"Schlangenbad ist übrigens ein gar angenehmer Aufenthalt, die fansteste, lieblichste Einsamkeit zwischen Bergen, die freylich die Aussicht verhindern, aber doch sich genug öffnen, um der Gegend nichts Dumpfes zu geben und nichts Finsteres. Schlangenbad ist nicht, wie Pyrmont, der Aufenthalt lauter rauschender Freu- de und glänzender Geselligkeit. Es ist keine einzige Allee da, wo viele Menschen bey einander könnten hergehen. Aber die schmalen Heckengänge laden, wie die ganze Gegend, die Seele ein zu einsamem und stillem Nachdenken. In jedem Lüftchen wehet philosophische Melancholie; aber es ist ruhige Melancholle, mehr Ernst, als Schwermuth, mehr ein Vergessen von allem, was dem Herzen wehe thut, als schwärmerischer Genuß des Gegenwärtigen. Die Einbildungskraft schwelgt nicht, sie schlummert in lieblich träumender Ruhe. Das liebe Thal, so eng, so grün, so still und einsam, scheint mit jedem Blick die Lehre ins Herz zu prägen: daß der Mensch wenig bedarf."
Zu ähnlichen lieblichen Phantasien, zu eben solchen sanften Begeisterungen des Herzens werden leicht empfindsame Seelen in der stillen Ruhe dieses Thals hin- gerissen. Hier ist noch eine kleine Schilderung von den Eindrücken dieser Ge- gend. *)
"Der ganze Weg, der sich durch ein tiefes, einsames und schattigtes Thal geschlängelt, und der Pfad zu einer der verstecktesten Einsiedeleyen zu seyn scheint, prallt nun plötzlich auf einen Haufen von kostbaren Gebäuden und künstlich angelegten Spa- ziergängen an. Auch ohne das sanfte Gemurmel, das unaufhörlich und von allen Seiten durch kleine Wasserfälle und Springbrunnen erregt wird, würde hier einem jeden die Vorstellung eines bezauberten Palastes durch den Sinn fahren müssen. Wo man sich hinwendet, ist ein Gegenstand, der die Neugierde und den Reiz zum Ver- gnügen lockt. Der müdeste Wanderer wird hier durch immer neue Befriedigung und immer neues Verlangen, ungestört durch die Mattigkeit seiner Glieder, von einem Schooß des Vergnügens zum andern fortgerollt. Verdeckte Gänge, geräumige Säle, lange mit Zimmern besetzte Hallen, wechseln labyrinthisch mit grünen schattigten Lau- ben, Hecken, Grasstücken und Fruchtgärten ab. Rund umher sind aufgewälzte Berge, theils mit grünen beschattenden Bäumen, theils mit fürchterlichen mit Moos bedeckten hervorstechenden Felsenspitzen bekleidet. Unzählige lockende Fußsteige füh- ren unvermuthet zu immer neuen und veränderten Gegenständen, bald auf eine rauhe ganz abgelegene Klippe, von der man plötzlich in eine weite herrliche Aussicht dringt, und der Blick auf viele Meilen weit herumschweifen kann; bald kömmt man wieder
in
*) Aus der Beschreibung eines Aufenthalts im Schlangenbade 1777. 8. Riga. 1779.
O 3
von beſondern Beſtimmungen abhaͤngig iſt.
„Schlangenbad iſt uͤbrigens ein gar angenehmer Aufenthalt, die fanſteſte, lieblichſte Einſamkeit zwiſchen Bergen, die freylich die Ausſicht verhindern, aber doch ſich genug oͤffnen, um der Gegend nichts Dumpfes zu geben und nichts Finſteres. Schlangenbad iſt nicht, wie Pyrmont, der Aufenthalt lauter rauſchender Freu- de und glaͤnzender Geſelligkeit. Es iſt keine einzige Allee da, wo viele Menſchen bey einander koͤnnten hergehen. Aber die ſchmalen Heckengaͤnge laden, wie die ganze Gegend, die Seele ein zu einſamem und ſtillem Nachdenken. In jedem Luͤftchen wehet philoſophiſche Melancholie; aber es iſt ruhige Melancholle, mehr Ernſt, als Schwermuth, mehr ein Vergeſſen von allem, was dem Herzen wehe thut, als ſchwaͤrmeriſcher Genuß des Gegenwaͤrtigen. Die Einbildungskraft ſchwelgt nicht, ſie ſchlummert in lieblich traͤumender Ruhe. Das liebe Thal, ſo eng, ſo gruͤn, ſo ſtill und einſam, ſcheint mit jedem Blick die Lehre ins Herz zu praͤgen: daß der Menſch wenig bedarf.“
Zu aͤhnlichen lieblichen Phantaſien, zu eben ſolchen ſanften Begeiſterungen des Herzens werden leicht empfindſame Seelen in der ſtillen Ruhe dieſes Thals hin- geriſſen. Hier iſt noch eine kleine Schilderung von den Eindruͤcken dieſer Ge- gend. *)
„Der ganze Weg, der ſich durch ein tiefes, einſames und ſchattigtes Thal geſchlaͤngelt, und der Pfad zu einer der verſteckteſten Einſiedeleyen zu ſeyn ſcheint, prallt nun ploͤtzlich auf einen Haufen von koſtbaren Gebaͤuden und kuͤnſtlich angelegten Spa- ziergaͤngen an. Auch ohne das ſanfte Gemurmel, das unaufhoͤrlich und von allen Seiten durch kleine Waſſerfaͤlle und Springbrunnen erregt wird, wuͤrde hier einem jeden die Vorſtellung eines bezauberten Palaſtes durch den Sinn fahren muͤſſen. Wo man ſich hinwendet, iſt ein Gegenſtand, der die Neugierde und den Reiz zum Ver- gnuͤgen lockt. Der muͤdeſte Wanderer wird hier durch immer neue Befriedigung und immer neues Verlangen, ungeſtoͤrt durch die Mattigkeit ſeiner Glieder, von einem Schooß des Vergnuͤgens zum andern fortgerollt. Verdeckte Gaͤnge, geraͤumige Saͤle, lange mit Zimmern beſetzte Hallen, wechſeln labyrinthiſch mit gruͤnen ſchattigten Lau- ben, Hecken, Grasſtuͤcken und Fruchtgaͤrten ab. Rund umher ſind aufgewaͤlzte Berge, theils mit gruͤnen beſchattenden Baͤumen, theils mit fuͤrchterlichen mit Moos bedeckten hervorſtechenden Felſenſpitzen bekleidet. Unzaͤhlige lockende Fußſteige fuͤh- ren unvermuthet zu immer neuen und veraͤnderten Gegenſtaͤnden, bald auf eine rauhe ganz abgelegene Klippe, von der man ploͤtzlich in eine weite herrliche Ausſicht dringt, und der Blick auf viele Meilen weit herumſchweifen kann; bald koͤmmt man wieder
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*) Aus der Beſchreibung eines Aufenthalts im Schlangenbade 1777. 8. Riga. 1779.
