Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

Bild:
<< vorherige Seite

des Begriffs vom Garten.
noch war ein Park zu den Zeiten der symmetrischen Manier etwas anders, als er
nachher, nach der Einführung des neuern Geschmacks, in England und bey den
brittischen Schriftstellern ward.

Vormals war ein Park nichts anders, als ein weiter eingeschlossener und mit
einer hohen Mauer umgebener Raum, in große symmetrische Stücke vertheilt, mit
geraden Alleen bepflanzt, die auf Einen Mittelpunkt zusammenliefen, oder einen Stern
bildeten, und mit hin und wieder ausgegrabenen Teichen und Kanälen. Eine solche
Anlage hat zwar in der Hitze reichen Schatten, aber zu viel Finsterniß, die durch
keine Aussicht in die Landschaft, durch keine innere Scene der Anmuth wieder aufge-
heitert ward; die Feuchtigkeit des Bodens, die Ausdünstung der stehenden Wasser,
die Menge der Mücken und die traurige Einsamkeit, die hier herrschte, beschwerte
den Spatzierenden und erfüllte ihn mit Trübsinn. Diese Parks, die so viel unbe-
nutztes Land verschlungen, trugen ganz den Charakter der Zeit, da der Stolz sich nur
über den Besitz von Macht und Reichthum freute, und jede gesellige Freude verbannte;
da die Bewohner der Schlösser sich wegen der Gewaltthätigkeiten, die sie ausübten
und die sie wieder befürchteten, hinter Mauern und Thürmen zu verbergen nöthig fan-
den; da die Wildheit der Sitten den Geschmack an den heitern Schönheiten der Na-
tur erstickte, und die Jagd, die man in diesen weiten Räumen anstellte, fast die ein-
zige Belustigung des Adels war.

Als die neuen Parks in England angelegt wurden, veredelte sich Sache und
Name. Man sah verschönerte Landschaftgemälde in einem reinen Styl, eine Zusam-
mensetzung von Scenen, worinn von der Natur und Kunst alles entlehnt war, was
sie Großes, Reiches und Blühendes haben. Es geschah indessen ganz willkührlich,
daß man Garten und Park einander entgegen stellte. Denn Kleinheit und Symme-
trie, die man dem Garten zum unterscheidenden Charakter beylegen wollte, gehören
ihm nicht seinem Ursprunge, noch weniger seiner wahren Natur und Bestimmung
nach, zu; nur ein freches Vorurtheil hatte sie ihm aufgebürdet. Und das Ländliche,
das Freye und das Große kommt so vielen Gattungen von Gärten zu, daß man es
nicht auf die, welche man unter dem Namen von Parks sich vorzustellen pflegt, ein-
schränken darf.

Sollte die Thorheit der Nachäffung chinesischer Gärten sich wider Vermuthen
noch mehr ausbreiten, so muß der Begriff vom Garten, der sich jetzt am meisten auf-
hellen sollte, unter dem Nebel dieser eigensinnigen Unordnung wieder verdunkelt wer-
den. Man kann fast keinen Garten mehr ohne chinesische Tempel mit seltsamen
Schnörkeln, ohne geschlängelte Brücken, ohne vergoldete oder lakirte Pagoden mit
Geklingel, ohne Felsen auf der Ebene, ohne andre phantastische Spielwerke, worunter

Natur

des Begriffs vom Garten.
noch war ein Park zu den Zeiten der ſymmetriſchen Manier etwas anders, als er
nachher, nach der Einfuͤhrung des neuern Geſchmacks, in England und bey den
brittiſchen Schriftſtellern ward.

