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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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nach dem Charakter der Gegenden.
durch reiche Umschattungen andrer Bäume vom schwärzlichen Grün mehr überwältigt
wird. Unter der Finsterniß von solchen Gruppen und Haynen und Waldstücken win-
de der melancholische Garten feine labyrinthischen Gänge umher, bald in dunkle Tie-
fen hinab, bald unter dem Schatten herüberhängender Berge oder Felsen hin, bald
neben einem schweigenden Gewässer vorbey, worauf die umherstehenden Bäume eine
ewige Nacht werfen, bald zu einem freyen Platz, den von allen Seiten her die Gebü-
sche mit einer sanftern Dämmerung füllen, bald zu einer Bank, über welche sich un-
durchdringliche Laubdecken herabneigen, bald zu einem Moossitz unter einer gekrümm-
ten von Zeit und Sturm halb zerstörten Eiche, bald zu einer wilden von Gesträuch
überdeckten Felsenmasse, worinn die dumpfen Klagen verborgener Wassergüsse ertö-
nen. Lange Gänge von hohen schattenreichen Bäumen, mit verschließenden Gebü-
schen besetzt, die das heilige Dunkel, das in ihnen schwebt, vermehren, gleich den ge-
wölbten Gängen in alten Klöstern und gothischen Kirchen, sind hier eine sehr schickli-
che Anlage, indem sie die Seele zu einem ernsthaften Nachdenken einladen. Die
Wirkungen dieser Scenen verstärken sich ungemein durch Zufälligkeiten, die ihrem
Charakter zustimmen, als durch das einförmige Gequäcke einiger Frösche, durch die
melancholische Klage einer Holztaube, oder durch das Aufflattern einer Eule, die gerne
neben dem einsiedlerischen Philosophen diese Einöden bewohnt, gerne mit ihm sympa-
thisirt. Eine noch öftere und zugleich schönere Zufälligkeit verschaffen die Stunden,
wo der Mond sein Silberlicht über diese Scenen verbreitet, die Nacht in eine milde
Dämmerung wandelt, und sein Schimmer hier zwischen den Stämmen umher-
schleicht, dort in den ruhenden Blättern verweilt, hier in zerstreuten Stellen der Gän-
ge niederglimmt, dort sich in einer freyern Oeffnung der Gebüsche mit stiller Feyerlich-
keit verlängert.

Die Werke der Baukunst, die Anlagen vom melancholischen Charakter zukom-
men und ihre Wirkungen verstärken, sind Einsiedeleyen, *) Trauergebäude, **)
Ruinen; ***) die Bildhauerkunst liefert Grabmäler, Urnen, Säulen und andre
Denkmäler, ****) die einer abgestorbenen Freundschaft oder Liebe geheiligt sind, und
deren Anblick die Seele mit einer sanften Schwermuth erfüllt; die Poesie giebt rüh-
rende Inschriften, *****) welche die Erinnerung an Vergänglichkeit mit Lehren der
Weisheit begleiten. Inschriften scheinen besonders in einem sanftmelancholischen
Garten fast unentbehrlich. Sie stimmen die Seele, oder erhalten sie doch in der

Stimmung,
*) [Spaltenumbruch] S. 3ter B. S. 96 u. f.
**) [Spaltenumbruch] S. 55-57.
***) [Spaltenumbruch] S. 110 u. f.
****) [Spaltenumbruch] S. 142-150.
*****) [Spaltenumbruch] S. 154 u. f.
L 2

nach dem Charakter der Gegenden.
durch reiche Umſchattungen andrer Baͤume vom ſchwaͤrzlichen Gruͤn mehr uͤberwaͤltigt
wird. Unter der Finſterniß von ſolchen Gruppen und Haynen und Waldſtuͤcken win-
de der melancholiſche Garten feine labyrinthiſchen Gaͤnge umher, bald in dunkle Tie-
fen hinab, bald unter dem Schatten heruͤberhaͤngender Berge oder Felſen hin, bald
neben einem ſchweigenden Gewaͤſſer vorbey, worauf die umherſtehenden Baͤume eine
ewige Nacht werfen, bald zu einem freyen Platz, den von allen Seiten her die Gebuͤ-
ſche mit einer ſanftern Daͤmmerung fuͤllen, bald zu einer Bank, uͤber welche ſich un-
durchdringliche Laubdecken herabneigen, bald zu einem Moosſitz unter einer gekruͤmm-
ten von Zeit und Sturm halb zerſtoͤrten Eiche, bald zu einer wilden von Geſtraͤuch
uͤberdeckten Felſenmaſſe, worinn die dumpfen Klagen verborgener Waſſerguͤſſe ertoͤ-
nen. Lange Gaͤnge von hohen ſchattenreichen Baͤumen, mit verſchließenden Gebuͤ-
ſchen beſetzt, die das heilige Dunkel, das in ihnen ſchwebt, vermehren, gleich den ge-
woͤlbten Gaͤngen in alten Kloͤſtern und gothiſchen Kirchen, ſind hier eine ſehr ſchickli-
che Anlage, indem ſie die Seele zu einem ernſthaften Nachdenken einladen. Die
Wirkungen dieſer Scenen verſtaͤrken ſich ungemein durch Zufaͤlligkeiten, die ihrem
Charakter zuſtimmen, als durch das einfoͤrmige Gequaͤcke einiger Froͤſche, durch die
melancholiſche Klage einer Holztaube, oder durch das Aufflattern einer Eule, die gerne
neben dem einſiedleriſchen Philoſophen dieſe Einoͤden bewohnt, gerne mit ihm ſympa-
thiſirt. Eine noch oͤftere und zugleich ſchoͤnere Zufaͤlligkeit verſchaffen die Stunden,
wo der Mond ſein Silberlicht uͤber dieſe Scenen verbreitet, die Nacht in eine milde
Daͤmmerung wandelt, und ſein Schimmer hier zwiſchen den Staͤmmen umher-
ſchleicht, dort in den ruhenden Blaͤttern verweilt, hier in zerſtreuten Stellen der Gaͤn-
ge niederglimmt, dort ſich in einer freyern Oeffnung der Gebuͤſche mit ſtiller Feyerlich-
keit verlaͤngert.

