Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

von Lustschlössern.
Welche Schauspiele! Allmächtige Natur! Sie erhebt sich, deine Königinn, und ein
vorlaufender Schimmer, der ihre Annäherung verkündigt, erheitert den östlichen
Himmel und die um ihn wallenden Wellen, die ihn zu bespülen scheinen. Flim-
mernde Lichter zünden sich immer mehr und immer heller am Horizont an, und wer-
fen über die weißen Flächen hin lange Streifen. Die wechselnden Gemälde, die das
steigende Licht in den kleinen Gewölken bildet, die hin und wieder noch am Himmel
zu schlummern scheinen, spiegeln sich in der klaren Fluth; und allmählig sich erhebende
Lüfte fangen an, ihren Stand und ihre Gestalten zu verändern. Und nun steigt sie
empor, die Sonne, in der ganzen Herrlichkeit ihres Lichts. Ein blendendes Feuer
schießt über das Meer herüber; die Wellen dieses Bezirks fangen an zu glühen;
Glanz und Schimmer zerstreuen sich seitwärts über die ungeheuern Flächen dahin;
überall empfangen die weißen Segel die Begrüßungen des Lichts; und in der Ferne
am Horizont werden ungesehene Masten wieder sichtbar. Von der erleuchteten Höhe
der umliegenden Ufer erschallt das Gebrüll der Heerden, und in ihrer Tiefe erneuern
sich wieder die Geschäfte zufriedener Fischer. Man wird gereizt, nicht blos die erha-
bene Schönheit, sondern auch die Glückseligkeit zu empfinden, die dem Auge in diesen
Aussichten begegnet.

Tutus bos etenim rura perambulat;
Nutrit rura Ceres, almaque Faustitas;
Pacatum volitant per mare navitae;

Culpari metuit fides. *)

Das Lustschloß ist **) in einem sehr edlen Geschmack gebauet, und hat ein
großes und prächtiges Ansehen. Es macht ein längliches Viereck von zwey Stock-
werken und mit zwey Flügeln; das mittlere Hauptgebäude ist mit einer Kupel ge-
krönt. Der weiße Anwurf des Gebäudes und das blaue Dach machen es nicht we-
niger, wie die Lage, zu einem vortrefflichen Gegenstande im Prospect, besonders für
das Auge der Vorübersegelnden.

Die Vorderseite des Schlosses hat drey Thüren, wovon die mittlere, als der
Haupteingang, in einen schönen Saal führt. Ueber ihm, in der Mitte des obern
Stockwerks, liegt ein anderer prächtiger Saal, mit Blumenmalereyen geschmückt,
vorne mit der freyen Aussicht auf das Meer und hinten auf den Garten, den angrän-
zenden Lustwald und die benachbarten Waldungen, aus welchen das weiße Landhaus

von
*) Hora#. Lib. IV. Od. V.
**) Im Jahr 1744. Eine Abbildung davon ist im 2ten B. dieses Werks S. 11.

von Luſtſchloͤſſern.
Welche Schauſpiele! Allmaͤchtige Natur! Sie erhebt ſich, deine Koͤniginn, und ein
vorlaufender Schimmer, der ihre Annaͤherung verkuͤndigt, erheitert den oͤſtlichen
Himmel und die um ihn wallenden Wellen, die ihn zu beſpuͤlen ſcheinen. Flim-
mernde Lichter zuͤnden ſich immer mehr und immer heller am Horizont an, und wer-
fen uͤber die weißen Flaͤchen hin lange Streifen. Die wechſelnden Gemaͤlde, die das
ſteigende Licht in den kleinen Gewoͤlken bildet, die hin und wieder noch am Himmel
zu ſchlummern ſcheinen, ſpiegeln ſich in der klaren Fluth; und allmaͤhlig ſich erhebende
Luͤfte fangen an, ihren Stand und ihre Geſtalten zu veraͤndern. Und nun ſteigt ſie
empor, die Sonne, in der ganzen Herrlichkeit ihres Lichts. Ein blendendes Feuer
ſchießt uͤber das Meer heruͤber; die Wellen dieſes Bezirks fangen an zu gluͤhen;
Glanz und Schimmer zerſtreuen ſich ſeitwaͤrts uͤber die ungeheuern Flaͤchen dahin;
uͤberall empfangen die weißen Segel die Begruͤßungen des Lichts; und in der Ferne
am Horizont werden ungeſehene Maſten wieder ſichtbar. Von der erleuchteten Hoͤhe
der umliegenden Ufer erſchallt das Gebruͤll der Heerden, und in ihrer Tiefe erneuern
ſich wieder die Geſchaͤfte zufriedener Fiſcher. Man wird gereizt, nicht blos die erha-
bene Schoͤnheit, ſondern auch die Gluͤckſeligkeit zu empfinden, die dem Auge in dieſen
Ausſichten begegnet.