Vormals war ein Park nichts anders, als ein weiter eingeſchloſſener und mit
einer hohen Mauer umgebener Raum, in große ſymmetriſche Stuͤcke vertheilt, mit
geraden Alleen bepflanzt, die auf Einen Mittelpunkt zuſammenliefen, oder einen Stern
bildeten, und mit hin und wieder ausgegrabenen Teichen und Kanaͤlen. Eine ſolche
Anlage hat zwar in der Hitze reichen Schatten, aber zu viel Finſterniß, die durch
keine Ausſicht in die Landſchaft, durch keine innere Scene der Anmuth wieder aufge-
heitert ward; die Feuchtigkeit des Bodens, die Ausduͤnſtung der ſtehenden Waſſer,
die Menge der Muͤcken und die traurige Einſamkeit, die hier herrſchte, beſchwerte
den Spatzierenden und erfuͤllte ihn mit Truͤbſinn. Dieſe Parks, die ſo viel unbe-
nutztes Land verſchlungen, trugen ganz den Charakter der Zeit, da der Stolz ſich nur
uͤber den Beſitz von Macht und Reichthum freute, und jede geſellige Freude verbannte;
da die Bewohner der Schloͤſſer ſich wegen der Gewaltthaͤtigkeiten, die ſie ausuͤbten
und die ſie wieder befuͤrchteten, hinter Mauern und Thuͤrmen zu verbergen noͤthig fan-
den; da die Wildheit der Sitten den Geſchmack an den heitern Schoͤnheiten der Na-
tur erſtickte, und die Jagd, die man in dieſen weiten Raͤumen anſtellte, faſt die ein-
zige Beluſtigung des Adels war.

Als die neuen Parks in England angelegt wurden, veredelte ſich Sache und
Name. Man ſah verſchoͤnerte Landſchaftgemaͤlde in einem reinen Styl, eine Zuſam-
menſetzung von Scenen, worinn von der Natur und Kunſt alles entlehnt war, was
ſie Großes, Reiches und Bluͤhendes haben. Es geſchah indeſſen ganz willkuͤhrlich,
daß man Garten und Park einander entgegen ſtellte. Denn Kleinheit und Symme-
trie, die man dem Garten zum unterſcheidenden Charakter beylegen wollte, gehoͤren
ihm nicht ſeinem Urſprunge, noch weniger ſeiner wahren Natur und Beſtimmung
nach, zu; nur ein freches Vorurtheil hatte ſie ihm aufgebuͤrdet. Und das Laͤndliche,
das Freye und das Große kommt ſo vielen Gattungen von Gaͤrten zu, daß man es
nicht auf die, welche man unter dem Namen von Parks ſich vorzuſtellen pflegt, ein-
ſchraͤnken darf.

Sollte die Thorheit der Nachaͤffung chineſiſcher Gaͤrten ſich wider Vermuthen
noch mehr ausbreiten, ſo muß der Begriff vom Garten, der ſich jetzt am meiſten auf-
hellen ſollte, unter dem Nebel dieſer eigenſinnigen Unordnung wieder verdunkelt wer-
den. Man kann faſt keinen Garten mehr ohne chineſiſche Tempel mit ſeltſamen
Schnoͤrkeln, ohne geſchlaͤngelte Bruͤcken, ohne vergoldete oder lakirte Pagoden mit
Geklingel, ohne Felſen auf der Ebene, ohne andre phantaſtiſche Spielwerke, worunter

Natur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0027" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Begriffs vom Garten.</hi></fw><lb/>
noch war ein Park zu den Zeiten der &#x017F;ymmetri&#x017F;chen Manier etwas anders, als er<lb/>
nachher, nach der Einfu&#x0364;hrung des neuern Ge&#x017F;chmacks, in <hi rendition="#fr">England</hi> und bey den<lb/><hi rendition="#fr">britti&#x017F;chen</hi> Schrift&#x017F;tellern ward.</p><lb/>
          <p>Vormals war ein Park nichts anders, als ein weiter einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener und mit<lb/>
einer hohen Mauer umgebener Raum, in große &#x017F;ymmetri&#x017F;che Stu&#x0364;cke vertheilt, mit<lb/>
geraden Alleen bepflanzt, die auf Einen Mittelpunkt zu&#x017F;ammenliefen, oder einen Stern<lb/>
bildeten, und mit hin und wieder ausgegrabenen Teichen und Kana&#x0364;len. Eine &#x017F;olche<lb/>
Anlage hat zwar in der Hitze reichen Schatten, aber zu viel Fin&#x017F;terniß, die durch<lb/>
keine Aus&#x017F;icht in die Land&#x017F;chaft, durch keine innere Scene der Anmuth wieder aufge-<lb/>
heitert ward; die Feuchtigkeit des Bodens, die Ausdu&#x0364;n&#x017F;tung der &#x017F;tehenden Wa&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
die Menge der Mu&#x0364;cken und die traurige Ein&#x017F;amkeit, die hier herr&#x017F;chte, be&#x017F;chwerte<lb/>
den Spatzierenden und erfu&#x0364;llte ihn mit Tru&#x0364;b&#x017F;inn. Die&#x017F;e Parks, die &#x017F;o viel unbe-<lb/>
nutztes Land ver&#x017F;chlungen, trugen ganz den Charakter der Zeit, da der Stolz &#x017F;ich nur<lb/>
u&#x0364;ber den Be&#x017F;itz von Macht und Reichthum freute, und jede ge&#x017F;ellige Freude verbannte;<lb/>
da die Bewohner der Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich wegen der Gewalttha&#x0364;tigkeiten, die &#x017F;ie ausu&#x0364;bten<lb/>
und die &#x017F;ie wieder befu&#x0364;rchteten, hinter Mauern und Thu&#x0364;rmen zu verbergen no&#x0364;thig fan-<lb/>
den; da die Wildheit der Sitten den Ge&#x017F;chmack an den heitern Scho&#x0364;nheiten der Na-<lb/>
tur er&#x017F;tickte, und die Jagd, die man in die&#x017F;en weiten Ra&#x0364;umen an&#x017F;tellte, fa&#x017F;t die ein-<lb/>
zige Belu&#x017F;tigung des Adels war.</p><lb/>
          <p>Als die neuen Parks in <hi rendition="#fr">England</hi> angelegt wurden, veredelte &#x017F;ich Sache und<lb/>
Name. Man &#x017F;ah ver&#x017F;cho&#x0364;nerte Land&#x017F;chaftgema&#x0364;lde in einem reinen Styl, eine Zu&#x017F;am-<lb/>
men&#x017F;etzung von Scenen, worinn von der Natur und Kun&#x017F;t alles entlehnt war, was<lb/>
&#x017F;ie Großes, Reiches und Blu&#x0364;hendes haben. Es ge&#x017F;chah inde&#x017F;&#x017F;en ganz willku&#x0364;hrlich,<lb/>
daß man Garten und Park einander entgegen &#x017F;tellte. Denn Kleinheit und Symme-<lb/>
trie, die man dem Garten zum unter&#x017F;cheidenden Charakter beylegen wollte, geho&#x0364;ren<lb/>
ihm nicht &#x017F;einem Ur&#x017F;prunge, noch weniger &#x017F;einer wahren Natur und Be&#x017F;timmung<lb/>
nach, zu; nur ein freches Vorurtheil hatte &#x017F;ie ihm aufgebu&#x0364;rdet. Und das La&#x0364;ndliche,<lb/>
das Freye und das Große kommt &#x017F;o vielen Gattungen von Ga&#x0364;rten zu, daß man es<lb/>
nicht auf die, welche man unter dem Namen von Parks &#x017F;ich vorzu&#x017F;tellen pflegt, ein-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nken darf.</p><lb/>
          <p>Sollte die Thorheit der Nacha&#x0364;ffung <hi rendition="#fr">chine&#x017F;i&#x017F;cher</hi> Ga&#x0364;rten &#x017F;ich wider Vermuthen<lb/>
