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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Zweyter Abschnitt. Untersuchung des alten
sind mit Kunst angebracht, um den Spaziergang zu verlängern, das Ufer der
Insel zu verbergen, ihren scheinbaren Umfang zu erweitern, ohne daß man je-
doch unbequeme und allzuhäufige Umwege nehmen müßte." --

Nach dieser Beschreibung machte Rousseau eine kleine Ausschweifung zu der alt-
französischen
Gartenmanier, bestrafte mit einem bittern Spott die gewöhnlichen Ver-
unstaltungen der Bäume, die symmetrischen Künsteleyen und ekelhaften Verzierun-
gen. "Man sollte glauben," fuhr er fort, "die Natur sey in Frankreich anders,
als in der ganzen übrigen Welt beschaffen; so sehr sorgt man dort dafür, sie zu ent-
stellen. Die Parks sind nur aus langen Stangen gepflanzt; es sind Wälder von
Mastbäumen; und man spazieret dort mitten in Gehölzen, ohne Schatten zu finden.
Man bauet Plätze, an die niemand gehen, und die man stets ungeduldig verlassen
wird, um auf das Feld zu kommen; eine traurige Gegend, wo man nicht spazieren,
sondern durchgehen wird, einen Spaziergang aufzusuchen. Der Irrthum gewisser
Leute, die Geschmack vorgeben, ist, daß sie überall Kunst fordern, und nur dann zu-
frieden sind, wenn sie hervorsticht; da hingegen wahrer Geschmack darin besteht, die
Kunst zu verbergen, zumal wenn von Naturwerken die Rede ist. Ein Mann von
Geschmack aber, der da lebt, um zu leben, der seiner selbst zu genießen weiß, wird
seinen Garten so bequem und anmuthig einrichten, daß es ihm zu allen Stunden des
Tages da gefallen könne; zugleich aber so einfältig und natürlich, daß er nichts ge-
than zu haben scheine. Er wird Grün, Wasser, Schatten und Kühle vereinigen;
denn das alles vereiniget auch die Natur. Er wird nirgends Ebenmaaß anbringen;
dieses ist ein Feind der Natur und der Mannigfaltigkeit. --

Dieses Beyspiels und dieser Erinnerungen ungeachtet schien der reinere Ge-
schmack, den ein so angesehener Schriftsteller empfahl, doch noch keinen merklichen
Fortgang zu gewinnen. Was später hin, wie eine plötzliche Revolution, blos durch
Nachahmungssucht erfolgte, schien durch eigene Ueberlegung nicht bewirkt werden zu
können. Selbst einige Schriftsteller, die den bessern Weg suchten, traten noch hin
und wieder auf eine falsche Spur. Cessierres wagte selbst ein Lehrgedicht. *) Lange
vor ihm hatten Rapin **) und Vaniere ***) etwas ähnliches versucht; allein sie
waren blos bey dem Nutzbaren, bey ökonomischer Gärtnerey und Landwirthschaft ste-
hen geblieben, ohne sich über die Anlegung schöner Lustplätze zu verbreiten, ohne sich
in einigen wenigen Stellen, die dahin einschlugen, über den Geschmack ihrer Zeit zu
erheben. Cessierres wollte den angenehmern Theil, den ihm seine Vorgänger übrig

gelassen,
*) Les Jardins d'ornemens, ou les Georgiques francoises. Nouveau Poeme en
quatre chants, Paris 1758. par M. Gouge de Cessierres. 8.
**) Horti.
***) Praedium rusticum.

Zweyter Abſchnitt. Unterſuchung des alten
ſind mit Kunſt angebracht, um den Spaziergang zu verlaͤngern, das Ufer der
Inſel zu verbergen, ihren ſcheinbaren Umfang zu erweitern, ohne daß man je-
doch unbequeme und allzuhaͤufige Umwege nehmen muͤßte.“ —

Nach dieſer Beſchreibung machte Rouſſeau eine kleine Ausſchweifung zu der alt-
franzoͤſiſchen
Gartenmanier, beſtrafte mit einem bittern Spott die gewoͤhnlichen Ver-
unſtaltungen der Baͤume, die ſymmetriſchen Kuͤnſteleyen und ekelhaften Verzierun-
gen. „Man ſollte glauben,“ fuhr er fort, „die Natur ſey in Frankreich anders,
als in der ganzen uͤbrigen Welt beſchaffen; ſo ſehr ſorgt man dort dafuͤr, ſie zu ent-
ſtellen. Die Parks ſind nur aus langen Stangen gepflanzt; es ſind Waͤlder von
Maſtbaͤumen; und man ſpazieret dort mitten in Gehoͤlzen, ohne Schatten zu finden.
Man bauet Plaͤtze, an die niemand gehen, und die man ſtets ungeduldig verlaſſen
wird, um auf das Feld zu kommen; eine traurige Gegend, wo man nicht ſpazieren,
ſondern durchgehen wird, einen Spaziergang aufzuſuchen. Der Irrthum gewiſſer
Leute, die Geſchmack vorgeben, iſt, daß ſie uͤberall Kunſt fordern, und nur dann zu-
frieden ſind, wenn ſie hervorſticht; da hingegen wahrer Geſchmack darin beſteht, die
Kunſt zu verbergen, zumal wenn von Naturwerken die Rede iſt. Ein Mann von
Geſchmack aber, der da lebt, um zu leben, der ſeiner ſelbſt zu genießen weiß, wird
ſeinen Garten ſo bequem und anmuthig einrichten, daß es ihm zu allen Stunden des
Tages da gefallen koͤnne; zugleich aber ſo einfaͤltig und natuͤrlich, daß er nichts ge-
than zu haben ſcheine. Er wird Gruͤn, Waſſer, Schatten und Kuͤhle vereinigen;
denn das alles vereiniget auch die Natur. Er wird nirgends Ebenmaaß anbringen;
dieſes iſt ein Feind der Natur und der Mannigfaltigkeit. —