Tutus bos etenim rura perambulat;
Nutrit rura Ceres, almaque Fauſtitas;
Pacatum volitant per mare navitae;

Culpari metuit fides. *)

Das Luſtſchloß iſt **) in einem ſehr edlen Geſchmack gebauet, und hat ein
großes und praͤchtiges Anſehen. Es macht ein laͤngliches Viereck von zwey Stock-
werken und mit zwey Fluͤgeln; das mittlere Hauptgebaͤude iſt mit einer Kupel ge-
kroͤnt. Der weiße Anwurf des Gebaͤudes und das blaue Dach machen es nicht we-
niger, wie die Lage, zu einem vortrefflichen Gegenſtande im Proſpect, beſonders fuͤr
das Auge der Voruͤberſegelnden.

Die Vorderſeite des Schloſſes hat drey Thuͤren, wovon die mittlere, als der
Haupteingang, in einen ſchoͤnen Saal fuͤhrt. Ueber ihm, in der Mitte des obern
Stockwerks, liegt ein anderer praͤchtiger Saal, mit Blumenmalereyen geſchmuͤckt,
vorne mit der freyen Ausſicht auf das Meer und hinten auf den Garten, den angraͤn-
zenden Luſtwald und die benachbarten Waldungen, aus welchen das weiße Landhaus

