Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Anhang.
Italien, der sich von einem Gärtner zum Bischof erhob, aber diese Würde wieder
für die Ruhe und Annehmlichkeit seines ersten Standes verließ. Die Geschichte,
wahr oder erdichtet, giebt doch hier Veranlassung zu einer neuen und für die Gärt-
nerey sehr schmeichelhaften Vorstellung. Die äußern Wände der Kapelle und das
Dach sind halb mit Weinranken überzogen. Beym Eintreten trifft man einen
großen, heitern und schönen Saal an, der das Inwendige dieses Gebäudes aus-
macht, und mit Kupferstichen, mit Büsten und ganzen Figuren, die berühmten
Antiken nachgebildet sind, ausgeziert ist. Man hat aus dem Saal verschiedene
fein ausgewählte Prospecte.

An der Seite dieses Gebäudes befindet sich ein Vogelhaus, und vor ihm
ein offener bedeckter Sitz. Man ruhet hier unter den lieblichsten Aussichten, und
wird von den mannichfaltigen Stimmen dieser kleinen befiederten Klostergesellschaft
unterhalten. Gerne wendet man sich, um sie in ihren Zellen zu belauschen; sie
flattern froh hervor und scheinen dem neugierigen Beschauer zuzurufen, daß hier noch
das süße Recht der Liebe, selbst hinter dem verschließenden Gitter, gilt.

Von dieser Gegend gelangt man, indem man neben einem wohl angelegten
Wasser fortwandelt, das sich ins Gebüsch mit einem Schein der Vergrößerung hin-
einzieht, und mit verschiedenen Brücken geziert ist, zu Ruinen, die an dieser Ecke
des Gartens liegen. Sie geben einen kühlen Sitz. Man schaut von hier zurück
auf das Wasser hin, unter der hohen chinesischen Brücke fort. Das Wasser, das
sich in dieser Aussicht verliert und noch weit fortzufließen scheint, wird von dem Ra-
sen, der sich daran hinschmiegt, und von den Wiederscheinen der Gebüsche, der
Blumen und der Brücken verschönert; Enten rudern darauf schnatternd umher.
Der Blick fällt zuletzt auf die Hinterseite der Kapelle, hinter welcher die Gipfel der
Pflanzung, und besonders eine über sie prächtig emporsteigende italiänische Pappel,
den Gesichtskreis schließen.

Gleich hinter den Ruinen, die malerisch und in der Ferne täuschend unter den
Bäumen liegen und von ihnen halb überwachsen sind, befindet sich eine noch erhal-
tene kleine Todtenkapelle, zu welcher ein fast verdeckter dunkler Seitengang herum-
schleicht. Sie ist mit Vorstellungen der Andacht aus längst verlebten Jahrhunder-
ten der rohen Kunst, mit gothischem Schnitzwerk, mit Bildern der Sterblichkeit,
mit Todtenkammern und den übrigen Auszierungen einer Kapelle der römischen
Kirche angefüllt. Alles stimmt in dieser Nachahmung mit den Urbildern dieser Art
ganz getreu überein; alles ist so täuschend, daß man nicht mehr getäuscht zu seyn
glaubt. Eine Wohnung des ernsten Nachdenkens und der Melancholie; jeder Ge-
danke sinkt hier trüber herab; das Herz wird von einem mächtigen Schauder der

Sterblich-

Erſter Anhang.
Italien, der ſich von einem Gaͤrtner zum Biſchof erhob, aber dieſe Wuͤrde wieder
fuͤr die Ruhe und Annehmlichkeit ſeines erſten Standes verließ. Die Geſchichte,
wahr oder erdichtet, giebt doch hier Veranlaſſung zu einer neuen und fuͤr die Gaͤrt-
nerey ſehr ſchmeichelhaften Vorſtellung. Die aͤußern Waͤnde der Kapelle und das
Dach ſind halb mit Weinranken uͤberzogen. Beym Eintreten trifft man einen
großen, heitern und ſchoͤnen Saal an, der das Inwendige dieſes Gebaͤudes aus-
macht, und mit Kupferſtichen, mit Buͤſten und ganzen Figuren, die beruͤhmten
Antiken nachgebildet ſind, ausgeziert iſt. Man hat aus dem Saal verſchiedene
fein ausgewaͤhlte Proſpecte.

