Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.Vom Wasser. dern untermischte Gebüsche; hohe Thürme und alte Schlösser stellten sich unsern Augenzugleich dar; nichts gieng von diesem prächtigen Amphitheater für sie verloren. Die Felder stiegen über die Wälder empor, die Wiesen blickten über die dürren Felsen her- ab, und die Schlösser hiengen auf den Gipfeln der Berge. Darüber hinaus bildeten die stachlichten Spitzen der Alpen, oder schwarze, von den Jahren angegangene oder vom Blitz verbrannte Felsen, mit der blendenden Weiße des Schnees, der diese Ber- ge vom Anbeginn der Welt her bedeckt, den schönsten Contrast. Diese ungeheure, von den Händen der Natur senkrecht aufgestellte und mit ihren lebhaftesten Farben ausgemalte Schilderey lag ganz vor unsern Blicken da, und füllte alle Kräfte unsrer Seele. Unser langsam fortgehendes Fahrzeug entzog den Augen nach und nach die Gegenstände, an welchen sie sich gesättigt hatten, um sie immer durch neue, reizen- dere Aussichten zu ersetzen. Die Haine, Felder, Wiesen, Häuser verschwanden unmerklich, und andre rückten, in einer ganz veränderten Lage, an ihre Stelle. Wir durchliefen hinter einander la grande Rive, la Tour ronde, und die Schlösser Blonay und St. Paul. Als wir nach Millerie gekommen waren, durchschnitten wir den See in gera- Nachdem wir mitten auf den See gekommen waren, lenkte sich unsre Bewun- Wir hatten den Anblick von acht Städten vor uns, die von einer Menge Fle- sche, N 2
Vom Waſſer. dern untermiſchte Gebuͤſche; hohe Thuͤrme und alte Schloͤſſer ſtellten ſich unſern Augenzugleich dar; nichts gieng von dieſem praͤchtigen Amphitheater fuͤr ſie verloren. Die Felder ſtiegen uͤber die Waͤlder empor, die Wieſen blickten uͤber die duͤrren Felſen her- ab, und die Schloͤſſer hiengen auf den Gipfeln der Berge. Daruͤber hinaus bildeten die ſtachlichten Spitzen der Alpen, oder ſchwarze, von den Jahren angegangene oder vom Blitz verbrannte Felſen, mit der blendenden Weiße des Schnees, der dieſe Ber- ge vom Anbeginn der Welt her bedeckt, den ſchoͤnſten Contraſt. Dieſe ungeheure, von den Haͤnden der Natur ſenkrecht aufgeſtellte und mit ihren lebhafteſten Farben ausgemalte Schilderey lag ganz vor unſern Blicken da, und fuͤllte alle Kraͤfte unſrer Seele. Unſer langſam fortgehendes Fahrzeug entzog den Augen nach und nach die Gegenſtaͤnde, an welchen ſie ſich geſaͤttigt hatten, um ſie immer durch neue, reizen- dere Ausſichten zu erſetzen. Die Haine, Felder, Wieſen, Haͤuſer verſchwanden unmerklich, und andre ruͤckten, in einer ganz veraͤnderten Lage, an ihre Stelle. Wir durchliefen hinter einander la grande Rive, la Tour ronde, und die Schloͤſſer Blonay und St. Paul. Als wir nach Millerie gekommen waren, durchſchnitten wir den See in gera- Nachdem wir mitten auf den See gekommen waren, lenkte ſich unſre Bewun- Wir hatten den Anblick von acht Staͤdten vor uns, die von einer Menge Fle- ſche, N 2
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Vom Waſſer.
dern untermiſchte Gebuͤſche; hohe Thuͤrme und alte Schloͤſſer ſtellten ſich unſern Augen
zugleich dar; nichts gieng von dieſem praͤchtigen Amphitheater fuͤr ſie verloren. Die
Felder ſtiegen uͤber die Waͤlder empor, die Wieſen blickten uͤber die duͤrren Felſen her-
ab, und die Schloͤſſer hiengen auf den Gipfeln der Berge. Daruͤber hinaus bildeten
die ſtachlichten Spitzen der Alpen, oder ſchwarze, von den Jahren angegangene oder
vom Blitz verbrannte Felſen, mit der blendenden Weiße des Schnees, der dieſe Ber-
ge vom Anbeginn der Welt her bedeckt, den ſchoͤnſten Contraſt. Dieſe ungeheure,
von den Haͤnden der Natur ſenkrecht aufgeſtellte und mit ihren lebhafteſten Farben
ausgemalte Schilderey lag ganz vor unſern Blicken da, und fuͤllte alle Kraͤfte unſrer
Seele. Unſer langſam fortgehendes Fahrzeug entzog den Augen nach und nach die
Gegenſtaͤnde, an welchen ſie ſich geſaͤttigt hatten, um ſie immer durch neue, reizen-
dere Ausſichten zu erſetzen. Die Haine, Felder, Wieſen, Haͤuſer verſchwanden
unmerklich, und andre ruͤckten, in einer ganz veraͤnderten Lage, an ihre Stelle. Wir
durchliefen hinter einander la grande Rive, la Tour ronde, und die Schloͤſſer
Blonay und St. Paul.
Als wir nach Millerie gekommen waren, durchſchnitten wir den See in gera-
der Linie, um Vevay zu erreichen. Hier fanden unſre Blicke ein neues Schauſpiel
vor ſich. Der geſegnete Huͤgel, dem wir gefolgt waren, verwandelte ſich in grauer-
liche Berge. Eine enge und tiefe Kluft trennt ſie ſenkrecht, und macht einem ſchnel-
len und wilden Strome Platz.
Nachdem wir mitten auf den See gekommen waren, lenkte ſich unſre Bewun-
derung auf andre Gegenſtaͤnde. Unſre Blicke durcheilten dieſe ungeheure Strecke von
ſuͤßem und klarem Waſſer, durch deſſen durchſichtiges Blau das Auge bis in die groͤß-
te Tiefe ſehen kann. Wir betrachteten dieſen weiten, von den Haͤnden des Allmaͤchti-
gen in den Schoos der hoͤchſten Gebuͤrge gegrabenen Behaͤlter, der dreyzehn Staͤdte
benetzt und ihre Felder befruchtet. Der Blick verlor ſich auf dieſer unermeßlichen
Waſſerebene. Das ruhige Gewaͤſſer, hell und glatt wie ein Spiegel, ſtellte uns die
gluͤcklichen Anhoͤhen gedoppelt dar, die wir eben verlaſſen hatten. Die Schloͤſſer, Ge-
hoͤlze, Wieſen malten ſich mit allen ihren Farben darin ab, und zitterten in den leicht
bewegten Fluthen.
Wir hatten den Anblick von acht Staͤdten vor uns, die von einer Menge Fle-
cken und Doͤrfer umgeben waren, die ſtufenweiſe bis an den Gipfel der Berge ſich er-
hoben. — Alle unſre Seelenkraͤfte lagen in einer ſuͤßen Traͤumerey verſenkt. Das
leichte Schuͤttern der Wellen, die Bewegung eines ſchwachen, kuͤhlen Windes, die
Entfernung und der langſame Lauf der Ufer, das allmaͤhlige Verſchwinden der Staͤd-
te und Felder, der Flug und das Geſchrey der Waſſervoͤgel, das Springen der Fi-
ſche,
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