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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Achter Abschnitt. Gartenmäßige Verschönerung
gang zu befinden. Die Stämme sind in der That so gerade, so glatt, von solchem
Verhältniß der Dicke gegen die Höhe, und in solcher Weite aus einander, daß man
sie für Säulen halten kann. Da, wo etliche Reihen dieser Bäume neben einander
stehen, bildet man sich ein, in dem doppelten Peristyl eines alten griechischen Tem-
pels zu seyn. "Niemals, setzt Sulzer hinzu, habe ich in Gärten oder Lustwäl-
dern etwas gesehen, das einen so feyerlichen Eindruck auf mich gemacht hätte, als
diese herrlichen Alleen von Pappeln."

So angenehm auch die Besetzung der Landstraßen mit Bäumen auf beyden
Seiten in gerader Linie ist, so hat diese Art der Bepflanzung doch zwey Unbequem-
lichkeiten: sie ermüdet durch die Einförmigkeit, und sie verstecket oft die schönsten
Aussichten. Man bemerkt, daß selbst in der Bergstraße sich zuweilen die anmu-
thigsten Landschaftgemälde hinter den waldigten Bäumen verbergen. Die Bepflan-
zung sollte daher so eingerichtet werden, daß sie immer einen schönen Vorgrund zu
den Landschaften ausmachte. Und dazu sind Gruppen mit perspectivischen Oeffnun-
gen die trefflichsten Mittel. Schlängelt sich die Straße mit langen freyen Krüm-
mungen fort, so kann nichts reizender für das Auge seyn, als vor sich auf die bald
größern, bald kleinern, bald nähern, bald entferntern Baumgruppen hinzuschauen,
die sich mit den Wendungen des Weges dahinwinden. Und im Verfolg der Reise
ändert sich immer, mit jeder Fortschreitung, die Aussicht der Landschaft. Die
Gruppen sind sodann nicht mehr bloße Mittel der Beschattung; sie erhalten eine hö-
here Bestimmung, indem sie Gesichtspunkte werden, die den Reiz der Landschaft in
einzelnen verschönerten Gemälden erscheinen lassen. Die Anlage der Gruppen ist
demnach in diesem Fall allein dem Charakter der Landschaft und seinen Wirkungen
untergeordnet. Die großen Massen der Landschaft müssen in kleinern Partien ge-
sammelt werden, die das Auge nicht mehr zerstreuen, sondern es anhalten und be-
schäftigen. Die abgesonderten Theile müssen in Richtungen und in Lichtern erschei-
nen, wodurch sie einen neuen Reiz gewinnen. Sie müssen eine Folge von nach und
nach hervortretenden, immer abwechselnden Gemälden werden, die, durch die Abän-
derung der Vorgründe, durch die verschiedenen Mischungen des Lichts und des
Schattens, durch die Verschmelzungen der Farben, doch der umliegenden Landschaft,
so sehr sie aus ihrer Masse hervorbrechen, nicht ganz zu gehören scheinen. Eine
Anlage von dieser Kunst würde nicht bloße Ergötzung für das Auge, sondern zu-
gleich die feinste Unterhaltung für den Geist geben. Allein so lange auch schon
die Natur selbst dahin winkte, so wenig scheint man doch bisher darauf geachtet
zu haben.

Die

Achter Abſchnitt. Gartenmaͤßige Verſchoͤnerung
gang zu befinden. Die Staͤmme ſind in der That ſo gerade, ſo glatt, von ſolchem
Verhaͤltniß der Dicke gegen die Hoͤhe, und in ſolcher Weite aus einander, daß man
ſie fuͤr Saͤulen halten kann. Da, wo etliche Reihen dieſer Baͤume neben einander
ſtehen, bildet man ſich ein, in dem doppelten Periſtyl eines alten griechiſchen Tem-
pels zu ſeyn. „Niemals, ſetzt Sulzer hinzu, habe ich in Gaͤrten oder Luſtwaͤl-
dern etwas geſehen, das einen ſo feyerlichen Eindruck auf mich gemacht haͤtte, als
dieſe herrlichen Alleen von Pappeln.“