von
*) Hora#. Lib. IV. Od. V.
**) Im Jahr 1744. Eine Abbildung davon iſt im 2ten B. dieſes Werks S. 11.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0226" n="215"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Lu&#x017F;t&#x017F;chlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern.</hi></fw><lb/>
Welche Schau&#x017F;piele! Allma&#x0364;chtige Natur! Sie erhebt &#x017F;ich, deine Ko&#x0364;niginn, und ein<lb/>
vorlaufender Schimmer, der ihre Anna&#x0364;herung verku&#x0364;ndigt, erheitert den o&#x0364;&#x017F;tlichen<lb/>
Himmel und die um ihn wallenden Wellen, die ihn zu be&#x017F;pu&#x0364;len &#x017F;cheinen. Flim-<lb/>
mernde Lichter zu&#x0364;nden &#x017F;ich immer mehr und immer heller am Horizont an, und wer-<lb/>
fen u&#x0364;ber die weißen Fla&#x0364;chen hin lange Streifen. Die wech&#x017F;elnden Gema&#x0364;lde, die das<lb/>
&#x017F;teigende Licht in den kleinen Gewo&#x0364;lken bildet, die hin und wieder noch am Himmel<lb/>
zu &#x017F;chlummern &#x017F;cheinen, &#x017F;piegeln &#x017F;ich in der klaren Fluth; und allma&#x0364;hlig &#x017F;ich erhebende<lb/>
Lu&#x0364;fte fangen an, ihren Stand und ihre Ge&#x017F;talten zu vera&#x0364;ndern. Und nun &#x017F;teigt &#x017F;ie<lb/>
empor, die Sonne, in der ganzen Herrlichkeit ihres Lichts. Ein blendendes Feuer<lb/>
&#x017F;chießt u&#x0364;ber das Meer heru&#x0364;ber; die Wellen die&#x017F;es Bezirks fangen an zu glu&#x0364;hen;<lb/>
Glanz und Schimmer zer&#x017F;treuen &#x017F;ich &#x017F;eitwa&#x0364;rts u&#x0364;ber die ungeheuern Fla&#x0364;chen dahin;<lb/>
u&#x0364;berall empfangen die weißen Segel die Begru&#x0364;ßungen des Lichts; und in der Ferne<lb/>
am Horizont werden unge&#x017F;ehene Ma&#x017F;ten wieder &#x017F;ichtbar. Von der erleuchteten Ho&#x0364;he<lb/>
der umliegenden Ufer er&#x017F;challt das Gebru&#x0364;ll der Heerden, und in ihrer Tiefe erneuern<lb/>
&#x017F;ich wieder die Ge&#x017F;cha&#x0364;fte zufriedener Fi&#x017F;cher. Man wird gereizt, nicht blos die erha-<lb/>
bene Scho&#x0364;nheit, &#x017F;ondern auch die Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit zu empfinden, die dem Auge in die&#x017F;en<lb/>
Aus&#x017F;ichten begegnet.</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#aq">Tutus bos etenim rura perambulat;<lb/>
Nutrit rura Ceres, almaque Fau&#x017F;titas;<lb/>
Pacatum volitant per mare navitae;</hi><lb/> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#aq">Culpari metuit fides.</hi> <note place="foot" n="*)"> <hi rendition="#aq">Hora#. Lib. IV. Od. V.</hi> </note>
              </hi> </quote>
            <bibl/>
          </cit><lb/>
          <p>Das Lu&#x017F;t&#x017F;chloß i&#x017F;t <note place="foot" n="**)">Im Jahr 1744. Eine Abbildung davon i&#x017F;t im 2ten B. die&#x017F;es Werks S. 11.</note> in einem &#x017F;ehr edlen Ge&#x017F;chmack gebauet, und hat ein<lb/>
großes und pra&#x0364;chtiges An&#x017F;ehen. Es macht ein la&#x0364;ngliches Viereck von zwey Stock-<lb/>
werken und mit zwey Flu&#x0364;geln; das mittlere Hauptgeba&#x0364;ude i&#x017F;t mit einer Kupel ge-<lb/>
kro&#x0364;nt. Der weiße Anwurf des Geba&#x0364;udes und das blaue Dach machen es nicht we-<lb/>
niger, wie die Lage, zu einem vortrefflichen Gegen&#x017F;tande im Pro&#x017F;pect, be&#x017F;onders fu&#x0364;r<lb/>
das Auge der Voru&#x0364;ber&#x017F;egelnden.</p><lb/>
          <p>Die Vorder&#x017F;eite des Schlo&#x017F;&#x017F;es hat drey Thu&#x0364;ren, wovon die mittlere, als der<lb/>
Haupteingang, in einen &#x017F;cho&#x0364;nen Saal fu&#x0364;hrt. Ueber ihm, in der Mitte des obern<lb/>
Stockwerks, liegt ein anderer pra&#x0364;chtiger Saal, mit Blumenmalereyen ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt,<lb/>
vorne mit der freyen Aus&#x017F;icht auf das Meer und hinten auf den Garten, den angra&#x0364;n-<lb/>
zenden Lu&#x017F;twald und die benachbarten Waldungen, aus welchen das weiße Landhaus<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0226] von Luſtſchloͤſſern. Welche Schauſpiele! Allmaͤchtige Natur! Sie erhebt ſich, deine Koͤniginn, und ein vorlaufender Schimmer, der ihre Annaͤherung verkuͤndigt, erheitert den oͤſtlichen Himmel und die um ihn wallenden Wellen, die ihn zu beſpuͤlen ſcheinen. Flim- mernde Lichter zuͤnden ſich immer mehr und immer heller am Horizont an, und wer- fen uͤber die weißen Flaͤchen hin lange Streifen. Die wechſelnden Gemaͤlde, die das ſteigende Licht in den kleinen Gewoͤlken bildet, die hin und wieder noch am Himmel zu ſchlummern ſcheinen, ſpiegeln ſich in der klaren Fluth; und allmaͤhlig ſich erhebende Luͤfte fangen an, ihren Stand und ihre Geſtalten zu veraͤndern. Und nun ſteigt ſie empor, die Sonne, in der ganzen Herrlichkeit ihres Lichts. Ein blendendes Feuer ſchießt uͤber das Meer heruͤber; die Wellen dieſes Bezirks fangen an zu gluͤhen; Glanz und Schimmer zerſtreuen ſich ſeitwaͤrts uͤber die ungeheuern Flaͤchen dahin; uͤberall empfangen die weißen Segel die Begruͤßungen des Lichts; und in der Ferne am Horizont werden ungeſehene Maſten wieder ſichtbar. Von der erleuchteten Hoͤhe der umliegenden Ufer erſchallt das Gebruͤll der Heerden, und in ihrer Tiefe erneuern ſich wieder die Geſchaͤfte zufriedener Fiſcher. Man wird gereizt, nicht blos die erha- bene Schoͤnheit, ſondern auch die Gluͤckſeligkeit zu empfinden, die dem Auge in dieſen Ausſichten begegnet. Tutus bos etenim rura perambulat; Nutrit rura Ceres, almaque Fauſtitas; Pacatum volitant per mare navitae; Culpari metuit fides. *) Das Luſtſchloß iſt **) in einem ſehr edlen Geſchmack gebauet, und hat ein großes und praͤchtiges Anſehen. Es macht ein laͤngliches Viereck von zwey Stock- werken und mit zwey Fluͤgeln; das mittlere Hauptgebaͤude iſt mit einer Kupel ge- kroͤnt. Der weiße Anwurf des Gebaͤudes und das blaue Dach machen es nicht we- niger, wie die Lage, zu einem vortrefflichen Gegenſtande im Proſpect, beſonders fuͤr das Auge der Voruͤberſegelnden. Die Vorderſeite des Schloſſes hat drey Thuͤren, wovon die mittlere, als der Haupteingang, in einen ſchoͤnen Saal fuͤhrt. Ueber ihm, in der Mitte des obern Stockwerks, liegt ein anderer praͤchtiger Saal, mit Blumenmalereyen geſchmuͤckt, vorne mit der freyen Ausſicht auf das Meer und hinten auf den Garten, den angraͤn- zenden Luſtwald und die benachbarten Waldungen, aus welchen das weiße Landhaus von *) Hora#. Lib. IV. Od. V. **) Im Jahr 1744. Eine Abbildung davon iſt im 2ten B. dieſes Werks S. 11.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/226
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/226>, abgerufen am 24.11.2024.