Dieſes Beyſpiels und dieſer Erinnerungen ungeachtet ſchien der reinere Ge-
ſchmack, den ein ſo angeſehener Schriftſteller empfahl, doch noch keinen merklichen
Fortgang zu gewinnen. Was ſpaͤter hin, wie eine ploͤtzliche Revolution, blos durch
Nachahmungsſucht erfolgte, ſchien durch eigene Ueberlegung nicht bewirkt werden zu
koͤnnen. Selbſt einige Schriftſteller, die den beſſern Weg ſuchten, traten noch hin
und wieder auf eine falſche Spur. Ceſſierres wagte ſelbſt ein Lehrgedicht. *) Lange
vor ihm hatten Rapin **) und Vaniere ***) etwas aͤhnliches verſucht; allein ſie
waren blos bey dem Nutzbaren, bey oͤkonomiſcher Gaͤrtnerey und Landwirthſchaft ſte-
hen geblieben, ohne ſich uͤber die Anlegung ſchoͤner Luſtplaͤtze zu verbreiten, ohne ſich
in einigen wenigen Stellen, die dahin einſchlugen, uͤber den Geſchmack ihrer Zeit zu
erheben. Ceſſierres wollte den angenehmern Theil, den ihm ſeine Vorgaͤnger uͤbrig

gelaſſen,
*) Les Jardins d’ornemens, ou les Géorgiques françoiſes. Nouveau Poëme en
quatre chants, Paris 1758. par M. Gouge de Ceſſierres. 8.
**) Horti.
***) Praedium ruſticum.
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[132/0146] Zweyter Abſchnitt. Unterſuchung des alten ſind mit Kunſt angebracht, um den Spaziergang zu verlaͤngern, das Ufer der Inſel zu verbergen, ihren ſcheinbaren Umfang zu erweitern, ohne daß man je- doch unbequeme und allzuhaͤufige Umwege nehmen muͤßte.“ — Nach dieſer Beſchreibung machte Rouſſeau eine kleine Ausſchweifung zu der alt- franzoͤſiſchen Gartenmanier, beſtrafte mit einem bittern Spott die gewoͤhnlichen Ver- unſtaltungen der Baͤume, die ſymmetriſchen Kuͤnſteleyen und ekelhaften Verzierun- gen. „Man ſollte glauben,“ fuhr er fort, „die Natur ſey in Frankreich anders, als in der ganzen uͤbrigen Welt beſchaffen; ſo ſehr ſorgt man dort dafuͤr, ſie zu ent- ſtellen. Die Parks ſind nur aus langen Stangen gepflanzt; es ſind Waͤlder von Maſtbaͤumen; und man ſpazieret dort mitten in Gehoͤlzen, ohne Schatten zu finden. Man bauet Plaͤtze, an die niemand gehen, und die man ſtets ungeduldig verlaſſen wird, um auf das Feld zu kommen; eine traurige Gegend, wo man nicht ſpazieren, ſondern durchgehen wird, einen Spaziergang aufzuſuchen. Der Irrthum gewiſſer Leute, die Geſchmack vorgeben, iſt, daß ſie uͤberall Kunſt fordern, und nur dann zu- frieden ſind, wenn ſie hervorſticht; da hingegen wahrer Geſchmack darin beſteht, die Kunſt zu verbergen, zumal wenn von Naturwerken die Rede iſt. Ein Mann von Geſchmack aber, der da lebt, um zu leben, der ſeiner ſelbſt zu genießen weiß, wird ſeinen Garten ſo bequem und anmuthig einrichten, daß es ihm zu allen Stunden des Tages da gefallen koͤnne; zugleich aber ſo einfaͤltig und natuͤrlich, daß er nichts ge- than zu haben ſcheine. Er wird Gruͤn, Waſſer, Schatten und Kuͤhle vereinigen; denn das alles vereiniget auch die Natur. Er wird nirgends Ebenmaaß anbringen; dieſes iſt ein Feind der Natur und der Mannigfaltigkeit. — Dieſes Beyſpiels und dieſer Erinnerungen ungeachtet ſchien der reinere Ge- ſchmack, den ein ſo angeſehener Schriftſteller empfahl, doch noch keinen merklichen Fortgang zu gewinnen. Was ſpaͤter hin, wie eine ploͤtzliche Revolution, blos durch Nachahmungsſucht erfolgte, ſchien durch eigene Ueberlegung nicht bewirkt werden zu koͤnnen. Selbſt einige Schriftſteller, die den beſſern Weg ſuchten, traten noch hin und wieder auf eine falſche Spur. Ceſſierres wagte ſelbſt ein Lehrgedicht. *) Lange vor ihm hatten Rapin **) und Vaniere ***) etwas aͤhnliches verſucht; allein ſie waren blos bey dem Nutzbaren, bey oͤkonomiſcher Gaͤrtnerey und Landwirthſchaft ſte- hen geblieben, ohne ſich uͤber die Anlegung ſchoͤner Luſtplaͤtze zu verbreiten, ohne ſich in einigen wenigen Stellen, die dahin einſchlugen, uͤber den Geſchmack ihrer Zeit zu erheben. Ceſſierres wollte den angenehmern Theil, den ihm ſeine Vorgaͤnger uͤbrig gelaſſen, *) Les Jardins d’ornemens, ou les Géorgiques françoiſes. Nouveau Poëme en quatre chants, Paris 1758. par M. Gouge de Ceſſierres. 8. **) Horti. ***) Praedium ruſticum.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/146>, abgerufen am 25.11.2024.