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Hobrecht, James: Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. In: Centralblatt der Bauverwaltung 10 (1890), Nr. 36, Sp. 353-356, Sp. 375-376, Nr. 37, Sp. 386-388.

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Centralblatt der Bauverwaltung. 13. September 1890.
[Spaltenumbruch] Mitmenschen, das unsere Brust schwellt, das unsern philantropischen
Charakter stählt.

"Berlin wird Weltstadt" rief man begeistert vor Jahren aus;
"Berlin ist Weltstadt" flüstern jetzt dort schon Tausende.

Ich meine, ein solches Wachsthum hat auch seine Kehrseite!

Ein geistvoller Kritiker der Nationalzeitung schliesst seinen Be-
richt über das eben stattgehabte Schützenfest in Berlin mit den Worten:
"So bietet der Schützenplatz für Fremde wie für Einheimische unend-
lich viel des Sehenswerthen. Kurz zuvor aber, ehe man dort ankommt,
sieht man zur linken Hand ein Kornfeld, das recht schön steht, und
zur rechten einen Acker mit Kartoffeln, die eben blühen. Berliner,
die dergleichen noch nie gesehen haben -- und wie gross mag ihre
Zahl sein! -- seien darauf aufmerksam gemacht; diese beiden Eigen-
thümlichkeiten lohnen allein schon eine Fahrt nach Pankow!"

Es wird leider ein solches Urtheil nicht wohl bestritten werden
können. Einfachheit, Naturnähe, ungekünstelte Verhältnisse schwinden
aus den Grossstädten; Gemachtheit in der Lebensführung und Lebens-
weise nehmen zu, eine einheitliche Betriebs-Organisation im Wohnen,
Miethen, in der Bedienung, im Bezug der Lebensmittel, in der Art
der Vergnügungen und Genüsse entwickelt sich und bezwingt
immer gebieterischer alles individuelle Leben. Licht in mancherlei
Gestalt, Wasser, Luft, Unterhaltung, gleiches Zeitmass, fehlerlos
bis auf den Bruchtheil von Secunden, Paket-Vertheilung und Arbeits-
kraft vermitteln jetzt schon Central-Versorgungen in grösseren
Städten durch Leitungen. Die Versendung von Nahrungsmitteln
ausser dem Wasser scheint technisch wenigstens keine unüberwind-
lichen Schwierigkeiten zu haben. Ist erst die Sitte des warmen Bades
eine allgemeine geworden -- wer hindert, das erwärmte Badewasser
jeder Familie in die Badestube durch Druckröhren zu fördern? Ja,
dass die winterliche Heizung einer ganzen Stadt -- wie jetzt ganzer
Häuser -- mehr oder minder centralisirt werden kann, unterliegt
keinem Zweifel usw. Solche Centralversorgungen liefern das Be-
gehrte unzweifelhaft billiger als es durch die Einzelbereitung ge-
schieht, und sie sind darum, für sich genommen, nützlich. Wenn es
nun gar einmal dahin käme, dass das Dienstbotenverhältniss als eine
[Spaltenumbruch] moderne Sclaverei angesehen wird -- was gar nicht so fern liegt --,
und dass die Hausarbeit der Dienstboten als geradezu unsittlich be-
zeichnet wird, wie es die Nähmaschinenverkäufer thun, wenn sie von
der Handarbeit des Nähens und des Strickens reden, so ist weiterer
und weitester Entwicklung, wie angedeutet, Thor und Thür geöffnet.
Man darf sich dann vielleicht vorstellen, dass der wesentlichste
Bestandtheil einer menschlichen Wohnung eine Wand mit Hähnen
ist, die geöffnet, mit Knöpfen, die gedrückt werden. Grosses und
Gewaltiges ist es zweifelsohne, was solchergestalt geschaffen werden
kann -- aber ich meine, es kommt nicht darauf an und ist nicht
unser Lebenszweck, dass wir Grosses und Gewaltiges schaffen;
sondern dass wir, wenn möglich, selbst gross und gewaltig seien,
und dieses Ziel erreicht der Weg, der die Eigenart schafft und
erhält, der davor bewahrt, in heerdenhafte Allgemeinheit zu versinken,
der uns mehr unserem eigenen geistigen und wirthschaftlichen Ge-
staltungstrieb überlässt. Dann möchten wir leichtlich unsere Auf-
gabe als Mensch vollkommener erfüllen als die, denen der geistige und
physische Bedarf durch centrale Versorgungsleitungen zugeführt wird.

