinung war — wie so oft — ein Spielball, den sich Sonder-
interesse und Unkenntniſs der Dinge lustig zuwarfen.

Eine Zeitung sprach die Frage aus, ob Virchow und Ho-
brecht mehr in ein Zuchthaus oder in ein Irrenhaus gehörten.

Namentlich war es die Berieselung, welche angegriffen
wurde. So berichtet die Spenersche Zeitung vom 31. October
1871, Faucher habe in seinem vortrefflichen Buche über die
inneren Eisenbahnen Londons gesagt:

Daſs es mit der Berieselung nichts ist, kann
doch jetzt nur noch der Eigensinn verkennen
. Es
sind ja samt und sonders ganz lächerlich verlau-
fene Spielereien gewesen
.

Eine Blumenlese aus einem „Aufruf an alle Mit-
bürger, denen das Wohl der Stadt wahrhaft am
Herzen liegt, die insbesondere die Ursachen der
immer heftiger werdenden Epidemien verringern
wollen
“ (März 1872?) lautet also:

„In jüngster Zeit haben sich die Vertreter dieser Idee
(Canalisation) sogar zu dem kühnen Gedanken aufgeschwun-
gen, daſs es auch der volkswirthschaftlich richtigste Weg sei,
gleichgültig, ob dabei alle Gesetze der Chemie, Physik, Me-
chanik und Volkswirthschaft auf den Kopf gestellt werden.
Die Wissenschaft muſs umkehren, weil die Canali-
sationsmänner es wollen
“ u. s. w.

Der Bau der Canalisation von Berlin begann im Jahre
1874. Dem Bau des Radial-System III, dessen Pumpstation
in der Schöneberger Straſse liegt, folgten nach einander
Radial-System I, II, IV, V, VI, VII, VIII, IX. X und XII.
Ausgeführt sind bis jetzt im ganzen 706 400 lfd. m Straſsen-
leitungen und angeschlossen an die Canalisation wurden
22 550 bebaute Grundstücke.

Entsprechend dem Ausbau der Canalisation im Innern
der Stadt wurden die Rieselfelder aptirt.

Begonnen wurde im Jahre 1875 mit dem Gute Osdorf.
Heute ist die Stadt Eigenthümerin von etwa 8200 ha Riesel-
güter, von denen ca. 5000 ha aptirt sind.


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[18/0024] zu machen, den Unwillen der Landwirthe. Die öffentliche Meinung war — wie so oft — ein Spielball, den sich Sonder- interesse und Unkenntniſs der Dinge lustig zuwarfen. Eine Zeitung sprach die Frage aus, ob Virchow und Ho- brecht mehr in ein Zuchthaus oder in ein Irrenhaus gehörten. Namentlich war es die Berieselung, welche angegriffen wurde. So berichtet die Spenersche Zeitung vom 31. October 1871, Faucher habe in seinem vortrefflichen Buche über die inneren Eisenbahnen Londons gesagt: Daſs es mit der Berieselung nichts ist, kann doch jetzt nur noch der Eigensinn verkennen. Es sind ja samt und sonders ganz lächerlich verlau- fene Spielereien gewesen. Eine Blumenlese aus einem „Aufruf an alle Mit- bürger, denen das Wohl der Stadt wahrhaft am Herzen liegt, die insbesondere die Ursachen der immer heftiger werdenden Epidemien verringern wollen“ (März 1872?) lautet also: „In jüngster Zeit haben sich die Vertreter dieser Idee (Canalisation) sogar zu dem kühnen Gedanken aufgeschwun- gen, daſs es auch der volkswirthschaftlich richtigste Weg sei, gleichgültig, ob dabei alle Gesetze der Chemie, Physik, Me- chanik und Volkswirthschaft auf den Kopf gestellt werden. Die Wissenschaft muſs umkehren, weil die Canali- sationsmänner es wollen“ u. s. w. Der Bau der Canalisation von Berlin begann im Jahre 1874. Dem Bau des Radial-System III, dessen Pumpstation in der Schöneberger Straſse liegt, folgten nach einander Radial-System I, II, IV, V, VI, VII, VIII, IX. X und XII. Ausgeführt sind bis jetzt im ganzen 706 400 lfd. m Straſsen- leitungen und angeschlossen an die Canalisation wurden 22 550 bebaute Grundstücke. Entsprechend dem Ausbau der Canalisation im Innern der Stadt wurden die Rieselfelder aptirt. Begonnen wurde im Jahre 1875 mit dem Gute Osdorf. Heute ist die Stadt Eigenthümerin von etwa 8200 ha Riesel- güter, von denen ca. 5000 ha aptirt sind.

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Zitationshilfe: Hobrecht, James: Entwickelung der Verkehrs-Verhältnisse in Berlin. Berlin, 1893, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_verkehrsverhaeltnisse_1893/24>, abgerufen am 23.11.2024.