Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.der Landschaft und ihren Wirkungen. "Der Weg in den Gebirgen nach Lauterbrunn hat etwas unbeschreibliches, glitten I Band. E e
der Landſchaft und ihren Wirkungen. „Der Weg in den Gebirgen nach Lauterbrunn hat etwas unbeſchreibliches, glitten I Band. E e
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0231" n="217"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der Landſchaft und ihren Wirkungen.</hi> </fw><lb/> <p>„Der Weg in den Gebirgen nach <hi rendition="#fr">Lauterbrunn</hi> hat etwas unbeſchreibliches,<lb/> naͤmlich, wenn man die Empfindung ausdruͤcken wollte, welche die Anordnung der<lb/> Gegenſtaͤnde, die man von demſelben ſieht, erregen muß. Es war Morgen; die<lb/> Sonne war noch nirgends, als an den Gipfeln der Berge ſichtbar, die beynahe uͤber<lb/> unſern Koͤpfen hiengen. Die Felſen waren dicht um uns her geſchloſſen; wir gien-<lb/> gen in der Tiefe eines Thals fort, das ſich zwiſchen den Bergen oͤffnete, wo wir kurz<lb/> zuvor noch keine Spur von einem Wege ſahen. An einigen Orten waren die Berge<lb/> durch andere Thaͤler eingeſchnitten; Stroͤme von Licht ſchienen ſich hier ſelbſt Tag zu<lb/> machen, und theilten die Berge von oben bis unten in den Grund: ſo deutlich zeich-<lb/> neten die Sonnenſtralen, indem ſie die leichten Duͤnſte erhelleten, ihre Bahn zwiſchen<lb/> den Felſen in der Luft. An andern Orten hingegen ſahen wir noch den Nachtrab der<lb/> Nacht; hier konnte man noch nichts erkennen. Ein dicker Schatten, der unſern<lb/> Augen um ſo viel dunkler ward, je groͤßere Helligkeit die hoͤher liegenden Gegenſtaͤnde<lb/> ſchon verbreiteten, bedeckte alles mit einem undurchdringlichen Schleyer. Dieſe<lb/> Thaͤler ſind hin und wieder von unermeßlichen Felſen umgeben, die ſich ſteil in die<lb/> Hoͤhe erheben, die dem Reiſenden den Himmel zum Grunde zu haben ſcheinen, und<lb/> ihm ganze Berge zu ſeyn duͤnken, da ſie doch in der That nur kleine Theile davon<lb/> ſind. Wenn man ſich von den erſten unterſten Felſen entfernen kann, ſo ſieht man<lb/> nach und nach neue Felſen, Waͤlder und Viehweiden; auch ſehr oft erblickt man be-<lb/> bauete Laͤndereyen, bey denen Doͤrfer umherliegen, die ſich wie Amphitheater in die<lb/> Hoͤhe erſtrecken, bis an andre nackte hoͤhere Felſen hinauf, die oben mit Eis bedeckt<lb/> ſind und die wahren Gipfel der Gebirge ausmachen. Von dieſen Felſen, welche die<lb/> Wolken in ihrem Zuge aufhalten, und von den darunter gelegenen Gegenden, kommen<lb/> allenthalben Baͤche herunter, die ſich nach und nach vereinigen, und die endlich ge-<lb/> woͤhnlich in die großen Thaͤler durch die Einſchnitte gelangen, die ſich in den Felſen<lb/> finden. Hiedurch iſt in dieſen mannigfaltigen Amphitheatern alles mit Caſcaden<lb/> beſaͤet; welches etwas dazu beytraͤgt, ihnen einen aͤußerſt maleriſchen Anblick zu geben.<lb/> Dieſe Waſſerfaͤlle ſind gleichſam Baͤche von Staub; wenn ſie von der Hoͤhe hinab-<lb/> kommen, ſo ſind ſie faſt nichts als ein feiner Regen, deſſen Tropfen ſich, je tiefer ſie<lb/> fallen, deſto mehr zerſtreuen, und die der geringſte Wind ſehr weit in die Runde um-<lb/> herfuͤhrt. Dieſes hat zu der Benennung des <hi rendition="#fr">Staubbachs</hi> Anlaß gegeben. Als<lb/> ſich der Vorhang wegzog, der uns das Thal verdeckte, worin er ſich hinabſtuͤrzt,<lb/> waren wir wirklich aͤußerſt betroffen durch den hoͤchſtmaleriſchen Anblick, der ſich uns<lb/> darſtellte. Steile Felſen von ungeheurer Hoͤhe, die ſich zur Rechten ohne Vertiefung<lb/> aufthuͤrmten und da eine Wand machten, waren zur Linken durch abhaͤngige Oerter<lb/> unterbrochen, die mit Viehweiden und mit Gehoͤlz bedeckt wurden; und uͤber dieſe<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> E e</fw><fw place="bottom" type="catch">glitten</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [217/0231]
der Landſchaft und ihren Wirkungen.
