die Freyheit in der Lebensart und die Einfalt in den Sitten so wohl als in der Klei- dung mehr, als in der glücklichen und liebenswürdigen Familie des Hrn. Marquis von Gerardin. Hier mußte der eigensinnige Philosoph bald seinen Ekel an der Welt vergessen, und nicht allein Ruhe und Zufriedenheit in der schönen Natur wie- der finden, sondern sich auch in dem Umgange solcher edlen Personen mit der Mensch- heit aussöhnen.
3.
Bey einem so reinen Muster der verschönerten Natur, als Ermenonville darstellt, und bey so manchen schönen Gärten, die sich in der Gegend von Paris ver- mehren, muß man sich über die mancherley Verirrungen des Geschmacks wundern, die jetzt in so vielen andern neuen Anlagen sichtbar werden. Anstatt der nicht ganz unschicklichen Einfassung der Rasen mit Blumen, besetzt man die grünen Flächen mit Blumenkörben von seltsamen Formen; man verschließt noch die Schäfte der Bäume in viereckigte grüne Gitter, um den schönen Wuchs des Stamms zu ver- bergen; man beschneidet noch hin und wieder die wilden Bäume bis an ihren Gipfel, und läßt ihnen kaum so viel Zweige, um zu ihrem Wachsthum den Einfluß der Luft und Blätter zur Beschattung zu gewinnen. Einheimische Kenner sowohl als Fremde spotten darüber; aber noch immer fahren so viele Gärtner fort, die Natur zu verstellen. Bey der blinden Nachahmung des englischen Geschmacks wieder- holt man nicht bloß Fehler, man häuft auch neue. Alles, was ein großer Park enthalten kann, soll in den engen Raum von einem Morgen Landes zusammenge- drängt werden. Alles, was Asien an verschiedenen Bauarten zeigt, soll auf einem Fleck von einigen hundert Schritten nachgeahmt werden. Chinesische Misgeburten und Kiosken, die zu den Ungeheuern der neuen schwelgerischen Baukunst gehören, verdrängen die reine Einfalt der griechischen Architectur. Die Kunst der Gruppi- rung der Bäume auf grünen Flächen scheint noch wenig bekannt; sie stehen meist einsam, getrennt, ohne Verbindung und Beziehung, wie die Figuren auf manchen bis auf uns erhaltenen Gemälden des Alterthums. Die Bosquets sind meistens in einer gezirkelten und tändelnden Manier; oft genug noch symmetrisch angelegt, ohne die edle Freyheit der Natur, wodurch sie ihren Reiz gewinnen müssen. Und die Zwischenplätze sind zuweilen in seltsame Formen vertheilt, und z. B. wie ein Spiegel oder wie ein Papillon gebildet. Von solchen kleinen Spielwerken scheint sich der Geist der Gärtner noch nicht entwöhnen zu können. Mit Kunstwerken aller Art, besonders vermischten Gebäuden, Ruinen, Brücken, werden nicht selten die neuen Gärten überladen, und man scheint ganz den Werth des Einfachen und Natürli- chen zu verkennen. Auch in den Verzierungen der Kunstwerke selbst ist man zu-
weilen
Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten,
die Freyheit in der Lebensart und die Einfalt in den Sitten ſo wohl als in der Klei- dung mehr, als in der gluͤcklichen und liebenswuͤrdigen Familie des Hrn. Marquis von Gerardin. Hier mußte der eigenſinnige Philoſoph bald ſeinen Ekel an der Welt vergeſſen, und nicht allein Ruhe und Zufriedenheit in der ſchoͤnen Natur wie- der finden, ſondern ſich auch in dem Umgange ſolcher edlen Perſonen mit der Menſch- heit ausſoͤhnen.
3.
Bey einem ſo reinen Muſter der verſchoͤnerten Natur, als Ermenonville darſtellt, und bey ſo manchen ſchoͤnen Gaͤrten, die ſich in der Gegend von Paris ver- mehren, muß man ſich uͤber die mancherley Verirrungen des Geſchmacks wundern, die jetzt in ſo vielen andern neuen Anlagen ſichtbar werden. Anſtatt der nicht ganz unſchicklichen Einfaſſung der Raſen mit Blumen, beſetzt man die gruͤnen Flaͤchen mit Blumenkoͤrben von ſeltſamen Formen; man verſchließt noch die Schaͤfte der Baͤume in viereckigte gruͤne Gitter, um den ſchoͤnen Wuchs des Stamms zu ver- bergen; man beſchneidet noch hin und wieder die wilden Baͤume bis an ihren Gipfel, und laͤßt ihnen kaum ſo viel Zweige, um zu ihrem Wachsthum den Einfluß der Luft und Blaͤtter zur Beſchattung zu gewinnen. Einheimiſche Kenner ſowohl als Fremde ſpotten daruͤber; aber noch immer fahren ſo viele Gaͤrtner fort, die Natur zu verſtellen. Bey der blinden Nachahmung des engliſchen Geſchmacks wieder- holt man nicht bloß Fehler, man haͤuft auch neue. Alles, was ein großer Park enthalten kann, ſoll in den