Die Werke der Baukunſt, die Anlagen vom melancholiſchen Charakter zukom-
men und ihre Wirkungen verſtaͤrken, ſind Einſiedeleyen, *) Trauergebaͤude, **)
Ruinen; ***) die Bildhauerkunſt liefert Grabmaͤler, Urnen, Saͤulen und andre
Denkmaͤler, ****) die einer abgeſtorbenen Freundſchaft oder Liebe geheiligt ſind, und
deren Anblick die Seele mit einer ſanften Schwermuth erfuͤllt; die Poeſie giebt ruͤh-
rende Inſchriften, *****) welche die Erinnerung an Vergaͤnglichkeit mit Lehren der
Weisheit begleiten. Inſchriften ſcheinen beſonders in einem ſanftmelancholiſchen
Garten faſt unentbehrlich. Sie ſtimmen die Seele, oder erhalten ſie doch in der

Stimmung,
*) [Spaltenumbruch] S. 3ter B. S. 96 u. f.
**) [Spaltenumbruch] S. 55-57.
***) [Spaltenumbruch] S. 110 u. f.
****) [Spaltenumbruch] S. 142-150.
*****) [Spaltenumbruch] S. 154 u. f.
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[83/0087] nach dem Charakter der Gegenden. durch reiche Umſchattungen andrer Baͤume vom ſchwaͤrzlichen Gruͤn mehr uͤberwaͤltigt wird. Unter der Finſterniß von ſolchen Gruppen und Haynen und Waldſtuͤcken win- de der melancholiſche Garten feine labyrinthiſchen Gaͤnge umher, bald in dunkle Tie- fen hinab, bald unter dem Schatten heruͤberhaͤngender Berge oder Felſen hin, bald neben einem ſchweigenden Gewaͤſſer vorbey, worauf die umherſtehenden Baͤume eine ewige Nacht werfen, bald zu einem freyen Platz, den von allen Seiten her die Gebuͤ- ſche mit einer ſanftern Daͤmmerung fuͤllen, bald zu einer Bank, uͤber welche ſich un- durchdringliche Laubdecken herabneigen, bald zu einem Moosſitz unter einer gekruͤmm- ten von Zeit und Sturm halb zerſtoͤrten Eiche, bald zu einer wilden von Geſtraͤuch uͤberdeckten Felſenmaſſe, worinn die dumpfen Klagen verborgener Waſſerguͤſſe ertoͤ- nen. Lange Gaͤnge von hohen ſchattenreichen Baͤumen, mit verſchließenden Gebuͤ- ſchen beſetzt, die das heilige Dunkel, das in ihnen ſchwebt, vermehren, gleich den ge- woͤlbten Gaͤngen in alten Kloͤſtern und gothiſchen Kirchen, ſind hier eine ſehr ſchickli- che Anlage, indem ſie die Seele zu einem ernſthaften Nachdenken einladen. Die Wirkungen dieſer Scenen verſtaͤrken ſich ungemein durch Zufaͤlligkeiten, die ihrem Charakter zuſtimmen, als durch das einfoͤrmige Gequaͤcke einiger Froͤſche, durch die melancholiſche Klage einer Holztaube, oder durch das Aufflattern einer Eule, die gerne neben dem einſiedleriſchen Philoſophen dieſe Einoͤden bewohnt, gerne mit ihm ſympa- thiſirt. Eine noch oͤftere und zugleich ſchoͤnere Zufaͤlligkeit verſchaffen die Stunden, wo der Mond ſein Silberlicht uͤber dieſe Scenen verbreitet, die Nacht in eine milde Daͤmmerung wandelt, und ſein Schimmer hier zwiſchen den Staͤmmen umher- ſchleicht, dort in den ruhenden Blaͤttern verweilt, hier in zerſtreuten Stellen der Gaͤn- ge niederglimmt, dort ſich in einer freyern Oeffnung der Gebuͤſche mit ſtiller Feyerlich- keit verlaͤngert. Die Werke der Baukunſt, die Anlagen vom melancholiſchen Charakter zukom- men und ihre Wirkungen verſtaͤrken, ſind Einſiedeleyen, *) Trauergebaͤude, **) Ruinen; ***) die Bildhauerkunſt liefert Grabmaͤler, Urnen, Saͤulen und andre Denkmaͤler, ****) die einer abgeſtorbenen Freundſchaft oder Liebe geheiligt ſind, und deren Anblick die Seele mit einer ſanften Schwermuth erfuͤllt; die Poeſie giebt ruͤh- rende Inſchriften, *****) welche die Erinnerung an Vergaͤnglichkeit mit Lehren der Weisheit begleiten. Inſchriften ſcheinen beſonders in einem ſanftmelancholiſchen Garten faſt unentbehrlich. Sie ſtimmen die Seele, oder erhalten ſie doch in der Stimmung, *) S. 3ter B. S. 96 u. f. **) S. 55-57. ***) S. 110 u. f. ****) S. 142-150. *****) S. 154 u. f. L 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/87>, abgerufen am 21.11.2024.