Und so sei gesagt, dass wir das Wachsthum grosser Städte --
Weltstädte --, wenn wir es auch nicht hindern dürfen und ganz
sicher auch nicht können, doch nicht als ein Ziel ansehen sollten,
dem wir durchaus zustreben müssten. Die wachsende Schwierigkeit
bei Unterbringung der Versorgungsnetze ist doch nur eine der vielen
Sorgen, welche das riesenhafte Anwachsen der Grossstädte ehrlichen
Verwaltungen bereiten wird und schon bereitet.

Nehmen aber die Grossstädte auch ferner intensiv und extensiv
noch in ihrem Wachsthum zu, dann wird der Tag kommen, wo den ge-
bieterischen Forderungen der Versorgungsnetze gegenüber ausser den
Bürgersteigen die Strassendämme für die Versorgungsnetze Preis ge-
geben werden müssen, und dann hat das Definitivum der Strassendamm-
Befestigung ein Ende! Aber ehe dieser Augenblick eintritt, wird sich
gewiss schon herausgestellt haben, dass Subways, wo solche ausgeführt
sind, trotz weitgegriffenster Bemessung, den wachsenden Ansprüchen
nicht mehr zu genügen vermögen. Und dieses möchte ich dann für
das Bedenklichere halten.

Hobrecht.

Centralblatt der Bauverwaltung. 13. September 1890.
[Spaltenumbruch] Mitmenschen, das unsere Brust schwellt, das unsern philantropischen
Charakter stählt.

„Berlin wird Weltstadt“ rief man begeistert vor Jahren aus;
„Berlin ist Weltstadt“ flüstern jetzt dort schon Tausende.

Ich meine, ein solches Wachsthum hat auch seine Kehrseite!

Ein geistvoller Kritiker der Nationalzeitung schlieſst seinen Be-
richt über das eben stattgehabte Schützenfest in Berlin mit den Worten:
„So bietet der Schützenplatz für Fremde wie für Einheimische unend-
lich viel des Sehenswerthen. Kurz zuvor aber, ehe man dort ankommt,
sieht man zur linken Hand ein Kornfeld, das recht schön steht, und
zur rechten einen Acker mit Kartoffeln, die eben blühen. Berliner,
die dergleichen noch nie gesehen haben — und wie groſs mag ihre
Zahl sein! — seien darauf aufmerksam gemacht; diese beiden Eigen-
thümlichkeiten lohnen allein schon eine Fahrt nach Pankow!“