engen Raum von einem Morgen Landes zuſammenge- draͤngt werden. Alles, was Aſien an verſchiedenen Bauarten zeigt, ſoll auf einem Fleck von einigen hundert Schritten nachgeahmt werden. Chineſiſche Misgeburten und Kiosken, die zu den Ungeheuern der neuen ſchwelgeriſchen Baukunſt gehoͤren, verdraͤngen die reine Einfalt der griechiſchen Architectur. Die Kunſt der Gruppi- rung der Baͤume auf gruͤnen Flaͤchen ſcheint noch wenig bekannt; ſie ſtehen meiſt einſam, getrennt, ohne Verbindung und Beziehung, wie die Figuren auf manchen bis auf uns erhaltenen Gemaͤlden des Alterthums. Die Bosquets ſind meiſtens in einer gezirkelten und taͤndelnden Manier; oft genug noch ſymmetriſch angelegt, ohne die edle Freyheit der Natur, wodurch ſie ihren Reiz gewinnen muͤſſen. Und die Zwiſchenplaͤtze ſind zuweilen in ſeltſame Formen vertheilt, und z. B. wie ein Spiegel oder wie ein Papillon gebildet. Von ſolchen kleinen Spielwerken ſcheint ſich der Geiſt der Gaͤrtner noch nicht entwoͤhnen zu koͤnnen. Mit Kunſtwerken aller Art, beſonders vermiſchten Gebaͤuden, Ruinen, Bruͤcken, werden nicht ſelten die neuen Gaͤrten uͤberladen, und man ſcheint ganz den Werth des Einfachen und Natuͤrli- chen zu verkennen. Auch in den Verzierungen der Kunſtwerke ſelbſt iſt man zu-
weilen
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Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten,
die Freyheit in der Lebensart und die Einfalt in den Sitten ſo wohl als in der Klei-
dung mehr, als in der gluͤcklichen und liebenswuͤrdigen Familie des Hrn. Marquis
von Gerardin. Hier mußte der eigenſinnige Philoſoph bald ſeinen Ekel an der
Welt vergeſſen, und nicht allein Ruhe und Zufriedenheit in der ſchoͤnen Natur wie-
der finden, ſondern ſich auch in dem Umgange ſolcher edlen Perſonen mit der Menſch-
heit ausſoͤhnen.
3.
Bey einem ſo reinen Muſter der verſchoͤnerten Natur, als Ermenonville
darſtellt, und bey ſo manchen ſchoͤnen Gaͤrten, die ſich in der Gegend von Paris ver-
mehren, muß man ſich uͤber die mancherley Verirrungen des Geſchmacks wundern,
die jetzt in ſo vielen andern neuen Anlagen ſichtbar werden. Anſtatt der nicht ganz
unſchicklichen Einfaſſung der Raſen mit Blumen, beſetzt man die gruͤnen Flaͤchen
mit Blumenkoͤrben von ſeltſamen Formen; man verſchließt noch die Schaͤfte der
Baͤume in viereckigte gruͤne Gitter, um den ſchoͤnen Wuchs des Stamms zu ver-
bergen; man beſchneidet noch hin und wieder die wilden Baͤume bis an ihren Gipfel,
und laͤßt ihnen kaum ſo viel Zweige, um zu ihrem Wachsthum den Einfluß der
Luft und Blaͤtter zur Beſchattung zu gewinnen. Einheimiſche Kenner ſowohl als
Fremde ſpotten daruͤber; aber noch immer fahren ſo viele Gaͤrtner fort, die Natur
zu verſtellen. Bey der blinden Nachahmung des engliſchen Geſchmacks wieder-
holt man nicht bloß Fehler, man haͤuft auch neue. Alles, was ein großer Park
enthalten kann, ſoll in den engen Raum von einem Morgen Landes zuſammenge-
draͤngt werden. Alles, was Aſien an verſchiedenen Bauarten zeigt, ſoll auf einem
Fleck von einigen hundert Schritten nachgeahmt werden. Chineſiſche Misgeburten
und Kiosken, die zu den Ungeheuern der neuen ſchwelgeriſchen Baukunſt gehoͤren,
verdraͤngen die reine Einfalt der griechiſchen Architectur. Die Kunſt der Gruppi-
rung der Baͤume auf gruͤnen Flaͤchen ſcheint noch wenig bekannt; ſie ſtehen meiſt
einſam, getrennt, ohne Verbindung und Beziehung, wie die Figuren auf manchen
bis auf uns erhaltenen Gemaͤlden des Alterthums. Die Bosquets ſind meiſtens in
einer gezirkelten und taͤndelnden Manier; oft genug noch ſymmetriſch angelegt, ohne
die edle Freyheit der Natur, wodurch ſie ihren Reiz gewinnen muͤſſen. Und die
Zwiſchenplaͤtze ſind zuweilen in ſeltſame Formen vertheilt, und z. B. wie ein Spiegel
oder wie ein Papillon gebildet. Von ſolchen kleinen Spielwerken ſcheint ſich der
Geiſt der Gaͤrtner noch nicht entwoͤhnen zu koͤnnen. Mit Kunſtwerken aller Art,
beſonders vermiſchten Gebaͤuden, Ruinen, Bruͤcken, werden nicht ſelten die neuen
Gaͤrten uͤberladen, und man ſcheint ganz den Werth des Einfachen und Natuͤrli-
chen zu verkennen. Auch in den Verzierungen der Kunſtwerke ſelbſt iſt man zu-
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/272>, abgerufen am 19.07.2024.
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