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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Sechster Abschnitt. Gärten
Zwischen den Bäumen und Gebüschen, an den Gängen und neben den Ruhebänken,
die hin und wieder an schattigten Plätzen stehen, erscheinen Pflanzen, die dem Cha-
rakter des Ganzen beystimmen, als Märzviolen, Mayblumen, Schlüsselblumen,
Marienblümchen mit Krausemünze, Majoran, Thymian, Salvey und Lavendel un-
termischt. Ein anliegender Grasplatz, worauf einige Kühe umher irren, oder im
Winkel die kleinen gelbhaarigten Kinder der Gans sich zu dem Gefieder ihrer Mutter
drängen; ein Bach, der vom Springbrunnen, welcher im Vorhof plätschert, ab-
fließt, sich mit mäßigem Geräusch durch die Pflanzung schlängelt, und sich in eine
niedrige Wiese, oder in einen von Enten belebten Teich verliert; eine häusliche Fa-
milie von Tauben, die zwischen Schwalben, die nahe bey ihnen unter dem Schutz des
Gastrechts wohnen, oft den Garten überflattert; in der Ecke einige Bienenkörbe --
sind diesem Charakter sehr angemessene Auszierungen.

Keine Pracht, keine Kostbarkeit verträgt sich mit ihm; Nützlichkeit, Bequem-
lichkeit, Reinlichkeit und eine bescheidene Zierde sind sein Eigenthum. Daher keine
Statue, keine Vasen, keine glänzenden Werke der Kunst in einem ländlichen Garten;
auch keine edlen, noch weniger prächtigen Gebäude. Ein reicher Pavillon würde
hier eben so übel stehen, als eine Grotte oder Einsiedeley. Eine Laube von Ligu-
strum, von Rosen, oder spanischem Hollunder, Geißblatt und Jasmin geflochten,
oder von den Aesten einer Linde gewölbt; ein Waldhaus von Baumrinde zusammen-
geschlagen und mit Moos überzogen; ein einfaches Bauerhäuschen mit Stroh oder
Schilf gedeckt; am Teiche eine Fischerhütte; oder auf einer kleinen Erhöhung ein
Sonnenweiser, dies sind allein die Werke der Baukunst, die diese Gattung verträgt.
Und doch dürfen hier Gebäude voll Einfalt nur einzeln, niemals zu häufig, erschei-
nen; denn der Charakter des Ländlichen schließt zugleich eine gewisse Einsamkeit in
sich, die durch die Mehrheit dieser Werke verletzt würde. Ruhe, häusliche Einge-
zogenheit, stille Genügsamkeit, die

im eignen Schatten, durch den West gekühlet,
ihr Leben fühlet, *)

und eine nur von friedsamen Geschäften begleitete Behagung an den einfältigen Reizen
der Natur, sind die Vorstellungen und Empfindungen, die der ländliche Garten er-
regen soll. Er gefällt durch das Sanfte und das Ruhige; seine Eindrücke sind nicht
stark, aber einschmeichelnd; sie verschwinden vor einem Herzen, das voll Leidenschaft
brennt, das nur nach rauschenden Ergötzungen strebt; aber sie rühren jede Seele, die
noch nicht von der Welt verstimmt ward, die noch für das Gefühl des Friedens und

der
*) v. Kleist.

Sechster Abſchnitt. Gaͤrten
Zwiſchen den Baͤumen und Gebuͤſchen, an den Gaͤngen und neben den Ruhebaͤnken,
die hin und wieder an ſchattigten Plaͤtzen ſtehen, erſcheinen Pflanzen, die dem Cha-
rakter des Ganzen beyſtimmen, als Maͤrzviolen, Mayblumen, Schluͤſſelblumen,
Marienbluͤmchen mit Krauſemuͤnze, Majoran, Thymian, Salvey und Lavendel un-
termiſcht. Ein anliegender Grasplatz, worauf einige Kuͤhe umher irren, oder im
Winkel die kleinen gelbhaarigten Kinder der Gans ſich zu dem Gefieder ihrer Mutter
draͤngen; ein Bach, der vom Springbrunnen, welcher im Vorhof plaͤtſchert, ab-
fließt, ſich mit maͤßigem Geraͤuſch durch die Pflanzung ſchlaͤngelt, und ſich in eine
niedrige Wieſe, oder in einen von Enten belebten Teich verliert; eine haͤusliche Fa-
milie von Tauben, die zwiſchen Schwalben, die nahe bey ihnen unter dem Schutz des
Gaſtrechts wohnen, oft den Garten uͤberflattert; in der Ecke einige Bienenkoͤrbe —
ſind dieſem Charakter ſehr angemeſſene Auszierungen.