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von beſondern Beſtimmungen abhaͤngig iſt.
„Schlangenbad iſt uͤbrigens ein gar angenehmer Aufenthalt, die fanſteſte,
lieblichſte Einſamkeit zwiſchen Bergen, die freylich die Ausſicht verhindern, aber doch
ſich genug oͤffnen, um der Gegend nichts Dumpfes zu geben und nichts Finſteres.
Schlangenbad iſt nicht, wie Pyrmont, der Aufenthalt lauter rauſchender Freu-
de und glaͤnzender Geſelligkeit. Es iſt keine einzige Allee da, wo viele Menſchen bey
einander koͤnnten hergehen. Aber die ſchmalen Heckengaͤnge laden, wie die ganze
Gegend, die Seele ein zu einſamem und ſtillem Nachdenken. In jedem Luͤftchen
wehet philoſophiſche Melancholie; aber es iſt ruhige Melancholle, mehr Ernſt, als
Schwermuth, mehr ein Vergeſſen von allem, was dem Herzen wehe thut, als
ſchwaͤrmeriſcher Genuß des Gegenwaͤrtigen. Die Einbildungskraft ſchwelgt nicht,
ſie ſchlummert in lieblich traͤumender Ruhe. Das liebe Thal, ſo eng, ſo gruͤn, ſo
ſtill und einſam, ſcheint mit jedem Blick die Lehre ins Herz zu praͤgen: daß der
Menſch wenig bedarf.“
Zu aͤhnlichen lieblichen Phantaſien, zu eben ſolchen ſanften Begeiſterungen
des Herzens werden leicht empfindſame Seelen in der ſtillen Ruhe dieſes Thals hin-
geriſſen. Hier iſt noch eine kleine Schilderung von den Eindruͤcken dieſer Ge-
gend. *)
„Der ganze Weg, der ſich durch ein tiefes, einſames und ſchattigtes Thal
geſchlaͤngelt, und der Pfad zu einer der verſteckteſten Einſiedeleyen zu ſeyn ſcheint, prallt
nun ploͤtzlich auf einen Haufen von koſtbaren Gebaͤuden und kuͤnſtlich angelegten Spa-
ziergaͤngen an. Auch ohne das ſanfte Gemurmel, das unaufhoͤrlich und von allen
Seiten durch kleine Waſſerfaͤlle und Springbrunnen erregt wird, wuͤrde hier einem
jeden die Vorſtellung eines bezauberten Palaſtes durch den Sinn fahren muͤſſen. Wo
man ſich hinwendet, iſt ein Gegenſtand, der die Neugierde und den Reiz zum Ver-
gnuͤgen lockt. Der muͤdeſte Wanderer wird hier durch immer neue Befriedigung und
immer neues Verlangen, ungeſtoͤrt durch die Mattigkeit ſeiner Glieder, von einem
Schooß des Vergnuͤgens zum andern fortgerollt. Verdeckte Gaͤnge, geraͤumige Saͤle,
lange mit Zimmern beſetzte Hallen, wechſeln labyrinthiſch mit gruͤnen ſchattigten Lau-
ben, Hecken, Grasſtuͤcken und Fruchtgaͤrten ab. Rund umher ſind aufgewaͤlzte
Berge, theils mit gruͤnen beſchattenden Baͤumen, theils mit fuͤrchterlichen mit Moos
bedeckten hervorſtechenden Felſenſpitzen bekleidet. Unzaͤhlige lockende Fußſteige fuͤh-
ren unvermuthet zu immer neuen und veraͤnderten Gegenſtaͤnden, bald auf eine rauhe
ganz abgelegene Klippe, von der man ploͤtzlich in eine weite herrliche Ausſicht dringt,
und der Blick auf viele Meilen weit herumſchweifen kann; bald koͤmmt man wieder
in
*) Aus der Beſchreibung eines Aufenthalts im Schlangenbade 1777. 8. Riga. 1779.
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/117>, abgerufen am 16.02.2025.
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