Es wird leider ein solches Urtheil nicht wohl bestritten werden
können. Einfachheit, Naturnähe, ungekünstelte Verhältnisse schwinden
aus den Groſsstädten; Gemachtheit in der Lebensführung und Lebens-
weise nehmen zu, eine einheitliche Betriebs-Organisation im Wohnen,
Miethen, in der Bedienung, im Bezug der Lebensmittel, in der Art
der Vergnügungen und Genüsse entwickelt sich und bezwingt
immer gebieterischer alles individuelle Leben. Licht in mancherlei
Gestalt, Wasser, Luft, Unterhaltung, gleiches Zeitmaſs, fehlerlos
bis auf den Bruchtheil von Secunden, Paket-Vertheilung und Arbeits-
kraft vermitteln jetzt schon Central-Versorgungen in gröſseren
Städten durch Leitungen. Die Versendung von Nahrungsmitteln
auſser dem Wasser scheint technisch wenigstens keine unüberwind-
lichen Schwierigkeiten zu haben. Ist erst die Sitte des warmen Bades
eine allgemeine geworden — wer hindert, das erwärmte Badewasser
jeder Familie in die Badestube durch Druckröhren zu fördern? Ja,
daſs die winterliche Heizung einer ganzen Stadt — wie jetzt ganzer
Häuser — mehr oder minder centralisirt werden kann, unterliegt
keinem Zweifel usw. Solche Centralversorgungen liefern das Be-
gehrte unzweifelhaft billiger als es durch die Einzelbereitung ge-
schieht, und sie sind darum, für sich genommen, nützlich. Wenn es
nun gar einmal dahin käme, daſs das Dienstbotenverhältniſs als eine
[Spaltenumbruch] moderne Sclaverei angesehen wird — was gar nicht so fern liegt —,
und daſs die Hausarbeit der Dienstboten als geradezu unsittlich be-
zeichnet wird, wie es die Nähmaschinenverkäufer thun, wenn sie von
der Handarbeit des Nähens und des Strickens reden, so ist weiterer
und weitester Entwicklung, wie angedeutet, Thor und Thür geöffnet.
Man darf sich dann vielleicht vorstellen, daſs der wesentlichste
Bestandtheil einer menschlichen Wohnung eine Wand mit Hähnen
ist, die geöffnet, mit Knöpfen, die gedrückt werden. Groſses und
Gewaltiges ist es zweifelsohne, was solchergestalt geschaffen werden
kann — aber ich meine, es kommt nicht darauf an und ist nicht
unser Lebenszweck, daſs wir Groſses und Gewaltiges schaffen;
sondern daſs wir, wenn möglich, selbst groſs und gewaltig seien,
und dieses Ziel erreicht der Weg, der die Eigenart schafft und
erhält, der davor bewahrt, in heerdenhafte Allgemeinheit zu versinken,
der uns mehr unserem eigenen geistigen und wirthschaftlichen Ge-
staltungstrieb überläſst. Dann möchten wir leichtlich unsere Auf-
gabe als Mensch vollkommener erfüllen als die, denen der geistige und
physische Bedarf durch centrale Versorgungsleitungen zugeführt wird.

Und so sei gesagt, daſs wir das Wachsthum groſser Städte —
Weltstädte —, wenn wir es auch nicht hindern dürfen und ganz
sicher auch nicht können, doch nicht als ein Ziel ansehen sollten,
dem wir durchaus zustreben müſsten. Die wachsende Schwierigkeit
bei Unterbringung der Versorgungsnetze ist doch nur eine der vielen
Sorgen, welche das riesenhafte Anwachsen der Groſsstädte ehrlichen
Verwaltungen bereiten wird und schon bereitet.

Nehmen aber die Groſsstädte auch ferner intensiv und extensiv
noch in ihrem Wachsthum zu, dann wird der Tag kommen, wo den ge-
bieterischen Forderungen der Versorgungsnetze gegenüber auſser den
Bürgersteigen die Straſsendämme für die Versorgungsnetze Preis ge-
geben werden müssen, und dann hat das Definitivum der Straſsendamm-
Befestigung ein Ende! Aber ehe dieser Augenblick eintritt, wird sich
gewiſs schon herausgestellt haben, daſs Subways, wo solche ausgeführt
sind, trotz weitgegriffenster Bemessung, den wachsenden Ansprüchen
nicht mehr zu genügen vermögen. Und dieses möchte ich dann für
das Bedenklichere halten.

Hobrecht.

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Zitationshilfe: Hobrecht, James: Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. In: Centralblatt der Bauverwaltung 10 (1890), Nr. 36, Sp. 353-356, Sp. 375-376, Nr. 37, Sp. 386-388, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_strassenbau_1890/18>, abgerufen am 18.04.2024.