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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Anhang. Beschreibungen
Bäumen verfolgt, hat man lange zur Linken jenes Kornfeld, zur Rechten den schönen
Waldbach, der bald nahe fließt, bald seitwärts umirret, bald von überhängenden
Sträuchen ganz verdunkelt ist, bald im gebrochenen Sonnenschein dahin wallt. Ue-
ber den Bach erblickt man, in abwechselnden Durchsichten durch die Gebüsche, ein-
zelne Theile der Wiese, die man zuerst im Mooshause entdeckte. Endlich hört die
angenehme Begleitung des Bachs auf, indem er sich rechts in die Gebüsche ganz ver-
liert. Noch immer bleibt zur Linken das Kornfeld, und auf der rechten Hand tritt
wieder eine reizende Wiese hervor, die mit Waldung umschattet, und in ihrem Um-
fange hier mit einzelnen Eichen, dort mit kleinen Gruppen dieser Bäume malerisch
geziert ist.

Indem die Seele sich den angenehmen Empfindungen über die Schönheit dieser
ländlichen Auftritte überläßt, so wird sie aus ihrer sanften Behagung auf einmal durch
das starke Geräusch eines angelegten Wasserfalls geweckt, den das Auge nirgends fin-
det. Man hört ihn mehr, je weiter man wandelt; man glaubt ihn jetzt sehen zu müssen,
und doch verbirgt er sich; man tritt in seine Nähe auf einen runden erhöheten Platz,
unter emporsteigenden ehrwürdigen Eichen, und noch immer ist er blos dem Ohr durch
sein Getöse gegenwärtig. Indem man in den einfachländlichen der Natur gewidme-
ten Tempel, der auf diesem Platze steht, eintritt; so sieht man auf einmal den schönen
Wasserfall von der gegenüber liegenden Anhöhe aus der waldigten Verdunkelung in
eine nahe Tiefe über fünf Absätze hinabschäumen, eine Scene, deren Schönheit durch
die Ueberraschung des Auges noch empfindbarer wird. Der Ursprung des Wasserfalls
ist hier noch immer unsichtbar, denn er stürzt sich unter einem Buschwerk aus einem
ansehnlichen Waldbach hervor, der von jenem obern Bach beym Mooshause abfließt,
und von dem Tempel aus nicht gesehen wird. Ringsumher ist dieses Revier von ho-
hen Bäumen und dicken Gebüschen umschlossen; nur zur rechten Seite eine Aussicht
auf die zuletzt erwähnte Wiese und ihren dunkeln waldigten Hintergrund. Das Wasser
eilt seitwärts unter der Dunkelheit der Gebüsche fort, um eine nahe Mühle in Bewe-
gung zu bringen, die dieser anmuthigen Einöde ein neues Leben giebt. Der Eindruck
dieser Scene, als ich sie zum erstenmal sah, versetzte mich in eine schwermüthige Be-
geisterung. Es athmete eben der süßeste Abend des May; das frische Laub und die
Kräuter gossen einen Reichthum von Wohlgerüchen aus; der Himmel war milde, ru-
hig, und noch von dem letzten Lichte der Abendröthe übergoldet; wir wurden von der
holden Musik einiger Waldhörner in der Ferne empfangen, deren Kraft in einer sol-
chen Gegend und an einem solchen Abend über allen Ausdruck bezaubernd ist; der
Wasserfall rauschte, und die jungen Bräutigams der Nachtigallen flöteten in das
rauhe Concert wetteifernd ihre verliebten Melodien.

Von

Anhang. Beſchreibungen
Baͤumen verfolgt, hat man lange zur Linken jenes Kornfeld, zur Rechten den ſchoͤnen
Waldbach, der bald nahe fließt, bald ſeitwaͤrts umirret, bald von uͤberhaͤngenden
Straͤuchen ganz verdunkelt iſt, bald im gebrochenen Sonnenſchein dahin wallt. Ue-
ber den Bach erblickt man, in abwechſelnden Durchſichten durch die Gebuͤſche, ein-
zelne Theile der Wieſe, die man zuerſt im Mooshauſe entdeckte. Endlich hoͤrt die
angenehme Begleitung des Bachs auf, indem er ſich rechts in die Gebuͤſche ganz ver-
liert. Noch immer bleibt zur Linken das Kornfeld, und auf der rechten Hand tritt
wieder eine reizende Wieſe hervor, die mit Waldung umſchattet, und in ihrem Um-
fange hier mit einzelnen Eichen, dort mit kleinen Gruppen dieſer Baͤume maleriſch
geziert iſt.

Indem die Seele ſich den angenehmen Empfindungen uͤber die Schoͤnheit dieſer
laͤndlichen Auftritte uͤberlaͤßt, ſo wird ſie aus ihrer ſanften Behagung auf einmal durch
das ſtarke Geraͤuſch eines angelegten Waſſerfalls geweckt, den das Auge nirgends fin-
det. Man hoͤrt ihn mehr, je weiter man wandelt; man glaubt ihn jetzt ſehen zu muͤſſen,
und doch verbirgt er ſich; man tritt in ſeine Naͤhe auf einen runden erhoͤheten Platz,
unter emporſteigenden ehrwuͤrdigen Eichen, und noch immer iſt er blos dem Ohr durch
ſein Getoͤſe gegenwaͤrtig. Indem man in den einfachlaͤndlichen der Natur gewidme-
ten Tempel, der auf dieſem Platze ſteht, eintritt; ſo ſieht man auf einmal den ſchoͤnen
Waſſerfall von der gegenuͤber liegenden Anhoͤhe aus der waldigten Verdunkelung in
eine nahe Tiefe uͤber fuͤnf Abſaͤtze hinabſchaͤumen, eine Scene, deren Schoͤnheit durch
die Ueberraſchung des Auges noch empfindbarer wird. Der Urſprung des Waſſerfalls
iſt hier noch immer unſichtbar, denn er ſtuͤrzt ſich unter einem Buſchwerk aus einem
anſehnlichen Waldbach hervor, der von jenem obern Bach beym Mooshauſe abfließt,
und von dem Tempel aus nicht geſehen wird. Ringsumher iſt dieſes Revier von ho-
hen Baͤumen und dicken Gebuͤſchen umſchloſſen; nur zur rechten Seite eine Ausſicht
auf die zuletzt erwaͤhnte Wieſe und ihren dunkeln waldigten Hintergrund. Das Waſſer
eilt ſeitwaͤrts unter der Dunkelheit der Gebuͤſche fort, um eine nahe Muͤhle in Bewe-
gung zu bringen, die dieſer anmuthigen Einoͤde ein neues Leben giebt. Der Eindruck
dieſer Scene, als ich ſie zum erſtenmal ſah, verſetzte mich in eine ſchwermuͤthige Be-
geiſterung. Es athmete eben der ſuͤßeſte Abend des May; das friſche Laub und die
Kraͤuter goſſen einen Reichthum von Wohlgeruͤchen aus; der Himmel war milde, ru-
hig, und noch von dem letzten Lichte der Abendroͤthe uͤbergoldet; wir wurden von der
holden Muſik einiger Waldhoͤrner in der Ferne empfangen, deren Kraft in einer ſol-
chen Gegend und an einem ſolchen Abend uͤber allen Ausdruck bezaubernd iſt; der
Waſſerfall rauſchte, und die jungen Braͤutigams der Nachtigallen floͤteten in das
rauhe Concert wetteifernd ihre verliebten Melodien.

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[246/0257] Anhang. Beſchreibungen Baͤumen verfolgt, hat man lange zur Linken jenes Kornfeld, zur Rechten den ſchoͤnen Waldbach, der bald nahe fließt, bald ſeitwaͤrts umirret, bald von uͤberhaͤngenden Straͤuchen ganz verdunkelt iſt, bald im gebrochenen Sonnenſchein dahin wallt. Ue- ber den Bach erblickt man, in abwechſelnden Durchſichten durch die Gebuͤſche, ein- zelne Theile der Wieſe, die man zuerſt im Mooshauſe entdeckte. Endlich hoͤrt die angenehme Begleitung des Bachs auf, indem er ſich rechts in die Gebuͤſche ganz ver- liert. Noch immer bleibt zur Linken das Kornfeld, und auf der rechten Hand tritt wieder eine reizende Wieſe hervor, die mit Waldung umſchattet, und in ihrem Um- fange hier mit einzelnen Eichen, dort mit kleinen Gruppen dieſer Baͤume maleriſch geziert iſt. Indem die Seele ſich den angenehmen Empfindungen uͤber die Schoͤnheit dieſer laͤndlichen Auftritte uͤberlaͤßt, ſo wird ſie aus ihrer ſanften Behagung auf einmal durch das ſtarke Geraͤuſch eines angelegten Waſſerfalls geweckt, den das Auge nirgends fin- det. Man hoͤrt ihn mehr, je weiter man wandelt; man glaubt ihn jetzt ſehen zu muͤſſen, und doch verbirgt er ſich; man tritt in ſeine Naͤhe auf einen runden erhoͤheten Platz, unter emporſteigenden ehrwuͤrdigen Eichen, und noch immer iſt er blos dem Ohr durch ſein Getoͤſe gegenwaͤrtig. Indem man in den einfachlaͤndlichen der Natur gewidme- ten Tempel, der auf dieſem Platze ſteht, eintritt; ſo ſieht man auf einmal den ſchoͤnen Waſſerfall von der gegenuͤber liegenden Anhoͤhe aus der waldigten Verdunkelung in eine nahe Tiefe uͤber fuͤnf Abſaͤtze hinabſchaͤumen, eine Scene, deren Schoͤnheit durch die Ueberraſchung des Auges noch empfindbarer wird. Der Urſprung des Waſſerfalls iſt hier noch immer unſichtbar, denn er ſtuͤrzt ſich unter einem Buſchwerk aus einem anſehnlichen Waldbach hervor, der von jenem obern Bach beym Mooshauſe abfließt, und von dem Tempel aus nicht geſehen wird. Ringsumher iſt dieſes Revier von ho- hen Baͤumen und dicken Gebuͤſchen umſchloſſen; nur zur rechten Seite eine Ausſicht auf die zuletzt erwaͤhnte Wieſe und ihren dunkeln waldigten Hintergrund. Das Waſſer eilt ſeitwaͤrts unter der Dunkelheit der Gebuͤſche fort, um eine nahe Muͤhle in Bewe- gung zu bringen, die dieſer anmuthigen Einoͤde ein neues Leben giebt. Der Eindruck dieſer Scene, als ich ſie zum erſtenmal ſah, verſetzte mich in eine ſchwermuͤthige Be- geiſterung. Es athmete eben der ſuͤßeſte Abend des May; das friſche Laub und die Kraͤuter goſſen einen Reichthum von Wohlgeruͤchen aus; der Himmel war milde, ru- hig, und noch von dem letzten Lichte der Abendroͤthe uͤbergoldet; wir wurden von der holden Muſik einiger Waldhoͤrner in der Ferne empfangen, deren Kraft in einer ſol- chen Gegend und an einem ſolchen Abend uͤber allen Ausdruck bezaubernd iſt; der Waſſerfall rauſchte, und die jungen Braͤutigams der Nachtigallen floͤteten in das rauhe Concert wetteifernd ihre verliebten Melodien. Von

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/257>, abgerufen am 22.11.2024.