An der Seite dieſes Gebaͤudes befindet ſich ein Vogelhaus, und vor ihm
ein offener bedeckter Sitz. Man ruhet hier unter den lieblichſten Ausſichten, und
wird von den mannichfaltigen Stimmen dieſer kleinen befiederten Kloſtergeſellſchaft
unterhalten. Gerne wendet man ſich, um ſie in ihren Zellen zu belauſchen; ſie
flattern froh hervor und ſcheinen dem neugierigen Beſchauer zuzurufen, daß hier noch
das ſuͤße Recht der Liebe, ſelbſt hinter dem verſchließenden Gitter, gilt.

Von dieſer Gegend gelangt man, indem man neben einem wohl angelegten
Waſſer fortwandelt, das ſich ins Gebuͤſch mit einem Schein der Vergroͤßerung hin-
einzieht, und mit verſchiedenen Bruͤcken geziert iſt, zu Ruinen, die an dieſer Ecke
des Gartens liegen. Sie geben einen kuͤhlen Sitz. Man ſchaut von hier zuruͤck
auf das Waſſer hin, unter der hohen chineſiſchen Bruͤcke fort. Das Waſſer, das
ſich in dieſer Ausſicht verliert und noch weit fortzufließen ſcheint, wird von dem Ra-
ſen, der ſich daran hinſchmiegt, und von den Wiederſcheinen der Gebuͤſche, der
Blumen und der Bruͤcken verſchoͤnert; Enten rudern darauf ſchnatternd umher.
Der Blick faͤllt zuletzt auf die Hinterſeite der Kapelle, hinter welcher die Gipfel der
Pflanzung, und beſonders eine uͤber ſie praͤchtig emporſteigende italiaͤniſche Pappel,
den Geſichtskreis ſchließen.

Gleich hinter den Ruinen, die maleriſch und in der Ferne taͤuſchend unter den
Baͤumen liegen und von ihnen halb uͤberwachſen ſind, befindet ſich eine noch erhal-
tene kleine Todtenkapelle, zu welcher ein faſt verdeckter dunkler Seitengang herum-
ſchleicht. Sie iſt mit Vorſtellungen der Andacht aus laͤngſt verlebten Jahrhunder-
ten der rohen Kunſt, mit gothiſchem Schnitzwerk, mit Bildern der Sterblichkeit,
mit Todtenkammern und den uͤbrigen Auszierungen einer Kapelle der roͤmiſchen
Kirche angefuͤllt. Alles ſtimmt in dieſer Nachahmung mit den Urbildern dieſer Art
ganz getreu uͤberein; alles iſt ſo taͤuſchend, daß man nicht mehr getaͤuſcht zu ſeyn
glaubt. Eine Wohnung des ernſten Nachdenkens und der Melancholie; jeder Ge-
danke ſinkt hier truͤber herab; das Herz wird von einem maͤchtigen Schauder der

