Die Gärten, die zu den öffentlichen Denkmälern der Nationen gehören, lassen sich aus so mancherley erheblichen Gesichtspunkten betrachten, daß die gänzliche Un- achtsamkeit oder Gleichgültigkeit mancher Reisebeschreiber von dieser Seite nicht an- ders als tadelhaft angesehen werden kann. Sie sind Gegenstände nicht blos der Cultur und des Wohlstandes, sondern auch des Geschmacks eines Landes; sie kön- nen, wenn sie nicht blos nachgeahmet, sondern mit eigener Wahl angelegt sind, zum Theil einen Beweis von dem Nationalcharakter abgeben, der sich in ihnen sichtbar macht. Die neuesten brittischen Parks kündigen dem Reisenden eine Nation an, deren Geist höhern Schönheiten entgegenstrebt, das Große und Edle ergreift, und sich gern mit kühnen Unternehmungen befaßt. Der Hang zu dem Zierlichen und Witzigen, so wie ein gewisser Geist der Kleinigkeit, womit jener Hang sich leicht ver- mischt, war in den ältern französischen Gärten ausgeprägt.
[Abbildung]
II. Gärten
Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
Die Gaͤrten, die zu den oͤffentlichen Denkmaͤlern der Nationen gehoͤren, laſſen ſich aus ſo mancherley erheblichen Geſichtspunkten betrachten, daß die gaͤnzliche Un- achtſamkeit oder Gleichguͤltigkeit mancher Reiſebeſchreiber von dieſer Seite nicht an- ders als tadelhaft angeſehen werden kann. Sie ſind Gegenſtaͤnde nicht blos der Cultur und des Wohlſtandes, ſondern auch des Geſchmacks eines Landes; ſie koͤn- nen, wenn ſie nicht blos nachgeahmet, ſondern mit eigener Wahl angelegt ſind, zum Theil einen Beweis von dem Nationalcharakter abgeben, der ſich in ihnen ſichtbar macht. Die neueſten brittiſchen Parks kuͤndigen dem Reiſenden eine Nation an, deren Geiſt hoͤhern Schoͤnheiten entgegenſtrebt, das Große und Edle ergreift, und ſich gern mit kuͤhnen Unternehmungen befaßt. Der Hang zu dem Zierlichen und Witzigen, ſo wie ein gewiſſer Geiſt der Kleinigkeit, womit jener Hang ſich leicht ver- miſcht, war in den aͤltern franzoͤſiſchen Gaͤrten ausgepraͤgt.
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II. Gaͤrten
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Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
Die Gaͤrten, die zu den oͤffentlichen Denkmaͤlern der Nationen gehoͤren, laſſen
ſich aus ſo mancherley erheblichen Geſichtspunkten betrachten, daß die gaͤnzliche Un-
achtſamkeit oder Gleichguͤltigkeit mancher Reiſebeſchreiber von dieſer Seite nicht an-
ders als tadelhaft angeſehen werden kann. Sie ſind Gegenſtaͤnde nicht blos der
Cultur und des Wohlſtandes, ſondern auch des Geſchmacks eines Landes; ſie koͤn-
nen, wenn ſie nicht blos nachgeahmet, ſondern mit eigener Wahl angelegt ſind, zum
Theil einen Beweis von dem Nationalcharakter abgeben, der ſich in ihnen ſichtbar
macht. Die neueſten brittiſchen Parks kuͤndigen dem Reiſenden eine Nation an,
deren Geiſt hoͤhern Schoͤnheiten entgegenſtrebt, das Große und Edle ergreift, und
ſich gern mit kuͤhnen Unternehmungen befaßt. Der Hang zu dem Zierlichen und
Witzigen, ſo wie ein gewiſſer Geiſt der Kleinigkeit, womit jener Hang ſich leicht ver-
miſcht, war in den aͤltern franzoͤſiſchen Gaͤrten ausgepraͤgt.
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II. Gaͤrten
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/20>, abgerufen am 16.07.2024.
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