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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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nach dem Charakter der Gegenden.
ist um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem Wasser viele schreckliche
Klippen, viele zackigte Spitzen seyn müssen, ist augenscheinlich. Man sieht aber nur
noch eine große Felsenspitze, die zwischen dem zweyten und dritten Fall hoch in die
Höhe steht, außen mit Moos bewachsen ist, durch die Länge der Zeit von dem unauf-
hörlichen Anschlagen des Wassers schon ein großes Loch in der Mitte bekommen hat,
wodurch man gar deutlich sehen kann, und die wahrscheinlich einst gar nicht mehr vor-
handen seyn wird. Der Strom wird mit seiner ganzen Gewalt so lange an sie stoßen,
bis er sie endlich ausgefressen und umgeworfen hat, so wie vermuthlich schon viele Fels-
klippen hier durch die Wuth der Wellen zerstört worden sind. Indem nun das Wasser
auf die Höhe kommt und herabfällt, wird der ganze Strom in Schaum verwandelt;
das ist die kurze Beschreibung der ganzen Sache. Der ganze Rheinstrom wird
Schaum, sobald er dies Felsenbette erreicht hat. Man sieht nichts, als ein Meer
von der allerreinsten Milch. Man glaubt, in einen unaufhörlichen siedenden Kessel
von Milch zu schauen. Dabey ist das zartaufstäubende Wasser, das, wie der aller-
feinste, dünnste Rauch, in die Höhe geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein un-
beschreiblich schöner Anblick. Je länger man hinsieht, desto mächtiger, desto toben-
der, so glaubet man, werde das Sprudeln und Brausen des hier gleichsam noch jun-
gen Stroms, und das ist doch nur Betrug der Augen. Nur bey sehr großem Wasser
merkt man eine beträchtliche Verstärkung des Getöses. An jedem hervorstehenden
Zacken fährt das Wasser schrecklich in die Höhe, bricht sich, und fährt in sich selber zu-
sammen. Es ist nicht anders, als wenn das stürzende Wasser an hunderttausend
Orten aufkochte, und mit großen Wallungen emporsieden wollte. Scheint die Sonne
in den kochenden Berg, in das Meer von Schaum, so ist nicht Einer, so ist ein tau-
sendfältiger Regenbogen um den ganzen Fall; jeder Tropfen stellt einen Spiegel vor;
die Bogen durchkreuzen sich, sie laufen und schneiden in einander, fließen zusammen
und glänzen stärker, theilen sich, und werden schöner. Da entsteht eine Farbenpracht,
die keine menschliche Sprache beschreiben kann. Allen guten und empfindenden Men-
schen wünschen wir so einen schönen, und unter dem reinsten Vergnügen zugebrachten
Nachmittag. Es schwebte eben ein großer schweitzerischer Geyer über den Fall, und
stieg, als wenn er dem Werk der Natur eben so erstaunt, wie wir, zusähe, immer
höher und höher. Man kann sich auch schon ergötzen, wenn man mit dem Auge un-
ten am Becken, oder am Fuß des Falls eine Zeitlang verweilt, wo das Wasser wieder
zu seinem wagerechten Stand gekommen ist. Denn da schwimmt der liebliche Schaum
noch in unzähligen Streifen, in langen milchweißen Straßen, sehr angenehm fort,
bildet tausend schöne Farben, mischt sich langsam, verliert sich in die kleinsten Tröpf-
chen, und geht unmerklich wieder in grünlichtes Wasser über. Um den majestätischen

Fall

nach dem Charakter der Gegenden.
iſt um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem Waſſer viele ſchreckliche
Klippen, viele zackigte Spitzen ſeyn muͤſſen, iſt augenſcheinlich. Man ſieht aber nur
noch eine große Felſenſpitze, die zwiſchen dem zweyten und dritten Fall hoch in die
Hoͤhe ſteht, außen mit Moos bewachſen iſt, durch die Laͤnge der Zeit von dem unauf-
hoͤrlichen Anſchlagen des Waſſers ſchon ein großes Loch in der Mitte bekommen hat,
wodurch man gar deutlich ſehen kann, und die wahrſcheinlich einſt gar nicht mehr vor-
handen ſeyn wird. Der Strom wird mit ſeiner ganzen Gewalt ſo lange an ſie ſtoßen,
bis er ſie endlich ausgefreſſen und umgeworfen hat, ſo wie vermuthlich ſchon viele Fels-
klippen hier durch die Wuth der Wellen zerſtoͤrt worden ſind. Indem nun das Waſſer
auf die Hoͤhe kommt und herabfaͤllt, wird der ganze Strom in Schaum verwandelt;
das iſt die kurze Beſchreibung der ganzen Sache. Der ganze Rheinſtrom wird
Schaum, ſobald er dies Felſenbette erreicht hat. Man ſieht nichts, als ein Meer
von der allerreinſten Milch. Man glaubt, in einen unaufhoͤrlichen ſiedenden Keſſel
von Milch zu ſchauen. Dabey iſt das zartaufſtaͤubende Waſſer, das, wie der aller-
feinſte, duͤnnſte Rauch, in die Hoͤhe geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein un-
beſchreiblich ſchoͤner Anblick. Je laͤnger man hinſieht, deſto maͤchtiger, deſto toben-
der, ſo glaubet man, werde das Sprudeln und Brauſen des hier gleichſam noch jun-
gen Stroms, und das iſt doch nur Betrug der Augen. Nur bey ſehr großem Waſſer
merkt man eine betraͤchtliche Verſtaͤrkung des Getoͤſes. An jedem hervorſtehenden
Zacken faͤhrt das Waſſer ſchrecklich in die Hoͤhe, bricht ſich, und faͤhrt in ſich ſelber zu-
ſammen. Es iſt nicht anders, als wenn das ſtuͤrzende Waſſer an hunderttauſend
Orten aufkochte, und mit großen Wallungen emporſieden wollte. Scheint die Sonne
in den kochenden Berg, in das Meer von Schaum, ſo iſt nicht Einer, ſo iſt ein tau-
ſendfaͤltiger Regenbogen um den ganzen Fall; jeder Tropfen ſtellt einen Spiegel vor;
die Bogen durchkreuzen ſich, ſie laufen und ſchneiden in einander, fließen zuſammen
und glaͤnzen ſtaͤrker, theilen ſich, und werden ſchoͤner. Da entſteht eine Farbenpracht,
die keine menſchliche Sprache beſchreiben kann. Allen guten und empfindenden Men-
ſchen wuͤnſchen wir ſo einen ſchoͤnen, und unter dem reinſten Vergnuͤgen zugebrachten
Nachmittag. Es ſchwebte eben ein großer ſchweitzeriſcher Geyer uͤber den Fall, und
ſtieg, als wenn er dem Werk der Natur eben ſo erſtaunt, wie wir, zuſaͤhe, immer
hoͤher und hoͤher. Man kann ſich auch ſchon ergoͤtzen, wenn man mit dem Auge un-
ten am Becken, oder am Fuß des Falls eine Zeitlang verweilt, wo das Waſſer wieder
zu ſeinem wagerechten Stand gekommen iſt. Denn da ſchwimmt der liebliche Schaum
noch in unzaͤhligen Streifen, in langen milchweißen Straßen, ſehr angenehm fort,
bildet tauſend ſchoͤne Farben, miſcht ſich langſam, verliert ſich in die kleinſten Troͤpf-
chen, und geht unmerklich wieder in gruͤnlichtes Waſſer uͤber. Um den majeſtaͤtiſchen

Fall