Sterblich-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="200"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;ter Anhang.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Italien,</hi> der &#x017F;ich von einem Ga&#x0364;rtner zum Bi&#x017F;chof erhob, aber die&#x017F;e Wu&#x0364;rde wieder<lb/>
fu&#x0364;r die Ruhe und Annehmlichkeit &#x017F;eines er&#x017F;ten Standes verließ. Die Ge&#x017F;chichte,<lb/>
wahr oder erdichtet, giebt doch hier Veranla&#x017F;&#x017F;ung zu einer neuen und fu&#x0364;r die Ga&#x0364;rt-<lb/>
nerey &#x017F;ehr &#x017F;chmeichelhaften Vor&#x017F;tellung. Die a&#x0364;ußern Wa&#x0364;nde der Kapelle und das<lb/>
Dach &#x017F;ind halb mit Weinranken u&#x0364;berzogen. Beym Eintreten trifft man einen<lb/>
großen, heitern und &#x017F;cho&#x0364;nen Saal an, der das Inwendige die&#x017F;es Geba&#x0364;udes aus-<lb/>
macht, und mit Kupfer&#x017F;tichen, mit Bu&#x0364;&#x017F;ten und ganzen Figuren, die beru&#x0364;hmten<lb/>
Antiken nachgebildet &#x017F;ind, ausgeziert i&#x017F;t. Man hat aus dem Saal ver&#x017F;chiedene<lb/>
fein ausgewa&#x0364;hlte Pro&#x017F;pecte.</p><lb/>
          <p>An der Seite die&#x017F;es Geba&#x0364;udes befindet &#x017F;ich ein Vogelhaus, und vor ihm<lb/>
ein offener bedeckter Sitz. Man ruhet hier unter den lieblich&#x017F;ten Aus&#x017F;ichten, und<lb/>
wird von den mannichfaltigen Stimmen die&#x017F;er kleinen befiederten Klo&#x017F;terge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
unterhalten. Gerne wendet man &#x017F;ich, um &#x017F;ie in ihren Zellen zu belau&#x017F;chen; &#x017F;ie<lb/>
flattern froh hervor und &#x017F;cheinen dem neugierigen Be&#x017F;chauer zuzurufen, daß hier noch<lb/>
das &#x017F;u&#x0364;ße Recht der Liebe, &#x017F;elb&#x017F;t hinter dem ver&#x017F;chließenden Gitter, gilt.</p><lb/>
          <p>Von die&#x017F;er Gegend gelangt man, indem man neben einem wohl angelegten<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er fortwandelt, das &#x017F;ich ins Gebu&#x0364;&#x017F;ch mit einem Schein der Vergro&#x0364;ßerung hin-<lb/>
einzieht, und mit ver&#x017F;chiedenen Bru&#x0364;cken geziert i&#x017F;t, zu Ruinen, die an die&#x017F;er Ecke<lb/>
des Gartens liegen. Sie geben einen ku&#x0364;hlen Sitz. Man &#x017F;chaut von hier zuru&#x0364;ck<lb/>
auf das Wa&#x017F;&#x017F;er hin, unter der hohen chine&#x017F;i&#x017F;chen Bru&#x0364;cke fort. Das Wa&#x017F;&#x017F;er, das<lb/>
&#x017F;ich in die&#x017F;er Aus&#x017F;icht verliert und noch weit fortzufließen &#x017F;cheint, wird von dem Ra-<lb/>
&#x017F;en, der &#x017F;ich daran hin&#x017F;chmiegt, und von den Wieder&#x017F;cheinen der Gebu&#x0364;&#x017F;che, der<lb/>
Blumen und der Bru&#x0364;cken ver&#x017F;cho&#x0364;nert; Enten rudern darauf &#x017F;chnatternd umher.<lb/>
Der Blick fa&#x0364;llt zuletzt auf die Hinter&#x017F;eite der Kapelle, hinter welcher die Gipfel der<lb/>
Pflanzung, und be&#x017F;onders eine u&#x0364;ber &#x017F;ie pra&#x0364;chtig empor&#x017F;teigende <hi rendition="#fr">italia&#x0364;ni&#x017F;che</hi> Pappel,<lb/>
den Ge&#x017F;ichtskreis &#x017F;chließen.</p><lb/>
          <p>Gleich hinter den Ruinen, die maleri&#x017F;ch und in der Ferne ta&#x0364;u&#x017F;chend unter den<lb/>
Ba&#x0364;umen liegen und von ihnen halb u&#x0364;berwach&#x017F;en &#x017F;ind, befindet &#x017F;ich eine noch erhal-<lb/>
tene kleine Todtenkapelle, zu welcher ein fa&#x017F;t verdeckter dunkler Seitengang herum-<lb/>
&#x017F;chleicht. Sie i&#x017F;t mit Vor&#x017F;tellungen der Andacht aus la&#x0364;ng&#x017F;t verlebten Jahrhunder-<lb/>
ten der rohen Kun&#x017F;t, mit <hi rendition="#fr">gothi&#x017F;chem</hi> Schnitzwerk, mit Bildern der Sterblichkeit,<lb/>