„Der Weg in den Gebirgen nach Lauterbrunn hat etwas unbeſchreibliches,
naͤmlich, wenn man die Empfindung ausdruͤcken wollte, welche die Anordnung der
Gegenſtaͤnde, die man von demſelben ſieht, erregen muß. Es war Morgen; die
Sonne war noch nirgends, als an den Gipfeln der Berge ſichtbar, die beynahe uͤber
unſern Koͤpfen hiengen. Die Felſen waren dicht um uns her geſchloſſen; wir gien-
gen in der Tiefe eines Thals fort, das ſich zwiſchen den Bergen oͤffnete, wo wir kurz
zuvor noch keine Spur von einem Wege ſahen. An einigen Orten waren die Berge
durch andere Thaͤler eingeſchnitten; Stroͤme von Licht ſchienen ſich hier ſelbſt Tag zu
machen, und theilten die Berge von oben bis unten in den Grund: ſo deutlich zeich-
neten die Sonnenſtralen, indem ſie die leichten Duͤnſte erhelleten, ihre Bahn zwiſchen
den Felſen in der Luft. An andern Orten hingegen ſahen wir noch den Nachtrab der
Nacht; hier konnte man noch nichts erkennen. Ein dicker Schatten, der unſern
Augen um ſo viel dunkler ward, je groͤßere Helligkeit die hoͤher liegenden Gegenſtaͤnde
ſchon verbreiteten, bedeckte alles mit einem undurchdringlichen Schleyer. Dieſe
Thaͤler ſind hin und wieder von unermeßlichen Felſen umgeben, die ſich ſteil in die
Hoͤhe erheben, die dem Reiſenden den Himmel zum Grunde zu haben ſcheinen, und
ihm ganze Berge zu ſeyn duͤnken, da ſie doch in der That nur kleine Theile davon
ſind. Wenn man ſich von den erſten unterſten Felſen entfernen kann, ſo ſieht man
nach und nach neue Felſen, Waͤlder und Viehweiden; auch ſehr oft erblickt man be-
bauete Laͤndereyen, bey denen Doͤrfer umherliegen, die ſich wie Amphitheater in die
Hoͤhe erſtrecken, bis an andre nackte hoͤhere Felſen hinauf, die oben mit Eis bedeckt
ſind und die wahren Gipfel der Gebirge ausmachen. Von dieſen Felſen, welche die
Wolken in ihrem Zuge aufhalten, und von den darunter gelegenen Gegenden, kommen
allenthalben Baͤche herunter, die ſich nach und nach vereinigen, und die endlich ge-
woͤhnlich in die großen Thaͤler durch die Einſchnitte gelangen, die ſich in den Felſen
finden. Hiedurch iſt in dieſen mannigfaltigen Amphitheatern alles mit Caſcaden
beſaͤet; welches etwas dazu beytraͤgt, ihnen einen aͤußerſt maleriſchen Anblick zu geben.
Dieſe Waſſerfaͤlle ſind gleichſam Baͤche von Staub; wenn ſie von der Hoͤhe hinab-
kommen, ſo ſind ſie faſt nichts als ein feiner Regen, deſſen Tropfen ſich, je tiefer ſie
fallen, deſto mehr zerſtreuen, und die der geringſte Wind ſehr weit in die Runde um-
herfuͤhrt. Dieſes hat zu der Benennung des Staubbachs Anlaß gegeben. Als
ſich der Vorhang wegzog, der uns das Thal verdeckte, worin er ſich hinabſtuͤrzt,
waren wir wirklich aͤußerſt betroffen durch den hoͤchſtmaleriſchen Anblick, der ſich uns
darſtellte. Steile Felſen von ungeheurer Hoͤhe, die ſich zur Rechten ohne Vertiefung
aufthuͤrmten und da eine Wand machten, waren zur Linken durch abhaͤngige Oerter
unterbrochen, die mit Viehweiden und mit Gehoͤlz bedeckt wurden; und uͤber dieſe
glitten
I Band. E e
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |