zuvor etwas von seinem Selbst in jene Ge- schichte und jenes Faktum, so, dass Alles was der Mensch berührt, etwas von seinem Ich, von seinem Selbst, erhält. Das beste Wasser hat keinen Geschmack; und so geht es auch den meisten Thatsachen, die wir sel- ten ungewürzt erhalten -- und wenn der Würzler auch nur Salz, die kümmerlichste und beste Specerei, darzu thun sollte -- Freunde und Feinde nehmen von einander so viel an, dass man unverkennbare Züge der Ähnlichkeit unter ihnen entdeckt. "Feinde?" Allerdings; und ich behaupte, dass sie noch leichter als Freunde sich in einander abdrük- ken -- Ein Freund, der unser Widerhall ist, hat wenig Reitz für uns; allein eben das, wo- durch Feinde am meisten hervorragen, was am meisten interessirt und auf ihre Seite tritt, pflegt unsere Nachahmung abzugewinnen: so wie man in den Wald schreiet, so erfolgt die Antwort. Eine ganze Schaar von Varianten- sammlern und Commentatoren trägt ihren Sinn und Unsinn so lange in jede Urkunde, bis eine Authentica erscheint, und diese mag
D 2
zuvor etwas von seinem Selbst in jene Ge- schichte und jenes Faktum, so, daſs Alles was der Mensch berührt, etwas von seinem Ich, von seinem Selbst, erhält. Das beste Wasser hat keinen Geschmack; und so geht es auch den meisten Thatsachen, die wir sel- ten ungewürzt erhalten — und wenn der Würzler auch nur Salz, die kümmerlichste und beste Specerei, darzu thun sollte — Freunde und Feinde nehmen von einander so viel an, daſs man unverkennbare Züge der Ähnlichkeit unter ihnen entdeckt. »Feinde?» Allerdings; und ich behaupte, daſs sie noch leichter als Freunde sich in einander abdrük- ken — Ein Freund, der unser Widerhall ist, hat wenig Reitz für uns; allein eben das, wo- durch Feinde am meisten hervorragen, was am meisten interessirt und auf ihre Seite tritt, pflegt unsere Nachahmung abzugewinnen: so wie man in den Wald schreiet, so erfolgt die Antwort. Eine ganze Schaar von Varianten- sammlern und Commentatoren trägt ihren Sinn und Unsinn so lange in jede Urkunde, bis eine Authentica erscheint, und diese mag
D 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0059"n="51"/>
zuvor etwas von seinem Selbst in jene Ge-<lb/>
schichte und jenes Faktum, so, daſs Alles<lb/>
was der Mensch berührt, etwas von seinem<lb/>
Ich, von seinem Selbst, erhält. Das beste<lb/>
Wasser hat keinen Geschmack; und so geht<lb/>
es auch den meisten Thatsachen, die wir sel-<lb/>
ten ungewürzt erhalten — und wenn der<lb/>
Würzler auch nur Salz, die kümmerlichste<lb/>
und beste Specerei, darzu thun sollte —<lb/>
Freunde und Feinde nehmen von einander so<lb/>
viel an, daſs man unverkennbare Züge der<lb/>
Ähnlichkeit unter ihnen entdeckt. »Feinde?»<lb/>
Allerdings; und ich behaupte, daſs sie noch<lb/>
leichter als Freunde sich in einander abdrük-<lb/>
ken — Ein Freund, der unser Widerhall ist,<lb/>
hat wenig Reitz für uns; allein eben das, wo-<lb/>
durch Feinde am meisten hervorragen, was<lb/>
am meisten interessirt und auf ihre Seite tritt,<lb/>
pflegt unsere Nachahmung abzugewinnen: so<lb/>
wie man in den Wald schreiet, so erfolgt die<lb/>
Antwort. Eine ganze Schaar von Varianten-<lb/>
sammlern und Commentatoren trägt ihren<lb/>
Sinn und Unsinn so lange in jede Urkunde,<lb/>
bis eine <hirendition="#i">Authentica</hi> erscheint, und diese mag<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[51/0059]
zuvor etwas von seinem Selbst in jene Ge-
schichte und jenes Faktum, so, daſs Alles
was der Mensch berührt, etwas von seinem
Ich, von seinem Selbst, erhält. Das beste
Wasser hat keinen Geschmack; und so geht
es auch den meisten Thatsachen, die wir sel-
ten ungewürzt erhalten — und wenn der
Würzler auch nur Salz, die kümmerlichste
und beste Specerei, darzu thun sollte —
Freunde und Feinde nehmen von einander so
viel an, daſs man unverkennbare Züge der
Ähnlichkeit unter ihnen entdeckt. »Feinde?»
Allerdings; und ich behaupte, daſs sie noch
leichter als Freunde sich in einander abdrük-
ken — Ein Freund, der unser Widerhall ist,
hat wenig Reitz für uns; allein eben das, wo-
durch Feinde am meisten hervorragen, was
am meisten interessirt und auf ihre Seite tritt,
pflegt unsere Nachahmung abzugewinnen: so
wie man in den Wald schreiet, so erfolgt die
Antwort. Eine ganze Schaar von Varianten-
sammlern und Commentatoren trägt ihren
Sinn und Unsinn so lange in jede Urkunde,
bis eine Authentica erscheint, und diese mag
D 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/59>, abgerufen am 15.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.