Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.nach dem Charakter der Gegenden. Wildniß, eine gewisse kühne Unordnung, eine gewisse nachlässige Häufung von star-ken regellosen Massen, sind von dem Charakter des Erhabenen fast unzertrennlich. Keine feine und zierliche Gebäude gehören ihm zu; sondern bejahrte Bergschlösser und Thürme, die von Felsen hangen, und selbst Ruinen von majestätischen Gebäuden, welche Zeit und Wetterstrahl nur allmälig mit Mühe zerstörten. Obelisken und Säu- len von rohen Felssteinen, die an heroische Begebenheiten der Vorwelt oder an alte Helden erinnern, scheinen die Denkmäler zu seyn, die sich zu dieser Lage schicken. Die Brücken müssen roh von Felsstücken zusammen geworfen seyn, oder aus kühnen und starken Bögen bestehen. Eine tiefe Stille, die auf unbewohnten Bergen und fel- sigten Höhen zu herrschen pflegt, und nur zuweilen von der Stimme des Sturms oder des nach Raub schreyenden Adlers unterbrochen wird, ist nicht weniger erhaben, als das Getöse wilder Wasserfälle, die in klippenvolle Abgründe hinunter toben, und der donnernde Wiederhall von der Felsenwand. Die Aussichten von Gebirgen auf das Meer zur Zeit des Sturms oder in einer stillen Mondnacht, oder in Wolken hinab, worinn ein Gewitter kämpft, stellen dem Auge sehr erhabene Zufälligkeiten dar. 2. In gebirgigten Ländern, als in Norwegen, in Schottland und in der Weil erhabene und feyerliche Gegenden für die Bewohnung selbst meistens zu Edgecombe bey Plymouth. **) Edgecombe ist ein Vorgebirge, das auf der rechten Seite von Plymouth in zenlose *) S. 3ter B. S. 211-213. **) Baretti Reisen durch England, Portugall, etc. 6ter Brief. P 3
nach dem Charakter der Gegenden. Wildniß, eine gewiſſe kuͤhne Unordnung, eine gewiſſe nachlaͤſſige Haͤufung von ſtar-ken regelloſen Maſſen, ſind von dem Charakter des Erhabenen faſt unzertrennlich. Keine feine und zierliche Gebaͤude gehoͤren ihm zu; ſondern bejahrte Bergſchloͤſſer und Thuͤrme, die von Felſen hangen, und ſelbſt Ruinen von majeſtaͤtiſchen Gebaͤuden, welche Zeit und Wetterſtrahl nur allmaͤlig mit Muͤhe zerſtoͤrten. Obelisken und Saͤu- len von rohen Felsſteinen, die an heroiſche Begebenheiten der Vorwelt oder an alte Helden erinnern, ſcheinen die Denkmaͤler zu ſeyn, die ſich zu dieſer Lage ſchicken. Die Bruͤcken muͤſſen roh von Felsſtuͤcken zuſammen geworfen ſeyn, oder aus kuͤhnen und ſtarken Boͤgen beſtehen. Eine tiefe Stille, die auf unbewohnten Bergen und fel- ſigten Hoͤhen zu herrſchen pflegt, und nur zuweilen von der Stimme des Sturms oder des nach Raub ſchreyenden Adlers unterbrochen wird, iſt nicht weniger erhaben, als das Getoͤſe wilder Waſſerfaͤlle, die in klippenvolle Abgruͤnde hinunter toben, und der donnernde Wiederhall von der Felſenwand. Die Ausſichten von Gebirgen auf das Meer zur Zeit des Sturms oder in einer ſtillen Mondnacht, oder in Wolken hinab, worinn ein Gewitter kaͤmpft, ſtellen dem Auge ſehr erhabene Zufaͤlligkeiten dar. 2. In gebirgigten Laͤndern, als in Norwegen, in Schottland und in der Weil erhabene und feyerliche Gegenden fuͤr die Bewohnung ſelbſt meiſtens zu Edgecombe bey Plymouth. **) Edgecombe iſt ein Vorgebirge, das auf der rechten Seite von Plymouth in zenloſe *) S. 3ter B. S. 211-213. **) Baretti Reiſen durch England, Portugall, ꝛc. 6ter Brief. P 3
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nach dem Charakter der Gegenden.
Wildniß, eine gewiſſe kuͤhne Unordnung, eine gewiſſe nachlaͤſſige Haͤufung von ſtar-
ken regelloſen Maſſen, ſind von dem Charakter des Erhabenen faſt unzertrennlich.
Keine feine und zierliche Gebaͤude gehoͤren ihm zu; ſondern bejahrte Bergſchloͤſſer und
Thuͤrme, die von Felſen hangen, und ſelbſt Ruinen von majeſtaͤtiſchen Gebaͤuden,
welche Zeit und Wetterſtrahl nur allmaͤlig mit Muͤhe zerſtoͤrten. Obelisken und Saͤu-
len von rohen Felsſteinen, die an heroiſche Begebenheiten der Vorwelt oder an alte
Helden erinnern, ſcheinen die Denkmaͤler zu ſeyn, die ſich zu dieſer Lage ſchicken.
Die Bruͤcken muͤſſen roh von Felsſtuͤcken zuſammen geworfen ſeyn, oder aus kuͤhnen
und ſtarken Boͤgen beſtehen. Eine tiefe Stille, die auf unbewohnten Bergen und fel-
ſigten Hoͤhen zu herrſchen pflegt, und nur zuweilen von der Stimme des Sturms oder
des nach Raub ſchreyenden Adlers unterbrochen wird, iſt nicht weniger erhaben, als
das Getoͤſe wilder Waſſerfaͤlle, die in klippenvolle Abgruͤnde hinunter toben, und der
donnernde Wiederhall von der Felſenwand. Die Ausſichten von Gebirgen auf das
Meer zur Zeit des Sturms oder in einer ſtillen Mondnacht, oder in Wolken hinab,
worinn ein Gewitter kaͤmpft, ſtellen dem Auge ſehr erhabene Zufaͤlligkeiten dar.
2.
In gebirgigten Laͤndern, als in Norwegen, in Schottland und in der
Schweitz bildet die Natur ihre feyerlichen Gegenden. Wie viele Landſitze giebt es
nicht, beſonders in der Schweitz, die, nach ihrer Lage an den untern Bergen der
Alpen und nach ihren Ausſichten, ganz zu dieſem Charakter gehoͤren! Auch Marien-
luſt *) kann wegen der heroiſchen Lage hieher gerechnet werden.
Weil erhabene und feyerliche Gegenden fuͤr die Bewohnung ſelbſt meiſtens zu
rauh und unbequem ſind; ſo werden die Wirkungen dieſes Charakters leichter durch
die Nachbarſchaft ſolcher Gegenden und durch die Ausſichten in ſie erreicht. So
verhaͤlt es ſich in dieſen Anlagen.
Edgecombe bey Plymouth. **)
Edgecombe iſt ein Vorgebirge, das auf der rechten Seite von Plymouth in
die See hineinliegt. Es gehoͤrt einem engliſchen Lord, der ein Landhaus darauf an-
gelegt hat, das in Anſehung ſeiner Lage vielleicht wenig ſeines gleichen in der Welt
hat. Dies iſt viel geſagt; wer es aber ſieht, der muß uͤber den unermeßlichen Raum,
der ſich dem Auge darbietet, erſtaunen. Aus den Fenſtern uͤberſieht man die graͤn-
zenloſe
*) S. 3ter B. S. 211-213.
**) Baretti Reiſen durch England, Portugall, ꝛc. 6ter Brief.
P 3
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