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[95/0099] nach dem Charakter der Gegenden. iſt um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem Waſſer viele ſchreckliche Klippen, viele zackigte Spitzen ſeyn muͤſſen, iſt augenſcheinlich. Man ſieht aber nur noch eine große Felſenſpitze, die zwiſchen dem zweyten und dritten Fall hoch in die Hoͤhe ſteht, außen mit Moos bewachſen iſt, durch die Laͤnge der Zeit von dem unauf- hoͤrlichen Anſchlagen des Waſſers ſchon ein großes Loch in der Mitte bekommen hat, wodurch man gar deutlich ſehen kann, und die wahrſcheinlich einſt gar nicht mehr vor- handen ſeyn wird. Der Strom wird mit ſeiner ganzen Gewalt ſo lange an ſie ſtoßen, bis er ſie endlich ausgefreſſen und umgeworfen hat, ſo wie vermuthlich ſchon viele Fels- klippen hier durch die Wuth der Wellen zerſtoͤrt worden ſind. Indem nun das Waſſer auf die Hoͤhe kommt und herabfaͤllt, wird der ganze Strom in Schaum verwandelt; das iſt die kurze Beſchreibung der ganzen Sache. Der ganze Rheinſtrom wird Schaum, ſobald er dies Felſenbette erreicht hat. Man ſieht nichts, als ein Meer von der allerreinſten Milch. Man glaubt, in einen unaufhoͤrlichen ſiedenden Keſſel von Milch zu ſchauen. Dabey iſt das zartaufſtaͤubende Waſſer, das, wie der aller- feinſte, duͤnnſte Rauch, in die Hoͤhe geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein un- beſchreiblich ſchoͤner Anblick. Je laͤnger man hinſieht, deſto maͤchtiger, deſto toben- der, ſo glaubet man, werde das Sprudeln und Brauſen des hier gleichſam noch jun- gen Stroms, und das iſt doch nur Betrug der Augen. Nur bey ſehr großem Waſſer merkt man eine betraͤchtliche Verſtaͤrkung des Getoͤſes. An jedem hervorſtehenden Zacken faͤhrt das Waſſer ſchrecklich in die Hoͤhe, bricht ſich, und faͤhrt in ſich ſelber zu- ſammen. Es iſt nicht anders, als wenn das ſtuͤrzende Waſſer an hunderttauſend Orten aufkochte, und mit großen Wallungen emporſieden wollte. Scheint die Sonne in den kochenden Berg, in das Meer von Schaum, ſo iſt nicht Einer, ſo iſt ein tau- ſendfaͤltiger Regenbogen um den ganzen Fall; jeder Tropfen ſtellt einen Spiegel vor; die Bogen durchkreuzen ſich, ſie laufen und ſchneiden in einander, fließen zuſammen und glaͤnzen ſtaͤrker, theilen ſich, und werden ſchoͤner. Da entſteht eine Farbenpracht, die keine menſchliche Sprache beſchreiben kann. Allen guten und empfindenden Men- ſchen wuͤnſchen wir ſo einen ſchoͤnen, und unter dem reinſten Vergnuͤgen zugebrachten Nachmittag. Es ſchwebte eben ein großer ſchweitzeriſcher Geyer uͤber den Fall, und ſtieg, als wenn er dem Werk der Natur eben ſo erſtaunt, wie wir, zuſaͤhe, immer hoͤher und hoͤher. Man kann ſich auch ſchon ergoͤtzen, wenn man mit dem Auge un- ten am Becken, oder am Fuß des Falls eine Zeitlang verweilt, wo das Waſſer wieder zu ſeinem wagerechten Stand gekommen iſt. Denn da ſchwimmt der liebliche Schaum noch in unzaͤhligen Streifen, in langen milchweißen Straßen, ſehr angenehm fort, bildet tauſend ſchoͤne Farben, miſcht ſich langſam, verliert ſich in die kleinſten Troͤpf- chen, und geht unmerklich wieder in gruͤnlichtes Waſſer uͤber. Um den majeſtaͤtiſchen Fall

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/99>, abgerufen am 24.11.2024.