noch mehr ausbreiten, &#x017F;o muß der Begriff vom Garten, der &#x017F;ich jetzt am mei&#x017F;ten auf-<lb/>
hellen &#x017F;ollte, unter dem Nebel die&#x017F;er eigen&#x017F;innigen Unordnung wieder verdunkelt wer-<lb/>
den. Man kann fa&#x017F;t keinen Garten mehr ohne <hi rendition="#fr">chine&#x017F;i&#x017F;che</hi> Tempel mit &#x017F;elt&#x017F;amen<lb/>
Schno&#x0364;rkeln, ohne ge&#x017F;chla&#x0364;ngelte Bru&#x0364;cken, ohne vergoldete oder lakirte Pagoden mit<lb/>
Geklingel, ohne Fel&#x017F;en auf der Ebene, ohne andre phanta&#x017F;ti&#x017F;che Spielwerke, worunter<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Natur</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0027] des Begriffs vom Garten. noch war ein Park zu den Zeiten der ſymmetriſchen Manier etwas anders, als er nachher, nach der Einfuͤhrung des neuern Geſchmacks, in England und bey den brittiſchen Schriftſtellern ward. Vormals war ein Park nichts anders, als ein weiter eingeſchloſſener und mit einer hohen Mauer umgebener Raum, in große ſymmetriſche Stuͤcke vertheilt, mit geraden Alleen bepflanzt, die auf Einen Mittelpunkt zuſammenliefen, oder einen Stern bildeten, und mit hin und wieder ausgegrabenen Teichen und Kanaͤlen. Eine ſolche Anlage hat zwar in der Hitze reichen Schatten, aber zu viel Finſterniß, die durch keine Ausſicht in die Landſchaft, durch keine innere Scene der Anmuth wieder aufge- heitert ward; die Feuchtigkeit des Bodens, die Ausduͤnſtung der ſtehenden Waſſer, die Menge der Muͤcken und die traurige Einſamkeit, die hier herrſchte, beſchwerte den Spatzierenden und erfuͤllte ihn mit Truͤbſinn. Dieſe Parks, die ſo viel unbe- nutztes Land verſchlungen, trugen ganz den Charakter der Zeit, da der Stolz ſich nur uͤber den Beſitz von Macht und Reichthum freute, und jede geſellige Freude verbannte; da die Bewohner der Schloͤſſer ſich wegen der Gewaltthaͤtigkeiten, die ſie ausuͤbten und die ſie wieder befuͤrchteten, hinter Mauern und Thuͤrmen zu verbergen noͤthig fan- den; da die Wildheit der Sitten den Geſchmack an den heitern Schoͤnheiten der Na- tur erſtickte, und die Jagd, die man in dieſen weiten Raͤumen anſtellte, faſt die ein- zige Beluſtigung des Adels war. Als die neuen Parks in England angelegt wurden, veredelte ſich Sache und Name. Man ſah verſchoͤnerte Landſchaftgemaͤlde in einem reinen Styl, eine Zuſam- menſetzung von Scenen, worinn von der Natur und Kunſt alles entlehnt war, was ſie Großes, Reiches und Bluͤhendes haben. Es geſchah indeſſen ganz willkuͤhrlich, daß man Garten und Park einander entgegen ſtellte. Denn Kleinheit und Symme- trie, die man dem Garten zum unterſcheidenden Charakter beylegen wollte, gehoͤren ihm nicht ſeinem Urſprunge, noch weniger ſeiner wahren Natur und Beſtimmung nach, zu; nur ein freches Vorurtheil hatte ſie ihm aufgebuͤrdet. Und das Laͤndliche, das Freye und das Große kommt ſo vielen Gattungen von Gaͤrten zu, daß man es nicht auf die, welche man unter dem Namen von Parks ſich vorzuſtellen pflegt, ein- ſchraͤnken darf. Sollte die Thorheit der Nachaͤffung chineſiſcher Gaͤrten ſich wider Vermuthen noch mehr ausbreiten, ſo muß der Begriff vom Garten, der ſich jetzt am meiſten auf- hellen ſollte, unter dem Nebel dieſer eigenſinnigen Unordnung wieder verdunkelt wer- den. Man kann faſt keinen Garten mehr ohne chineſiſche Tempel mit ſeltſamen Schnoͤrkeln, ohne geſchlaͤngelte Bruͤcken, ohne vergoldete oder lakirte Pagoden mit Geklingel, ohne Felſen auf der Ebene, ohne andre phantaſtiſche Spielwerke, worunter Natur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/27
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/27>, abgerufen am 03.12.2024.