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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten

Sie merken an, daß die verschiedenen Wasserspiele, als Rudern, Segeln,
Schwimmen, Fischen und Jagen eine unerschöpfliche Quelle des Zeitvertreibes sind;
daß die Bewohner des Wassers eine edle Unterhaltung, besonders für den Naturfor-
scher, abgeben; und daß Barken und Schiffe, die auf seinem Busen dahin schwim-
men, und bald von Sturmwinden wütend fortgeführet werden, bald wieder sanft auf
der Oberfläche dahin gleiten, durch ihre Vereinigung tausend von Augenblick zu Au-
genblick veränderte Gemälde bilden, die jede Aussicht beseelen und verschönern. Sie
vergleichen einen hellen See an einem ruhigen sonnigen Tage mit einem reichen Ge-
mälde, das auf alle Gegenstände, mit welchen es umgeben ist, die höchste Vollkom-
menheit verbreitet; mit einer Oeffnung in der Welt, wodurch man eine andere Welt,
eine andere Sonne und einen andern Himmel erblickt.

Ihre Seen machen sie so groß, als es der Boden nur verstattet; oft einige
Meilen im Umfange. Sie werden so angelegt, daß aus keinem einzigen Gesichts-
punkte ihr Ufer übersehen werden, und der Anschauer auf diese Weise nicht erfahren
kann, wie weit sich ihr Umfang erstrecke. Hin und wieder lassen sie Inseln empor-
steigen, um der Form einen größern Schein von Verwickelung zu geben, die Grän-
zen zu verstecken und die Scene zu bereichern. Einige sind klein, andere groß.
Die letztern sind erhaben, angebauet, und mit grünen Ebenen, Sträuchern, Gebü-
schen und Gebäuden versehen; oder sie sind uneben, bergig, mit Felsen und Sand-
bänken umgeben, mit Farrenkraut, hohem Grase, und hin und wieder weit ausschwei-
fenden, in Thälern stehenden Bäumen bedeckt. Es giebt noch andere Inseln, die
in einer Reihe von Terrassen bis zu einer beträchtlichen Höhe emporsteigen, und mit-
telst verschiedener prächtigen Treppen an einander hängen. In den Winkeln dieser
Terrassen und auf beyden Seiten dieser Treppen stehen viele eherne Dreyfüsse, aus
welchen Weihrauch empordampft; auf der höchsten Terrasse aber sind gemeiniglich
hohe Thürme zu astronomischen Beobachtungen, ein schöner Tempel mit Götzenbil-
dern, die kolossalische Statue eines Gottes oder sonst ein anderes beträchtliches Kunst-
werk errichtet, das zugleich zur Zierde des Gartens und dem ganzen Lande zu einem
Gegenstand der Betrachtung dient. Die Chineser führen auch in ihren Seen hohe
künstliche Felsen von außerordentlich fein colorirten Steinen auf, die mit vielem Ge-
schmack geordnet werden. Sie haben viele Oeffnungen, wodurch man entfernte Aus-
sichten hat. Auf de[r] Oberfläche dieser Felsen lassen sie alle Arten von Gras, krie-
chenden Gewächsen und Sträuchen wachsen, die auf Felsen fortkommen. Auf die
Gipfel dieser Felsen setzen sie Einsiedeleyen und Götzentempel, zu welchen man durch
unebene gewundene Treppen, die in den Fels gehauen sind, steigen kann.

In
Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten

Sie merken an, daß die verſchiedenen Waſſerſpiele, als Rudern, Segeln,
Schwimmen, Fiſchen und Jagen eine unerſchoͤpfliche Quelle des Zeitvertreibes ſind;
daß die Bewohner des Waſſers eine edle Unterhaltung, beſonders fuͤr den Naturfor-
ſcher, abgeben; und daß Barken und Schiffe, die auf ſeinem Buſen dahin ſchwim-
men, und bald von Sturmwinden wuͤtend fortgefuͤhret werden, bald wieder ſanft auf
der Oberflaͤche dahin gleiten, durch ihre Vereinigung tauſend von Augenblick zu Au-
genblick veraͤnderte Gemaͤlde bilden, die jede Ausſicht beſeelen und verſchoͤnern. Sie
vergleichen einen hellen See an einem ruhigen ſonnigen Tage mit einem reichen Ge-
maͤlde, das auf alle Gegenſtaͤnde, mit welchen es umgeben iſt, die hoͤchſte Vollkom-
menheit verbreitet; mit einer Oeffnung in der Welt, wodurch man eine andere Welt,
eine andere Sonne und einen andern Himmel erblickt.