So angenehm auch die Beſetzung der Landſtraßen mit Baͤumen auf beyden
Seiten in gerader Linie iſt, ſo hat dieſe Art der Bepflanzung doch zwey Unbequem-
lichkeiten: ſie ermuͤdet durch die Einfoͤrmigkeit, und ſie verſtecket oft die ſchoͤnſten
Ausſichten. Man bemerkt, daß ſelbſt in der Bergſtraße ſich zuweilen die anmu-
thigſten Landſchaftgemaͤlde hinter den waldigten Baͤumen verbergen. Die Bepflan-
zung ſollte daher ſo eingerichtet werden, daß ſie immer einen ſchoͤnen Vorgrund zu
den Landſchaften ausmachte. Und dazu ſind Gruppen mit perſpectiviſchen Oeffnun-
gen die trefflichſten Mittel. Schlaͤngelt ſich die Straße mit langen freyen Kruͤm-
mungen fort, ſo kann nichts reizender fuͤr das Auge ſeyn, als vor ſich auf die bald
groͤßern, bald kleinern, bald naͤhern, bald entferntern Baumgruppen hinzuſchauen,
die ſich mit den Wendungen des Weges dahinwinden. Und im Verfolg der Reiſe
aͤndert ſich immer, mit jeder Fortſchreitung, die Ausſicht der Landſchaft. Die
Gruppen ſind ſodann nicht mehr bloße Mittel der Beſchattung; ſie erhalten eine hoͤ-
here Beſtimmung, indem ſie Geſichtspunkte werden, die den Reiz der Landſchaft in
einzelnen verſchoͤnerten Gemaͤlden erſcheinen laſſen. Die Anlage der Gruppen iſt
demnach in dieſem Fall allein dem Charakter der Landſchaft und ſeinen Wirkungen
untergeordnet. Die großen Maſſen der Landſchaft muͤſſen in kleinern Partien ge-
ſammelt werden, die das Auge nicht mehr zerſtreuen, ſondern es anhalten und be-
ſchaͤftigen. Die abgeſonderten Theile muͤſſen in Richtungen und in Lichtern erſchei-
nen, wodurch ſie einen neuen Reiz gewinnen. Sie muͤſſen eine Folge von nach und
nach hervortretenden, immer abwechſelnden Gemaͤlden werden, die, durch die Abaͤn-
derung der Vorgruͤnde, durch die verſchiedenen Miſchungen des Lichts und des
Schattens, durch die Verſchmelzungen der Farben, doch der umliegenden Landſchaft,
ſo ſehr ſie aus ihrer Maſſe hervorbrechen, nicht ganz zu gehoͤren ſcheinen. Eine
Anlage von dieſer Kunſt wuͤrde nicht bloße Ergoͤtzung fuͤr das Auge, ſondern zu-
gleich die feinſte Unterhaltung fuͤr den Geiſt geben. Allein ſo lange auch ſchon
die Natur ſelbſt dahin winkte, ſo wenig ſcheint man doch bisher darauf geachtet
zu haben.

Die
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[184/0192] Achter Abſchnitt. Gartenmaͤßige Verſchoͤnerung gang zu befinden. Die Staͤmme ſind in der That ſo gerade, ſo glatt, von ſolchem Verhaͤltniß der Dicke gegen die Hoͤhe, und in ſolcher Weite aus einander, daß man ſie fuͤr Saͤulen halten kann. Da, wo etliche Reihen dieſer Baͤume neben einander ſtehen, bildet man ſich ein, in dem doppelten Periſtyl eines alten griechiſchen Tem- pels zu ſeyn. „Niemals, ſetzt Sulzer hinzu, habe ich in Gaͤrten oder Luſtwaͤl- dern etwas geſehen, das einen ſo feyerlichen Eindruck auf mich gemacht haͤtte, als dieſe herrlichen Alleen von Pappeln.“ So angenehm auch die Beſetzung der Landſtraßen mit Baͤumen auf beyden Seiten in gerader Linie iſt, ſo hat dieſe Art der Bepflanzung doch zwey Unbequem- lichkeiten: ſie ermuͤdet durch die Einfoͤrmigkeit, und ſie verſtecket oft die ſchoͤnſten Ausſichten. Man bemerkt, daß ſelbſt in der Bergſtraße ſich zuweilen die anmu- thigſten Landſchaftgemaͤlde hinter den waldigten Baͤumen verbergen. Die Bepflan- zung ſollte daher ſo eingerichtet werden, daß ſie immer einen ſchoͤnen Vorgrund zu den Landſchaften ausmachte. Und dazu ſind Gruppen mit perſpectiviſchen Oeffnun- gen die trefflichſten Mittel. Schlaͤngelt ſich die Straße mit langen freyen Kruͤm- mungen fort, ſo kann nichts reizender fuͤr das Auge ſeyn, als vor ſich auf die bald groͤßern, bald kleinern, bald naͤhern, bald entferntern Baumgruppen hinzuſchauen, die ſich mit den Wendungen des Weges dahinwinden. Und im Verfolg der Reiſe aͤndert ſich immer, mit jeder Fortſchreitung, die Ausſicht der Landſchaft. Die Gruppen ſind ſodann nicht mehr bloße Mittel der Beſchattung; ſie erhalten eine hoͤ- here Beſtimmung, indem ſie Geſichtspunkte werden, die den Reiz der Landſchaft in einzelnen verſchoͤnerten Gemaͤlden erſcheinen laſſen. Die Anlage der Gruppen iſt demnach in dieſem Fall allein dem Charakter der Landſchaft und ſeinen Wirkungen untergeordnet. Die großen Maſſen der Landſchaft muͤſſen in kleinern Partien ge- ſammelt werden, die das Auge nicht mehr zerſtreuen, ſondern es anhalten und be- ſchaͤftigen. Die abgeſonderten Theile muͤſſen in Richtungen und in Lichtern erſchei- nen, wodurch ſie einen neuen Reiz gewinnen. Sie muͤſſen eine Folge von nach und nach hervortretenden, immer abwechſelnden Gemaͤlden werden, die, durch die Abaͤn- derung der Vorgruͤnde, durch die verſchiedenen Miſchungen des Lichts und des Schattens, durch die Verſchmelzungen der Farben, doch der umliegenden Landſchaft, ſo ſehr ſie aus ihrer Maſſe hervorbrechen, nicht ganz zu gehoͤren ſcheinen. Eine Anlage von dieſer Kunſt wuͤrde nicht bloße Ergoͤtzung fuͤr das Auge, ſondern zu- gleich die feinſte Unterhaltung fuͤr den Geiſt geben. Allein ſo lange auch ſchon die Natur ſelbſt dahin winkte, ſo wenig ſcheint man doch bisher darauf geachtet zu haben. Die

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/192>, abgerufen am 22.11.2024.