Keine Pracht, keine Koſtbarkeit vertraͤgt ſich mit ihm; Nuͤtzlichkeit, Bequem-
lichkeit, Reinlichkeit und eine beſcheidene Zierde ſind ſein Eigenthum. Daher keine
Statue, keine Vaſen, keine glaͤnzenden Werke der Kunſt in einem laͤndlichen Garten;
auch keine edlen, noch weniger praͤchtigen Gebaͤude. Ein reicher Pavillon wuͤrde
hier eben ſo uͤbel ſtehen, als eine Grotte oder Einſiedeley. Eine Laube von Ligu-
ſtrum, von Roſen, oder ſpaniſchem Hollunder, Geißblatt und Jasmin geflochten,
oder von den Aeſten einer Linde gewoͤlbt; ein Waldhaus von Baumrinde zuſammen-
geſchlagen und mit Moos uͤberzogen; ein einfaches Bauerhaͤuschen mit Stroh oder
Schilf gedeckt; am Teiche eine Fiſcherhuͤtte; oder auf einer kleinen Erhoͤhung ein
Sonnenweiſer, dies ſind allein die Werke der Baukunſt, die dieſe Gattung vertraͤgt.
Und doch duͤrfen hier Gebaͤude voll Einfalt nur einzeln, niemals zu haͤufig, erſchei-
nen; denn der Charakter des Laͤndlichen ſchließt zugleich eine gewiſſe Einſamkeit in
ſich, die durch die Mehrheit dieſer Werke verletzt wuͤrde. Ruhe, haͤusliche Einge-
zogenheit, ſtille Genuͤgſamkeit, die

im eignen Schatten, durch den Weſt gekuͤhlet,
ihr Leben fuͤhlet, *)

und eine nur von friedſamen Geſchaͤften begleitete Behagung an den einfaͤltigen Reizen
der Natur, ſind die Vorſtellungen und Empfindungen, die der laͤndliche Garten er-
regen ſoll. Er gefaͤllt durch das Sanfte und das Ruhige; ſeine Eindruͤcke ſind nicht
ſtark, aber einſchmeichelnd; ſie verſchwinden vor einem Herzen, das voll Leidenſchaft
brennt, das nur nach rauſchenden Ergoͤtzungen ſtrebt; aber ſie ruͤhren jede Seele, die
noch nicht von der Welt verſtimmt ward, die noch fuͤr das Gefuͤhl des Friedens und

der
*) v. Kleiſt.
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[66/0074] Sechster Abſchnitt. Gaͤrten Zwiſchen den Baͤumen und Gebuͤſchen, an den Gaͤngen und neben den Ruhebaͤnken, die hin und wieder an ſchattigten Plaͤtzen ſtehen, erſcheinen Pflanzen, die dem Cha- rakter des Ganzen beyſtimmen, als Maͤrzviolen, Mayblumen, Schluͤſſelblumen, Marienbluͤmchen mit Krauſemuͤnze, Majoran, Thymian, Salvey und Lavendel un- termiſcht. Ein anliegender Grasplatz, worauf einige Kuͤhe umher irren, oder im Winkel die kleinen gelbhaarigten Kinder der Gans ſich zu dem Gefieder ihrer Mutter draͤngen; ein Bach, der vom Springbrunnen, welcher im Vorhof plaͤtſchert, ab- fließt, ſich mit maͤßigem Geraͤuſch durch die Pflanzung ſchlaͤngelt, und ſich in eine niedrige Wieſe, oder in einen von Enten belebten Teich verliert; eine haͤusliche Fa- milie von Tauben, die zwiſchen Schwalben, die nahe bey ihnen unter dem Schutz des Gaſtrechts wohnen, oft den Garten uͤberflattert; in der Ecke einige Bienenkoͤrbe — ſind dieſem Charakter ſehr angemeſſene Auszierungen. Keine Pracht, keine Koſtbarkeit vertraͤgt ſich mit ihm; Nuͤtzlichkeit, Bequem- lichkeit, Reinlichkeit und eine beſcheidene Zierde ſind ſein Eigenthum. Daher keine Statue, keine Vaſen, keine glaͤnzenden Werke der Kunſt in einem laͤndlichen Garten; auch keine edlen, noch weniger praͤchtigen Gebaͤude. Ein reicher Pavillon wuͤrde hier eben ſo uͤbel ſtehen, als eine Grotte oder Einſiedeley. Eine Laube von Ligu- ſtrum, von Roſen, oder ſpaniſchem Hollunder, Geißblatt und Jasmin geflochten, oder von den Aeſten einer Linde gewoͤlbt; ein Waldhaus von Baumrinde zuſammen- geſchlagen und mit Moos uͤberzogen; ein einfaches Bauerhaͤuschen mit Stroh oder Schilf gedeckt; am Teiche eine Fiſcherhuͤtte; oder auf einer kleinen Erhoͤhung ein Sonnenweiſer, dies ſind allein die Werke der Baukunſt, die dieſe Gattung vertraͤgt. Und doch duͤrfen hier Gebaͤude voll Einfalt nur einzeln, niemals zu haͤufig, erſchei- nen; denn der Charakter des Laͤndlichen ſchließt zugleich eine gewiſſe Einſamkeit in ſich, die durch die Mehrheit dieſer Werke verletzt wuͤrde. Ruhe, haͤusliche Einge- zogenheit, ſtille Genuͤgſamkeit, die im eignen Schatten, durch den Weſt gekuͤhlet, ihr Leben fuͤhlet, *) und eine nur von friedſamen Geſchaͤften begleitete Behagung an den einfaͤltigen Reizen der Natur, ſind die Vorſtellungen und Empfindungen, die der laͤndliche Garten er- regen ſoll. Er gefaͤllt durch das Sanfte und das Ruhige; ſeine Eindruͤcke ſind nicht ſtark, aber einſchmeichelnd; ſie verſchwinden vor einem Herzen, das voll Leidenſchaft brennt, das nur nach rauſchenden Ergoͤtzungen ſtrebt; aber ſie ruͤhren jede Seele, die noch nicht von der Welt verſtimmt ward, die noch fuͤr das Gefuͤhl des Friedens und der *) v. Kleiſt.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/74>, abgerufen am 03.12.2024.