mit Todtenkammern und den u&#x0364;brigen Auszierungen einer Kapelle der <hi rendition="#fr">ro&#x0364;mi&#x017F;chen</hi><lb/>
Kirche angefu&#x0364;llt. Alles &#x017F;timmt in die&#x017F;er Nachahmung mit den Urbildern die&#x017F;er Art<lb/>
ganz getreu u&#x0364;berein; alles i&#x017F;t &#x017F;o ta&#x0364;u&#x017F;chend, daß man nicht mehr geta&#x0364;u&#x017F;cht zu &#x017F;eyn<lb/>
glaubt. Eine Wohnung des ern&#x017F;ten Nachdenkens und der Melancholie; jeder Ge-<lb/>
danke &#x017F;inkt hier tru&#x0364;ber herab; das Herz wird von einem ma&#x0364;chtigen Schauder der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sterblich-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0208] Erſter Anhang. Italien, der ſich von einem Gaͤrtner zum Biſchof erhob, aber dieſe Wuͤrde wieder fuͤr die Ruhe und Annehmlichkeit ſeines erſten Standes verließ. Die Geſchichte, wahr oder erdichtet, giebt doch hier Veranlaſſung zu einer neuen und fuͤr die Gaͤrt- nerey ſehr ſchmeichelhaften Vorſtellung. Die aͤußern Waͤnde der Kapelle und das Dach ſind halb mit Weinranken uͤberzogen. Beym Eintreten trifft man einen großen, heitern und ſchoͤnen Saal an, der das Inwendige dieſes Gebaͤudes aus- macht, und mit Kupferſtichen, mit Buͤſten und ganzen Figuren, die beruͤhmten Antiken nachgebildet ſind, ausgeziert iſt. Man hat aus dem Saal verſchiedene fein ausgewaͤhlte Proſpecte. An der Seite dieſes Gebaͤudes befindet ſich ein Vogelhaus, und vor ihm ein offener bedeckter Sitz. Man ruhet hier unter den lieblichſten Ausſichten, und wird von den mannichfaltigen Stimmen dieſer kleinen befiederten Kloſtergeſellſchaft unterhalten. Gerne wendet man ſich, um ſie in ihren Zellen zu belauſchen; ſie flattern froh hervor und ſcheinen dem neugierigen Beſchauer zuzurufen, daß hier noch das ſuͤße Recht der Liebe, ſelbſt hinter dem verſchließenden Gitter, gilt. Von dieſer Gegend gelangt man, indem man neben einem wohl angelegten Waſſer fortwandelt, das ſich ins Gebuͤſch mit einem Schein der Vergroͤßerung hin- einzieht, und mit verſchiedenen Bruͤcken geziert iſt, zu Ruinen, die an dieſer Ecke des Gartens liegen. Sie geben einen kuͤhlen Sitz. Man ſchaut von hier zuruͤck auf das Waſſer hin, unter der hohen chineſiſchen Bruͤcke fort. Das Waſſer, das ſich in dieſer Ausſicht verliert und noch weit fortzufließen ſcheint, wird von dem Ra- ſen, der ſich daran hinſchmiegt, und von den Wiederſcheinen der Gebuͤſche, der Blumen und der Bruͤcken verſchoͤnert; Enten rudern darauf ſchnatternd umher. Der Blick faͤllt zuletzt auf die Hinterſeite der Kapelle, hinter welcher die Gipfel der Pflanzung, und beſonders eine uͤber ſie praͤchtig emporſteigende italiaͤniſche Pappel, den Geſichtskreis ſchließen. Gleich hinter den Ruinen, die maleriſch und in der Ferne taͤuſchend unter den Baͤumen liegen und von ihnen halb uͤberwachſen ſind, befindet ſich eine noch erhal- tene kleine Todtenkapelle, zu welcher ein faſt verdeckter dunkler Seitengang herum- ſchleicht. Sie iſt mit Vorſtellungen der Andacht aus laͤngſt verlebten Jahrhunder- ten der rohen Kunſt, mit gothiſchem Schnitzwerk, mit Bildern der Sterblichkeit, mit Todtenkammern und den uͤbrigen Auszierungen einer Kapelle der roͤmiſchen Kirche angefuͤllt. Alles ſtimmt in dieſer Nachahmung mit den Urbildern dieſer Art ganz getreu uͤberein; alles iſt ſo taͤuſchend, daß man nicht mehr getaͤuſcht zu ſeyn glaubt. Eine Wohnung des ernſten Nachdenkens und der Melancholie; jeder Ge- danke ſinkt hier truͤber herab; das Herz wird von einem maͤchtigen Schauder der Sterblich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/208
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/208>, abgerufen am 11.05.2024.