Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Mannsperson daraus etwas zu schliessen wagt.
Montagne sagt: jungen Gelehrten geht es wie
den Kornähren; so lange sie leer sind, richten
sie ihre Spitzen gerad' und keck empor: kom-
men aber ihre Körner zur Reife, so lassen sie
ihr Haupt sinken. -- Warum wollen wir die
Weiber wegen ihrer Mienen so scharf richten,
und Eitelkeit, Koketterie und Wollust für ei-
nerlei halten? Man lacht über jene Dame,
in deren Gegenwart man die schwarzen Augen
ihrer Nachbarin lobte, und die sehr schnell
erwiederte: "jetzt trägt man keine schwarzen
Augen mehr;" sind wir aber nicht die, welche
das andere Geschlecht zu solchen Antworten
verleiten? befördern wir nicht unserer Eitel-
keit halben die ihrige? Lasst die Weiber zu
Kräften kommen, und ihr werdet sehen, dass
sie im lauten Geheul der Stürme, wo Männer
sich nur selten ein geneigtes Gehör zu ver-
schaffen wissen, bei den schrecklichen Wogen
des empörten Meeres, sich finden, und dem
Meere und dem Winde Silentium gebieten
werden. Wenn man zur Zeit der sanften
Ruhe erlernt und überdenkt, was man zur

Mannsperson daraus etwas zu schlieſsen wagt.
Montagne sagt: jungen Gelehrten geht es wie
den Kornähren; so lange sie leer sind, richten
sie ihre Spitzen gerad’ und keck empor: kom-
men aber ihre Körner zur Reife, so lassen sie
ihr Haupt sinken. — Warum wollen wir die
Weiber wegen ihrer Mienen so scharf richten,
und Eitelkeit, Koketterie und Wollust für ei-
nerlei halten? Man lacht über jene Dame,
in deren Gegenwart man die schwarzen Augen
ihrer Nachbarin lobte, und die sehr schnell
erwiederte: »jetzt trägt man keine schwarzen
Augen mehr;» sind wir aber nicht die, welche
das andere Geschlecht zu solchen Antworten
verleiten? befördern wir nicht unserer Eitel-
keit halben die ihrige? Laſst die Weiber zu
Kräften kommen, und ihr werdet sehen, daſs
sie im lauten Geheul der Stürme, wo Männer
sich nur selten ein geneigtes Gehör zu ver-
schaffen wissen, bei den schrecklichen Wogen
des empörten Meeres, sich finden, und dem
Meere und dem Winde Silentium gebieten
werden. Wenn man zur Zeit der sanften
Ruhe erlernt und überdenkt, was man zur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0308" n="300"/>
Mannsperson daraus etwas zu schlie&#x017F;sen wagt.<lb/><hi rendition="#i">Montagne</hi> sagt: jungen Gelehrten geht es wie<lb/>
den Kornähren; so lange sie leer sind, richten<lb/>
sie ihre Spitzen gerad&#x2019; und keck empor: kom-<lb/>
men aber ihre Körner zur Reife, so lassen sie<lb/>
ihr Haupt sinken. &#x2014; Warum wollen wir die<lb/>
Weiber wegen ihrer Mienen so scharf richten,<lb/>
und Eitelkeit, Koketterie und Wollust für ei-<lb/>
nerlei halten? Man lacht über jene Dame,<lb/>
in deren Gegenwart man die schwarzen Augen<lb/>
ihrer Nachbarin lobte, und die sehr schnell<lb/>
erwiederte: »jetzt trägt man keine schwarzen<lb/>
Augen mehr;» sind wir aber nicht die, welche<lb/>
das andere Geschlecht zu solchen Antworten<lb/>
verleiten? befördern wir nicht unserer Eitel-<lb/>
keit halben die ihrige? La&#x017F;st die Weiber zu<lb/>
Kräften kommen, und ihr werdet sehen, da&#x017F;s<lb/>
sie im lauten Geheul der Stürme, wo Männer<lb/>
sich nur selten ein geneigtes Gehör zu ver-<lb/>
schaffen wissen, bei den schrecklichen Wogen<lb/>
des empörten Meeres, sich finden, und dem<lb/>
Meere und dem Winde <hi rendition="#i">Silentium</hi> gebieten<lb/>
werden. Wenn man zur Zeit der sanften<lb/>
Ruhe erlernt und überdenkt, was man zur<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0308] Mannsperson daraus etwas zu schlieſsen wagt. Montagne sagt: jungen Gelehrten geht es wie den Kornähren; so lange sie leer sind, richten sie ihre Spitzen gerad’ und keck empor: kom- men aber ihre Körner zur Reife, so lassen sie ihr Haupt sinken. — Warum wollen wir die Weiber wegen ihrer Mienen so scharf richten, und Eitelkeit, Koketterie und Wollust für ei- nerlei halten? Man lacht über jene Dame, in deren Gegenwart man die schwarzen Augen ihrer Nachbarin lobte, und die sehr schnell erwiederte: »jetzt trägt man keine schwarzen Augen mehr;» sind wir aber nicht die, welche das andere Geschlecht zu solchen Antworten verleiten? befördern wir nicht unserer Eitel- keit halben die ihrige? Laſst die Weiber zu Kräften kommen, und ihr werdet sehen, daſs sie im lauten Geheul der Stürme, wo Männer sich nur selten ein geneigtes Gehör zu ver- schaffen wissen, bei den schrecklichen Wogen des empörten Meeres, sich finden, und dem Meere und dem Winde Silentium gebieten werden. Wenn man zur Zeit der sanften Ruhe erlernt und überdenkt, was man zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/308
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/308>, abgerufen am 09.05.2024.