Ihre Seen machen ſie ſo groß, als es der Boden nur verſtattet; oft einige
Meilen im Umfange. Sie werden ſo angelegt, daß aus keinem einzigen Geſichts-
punkte ihr Ufer uͤberſehen werden, und der Anſchauer auf dieſe Weiſe nicht erfahren
kann, wie weit ſich ihr Umfang erſtrecke. Hin und wieder laſſen ſie Inſeln empor-
ſteigen, um der Form einen groͤßern Schein von Verwickelung zu geben, die Graͤn-
zen zu verſtecken und die Scene zu bereichern. Einige ſind klein, andere groß.
Die letztern ſind erhaben, angebauet, und mit gruͤnen Ebenen, Straͤuchern, Gebuͤ-
ſchen und Gebaͤuden verſehen; oder ſie ſind uneben, bergig, mit Felſen und Sand-
baͤnken umgeben, mit Farrenkraut, hohem Graſe, und hin und wieder weit ausſchwei-
fenden, in Thaͤlern ſtehenden Baͤumen bedeckt. Es giebt noch andere Inſeln, die
in einer Reihe von Terraſſen bis zu einer betraͤchtlichen Hoͤhe emporſteigen, und mit-
telſt verſchiedener praͤchtigen Treppen an einander haͤngen. In den Winkeln dieſer
Terraſſen und auf beyden Seiten dieſer Treppen ſtehen viele eherne Dreyfuͤſſe, aus
welchen Weihrauch empordampft; auf der hoͤchſten Terraſſe aber ſind gemeiniglich
hohe Thuͤrme zu aſtronomiſchen Beobachtungen, ein ſchoͤner Tempel mit Goͤtzenbil-
dern, die koloſſaliſche Statue eines Gottes oder ſonſt ein anderes betraͤchtliches Kunſt-
werk errichtet, das zugleich zur Zierde des Gartens und dem ganzen Lande zu einem
Gegenſtand der Betrachtung dient. Die Chineſer fuͤhren auch in ihren Seen hohe
kuͤnſtliche Felſen von außerordentlich fein colorirten Steinen auf, die mit vielem Ge-
ſchmack geordnet werden. Sie haben viele Oeffnungen, wodurch man entfernte Aus-
ſichten hat. Auf de[r] Oberflaͤche dieſer Felſen laſſen ſie alle Arten von Gras, krie-
chenden Gewaͤchſen und Straͤuchen wachſen, die auf Felſen fortkommen. Auf die
Gipfel dieſer Felſen ſetzen ſie Einſiedeleyen und Goͤtzentempel, zu welchen man durch
unebene gewundene Treppen, die in den Fels gehauen ſind, ſteigen kann.

In
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[92/0106] Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten Sie merken an, daß die verſchiedenen Waſſerſpiele, als Rudern, Segeln, Schwimmen, Fiſchen und Jagen eine unerſchoͤpfliche Quelle des Zeitvertreibes ſind; daß die Bewohner des Waſſers eine edle Unterhaltung, beſonders fuͤr den Naturfor- ſcher, abgeben; und daß Barken und Schiffe, die auf ſeinem Buſen dahin ſchwim- men, und bald von Sturmwinden wuͤtend fortgefuͤhret werden, bald wieder ſanft auf der Oberflaͤche dahin gleiten, durch ihre Vereinigung tauſend von Augenblick zu Au- genblick veraͤnderte Gemaͤlde bilden, die jede Ausſicht beſeelen und verſchoͤnern. Sie vergleichen einen hellen See an einem ruhigen ſonnigen Tage mit einem reichen Ge- maͤlde, das auf alle Gegenſtaͤnde, mit welchen es umgeben iſt, die hoͤchſte Vollkom- menheit verbreitet; mit einer Oeffnung in der Welt, wodurch man eine andere Welt, eine andere Sonne und einen andern Himmel erblickt. Ihre Seen machen ſie ſo groß, als es der Boden nur verſtattet; oft einige Meilen im Umfange. Sie werden ſo angelegt, daß aus keinem einzigen Geſichts- punkte ihr Ufer uͤberſehen werden, und der Anſchauer auf dieſe Weiſe nicht erfahren kann, wie weit ſich ihr Umfang erſtrecke. Hin und wieder laſſen ſie Inſeln empor- ſteigen, um der Form einen groͤßern Schein von Verwickelung zu geben, die Graͤn- zen zu verſtecken und die Scene zu bereichern. Einige ſind klein, andere groß. Die letztern ſind erhaben, angebauet, und mit gruͤnen Ebenen, Straͤuchern, Gebuͤ- ſchen und Gebaͤuden verſehen; oder ſie ſind uneben, bergig, mit Felſen und Sand- baͤnken umgeben, mit Farrenkraut, hohem Graſe, und hin und wieder weit ausſchwei- fenden, in Thaͤlern ſtehenden Baͤumen bedeckt. Es giebt noch andere Inſeln, die in einer Reihe von Terraſſen bis zu einer betraͤchtlichen Hoͤhe emporſteigen, und mit- telſt verſchiedener praͤchtigen Treppen an einander haͤngen. In den Winkeln dieſer Terraſſen und auf beyden Seiten dieſer Treppen ſtehen viele eherne Dreyfuͤſſe, aus welchen Weihrauch empordampft; auf der hoͤchſten Terraſſe aber ſind gemeiniglich hohe Thuͤrme zu aſtronomiſchen Beobachtungen, ein ſchoͤner Tempel mit Goͤtzenbil- dern, die koloſſaliſche Statue eines Gottes oder ſonſt ein anderes betraͤchtliches Kunſt- werk errichtet, das zugleich zur Zierde des Gartens und dem ganzen Lande zu einem Gegenſtand der Betrachtung dient. Die Chineſer fuͤhren auch in ihren Seen hohe kuͤnſtliche Felſen von außerordentlich fein colorirten Steinen auf, die mit vielem Ge- ſchmack geordnet werden. Sie haben viele Oeffnungen, wodurch man entfernte Aus- ſichten hat. Auf der Oberflaͤche dieſer Felſen laſſen ſie alle Arten von Gras, krie- chenden Gewaͤchſen und Straͤuchen wachſen, die auf Felſen fortkommen. Auf die Gipfel dieſer Felſen ſetzen ſie Einſiedeleyen und Goͤtzentempel, zu welchen man durch unebene gewundene Treppen, die in den Fels gehauen ſind, ſteigen kann. In

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/106>, abgerufen am 22.11.2024.