Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.Einsiedeleyen, Capellen und Ruinen. desto stärker rühren, je mehr sie von der Scene unterstützt und vor aller Zerstreuungverwahrt werden. Eine Capelle ist Betrachtungen dieser Art sehr zustimmend. Schon ihr bloßer Anblick erweckt eine heilige Ehrfurcht, und ihre Einrichtung muß diese Be- wegung unterhalten. Ein solches Gebäude ist dem Gebete, der einsamen Betrachtung, den rührend- Der Charakter einer Capelle muß aus hoher Einfalt und stiller Würde bestehen. In Klostergärten sind Capellen sehr schickliche Gebäude, und vertreten die Stelle V. Rui- O 3
Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen. deſto ſtaͤrker ruͤhren, je mehr ſie von der Scene unterſtuͤtzt und vor aller Zerſtreuungverwahrt werden. Eine Capelle iſt Betrachtungen dieſer Art ſehr zuſtimmend. Schon ihr bloßer Anblick erweckt eine heilige Ehrfurcht, und ihre Einrichtung muß dieſe Be- wegung unterhalten. Ein ſolches Gebaͤude iſt dem Gebete, der einſamen Betrachtung, den ruͤhrend- Der Charakter einer Capelle muß aus hoher Einfalt und ſtiller Wuͤrde beſtehen. In Kloſtergaͤrten ſind Capellen ſehr ſchickliche Gebaͤude, und vertreten die Stelle V. Rui- O 3
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Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen.
deſto ſtaͤrker ruͤhren, je mehr ſie von der Scene unterſtuͤtzt und vor aller Zerſtreuung
verwahrt werden. Eine Capelle iſt Betrachtungen dieſer Art ſehr zuſtimmend. Schon
ihr bloßer Anblick erweckt eine heilige Ehrfurcht, und ihre Einrichtung muß dieſe Be-
wegung unterhalten.
Ein ſolches Gebaͤude iſt dem Gebete, der einſamen Betrachtung, den ruͤhrend-
ſten Empfindungen uͤber das Weſen und die Abſichten der Gottheit und uͤber die er-
habenſte Beſtimmung des Menſchen gewidmet. Man tritt hinein, um ſeinem Gott
naͤher zu ſeyn, um aus der Fuͤlle aller empfundenen Reize ſeiner Schoͤpfung ſich nun
zu ihm ſelbſt zu erheben, zu dem geiſtigen Anſchauen ſeiner unwandelbaren Schoͤnheit
und Guͤte.
Der Charakter einer Capelle muß aus hoher Einfalt und ſtiller Wuͤrde beſtehen.
Alle Pracht, alle Ueppigkeit der Verzierung muß hier entfernt ſeyn. Ein hohes Ge-
woͤlbe mit wenigen allegoriſchen Bildern, ein Altar mit einem Gemaͤlde, das die An-
betung unterſtuͤtzt, an der Wand eine Inſchrift, welche die Heiligkeit des Orts em-
pfinden lehrt, eine gemaͤßigte Erleuchtung des ganzen innern Bezirks, ſimples und
ehrwuͤrdiges aͤußeres Anſehen, eine ſchattenreiche Lage umſchloſſen von emporſteigen-
den Baͤumen, dieß alles ſcheint einer Capelle am meiſten angemeſſen.
In Kloſtergaͤrten ſind Capellen ſehr ſchickliche Gebaͤude, und vertreten die Stelle
der Tempel, der Pavillons und Luſthaͤuſer, die man hier nicht erwartet. Allein auch
in andern Gaͤrten von einer großen Ausdehnung und einer Folge verſchiedener Scenen
kann, in einer beſonders dazu geſchickten abgelegenen und feyerlichen Gegend, eine
Capelle errichtet werden. Nach einer Reihe von vielen angenehmen und heitern Auf-
tritten kann der Garten allmaͤhlig zu Scenen voll Ernſt und feyerlicher Einſamkeit
uͤbergehen; die Bewegungen koͤnnen gleichſam von Schritt zu Schritt an Wuͤrde
ſteigen. Nur muß hier kein ploͤtzlicher Uebergang geſucht, noch eine Capelle blos als
ein Gegenſtand des Contraſtes angebracht werden. Sie iſt nach ihrer Beſtimmung
ein Werk, das ſich zwar mit den eigentlichen Bewegungen der Gartenauftritte ver-
traͤgt, das aber doch ihr eigenes, von allen uͤbrigen Scenen abgeſondertes, Revier zu
verlangen ſcheint. Bey großen Landſitzen kann eine ſolche Capelle der gewoͤhnliche
Ort des Gottesdienſtes fuͤr den Gutsbeſitzer und ſeine Hofhaltung werden, und die Ab-
gelegenheit einer Kirche erſetzen.
V. Rui-
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