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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Manschetten meines Vaters Platz erhalten
-- ich glaube meine Leser haben, unerachtet
des dreygliedrigen Segens, und der langen
Manschetten, die eherhin nicht von köstlicher
Leinwand waren, nichts dagegen.

Nicht eins aus dem Kirchspiele konnte sich
behelfen, ohne von meiner Mutter Abschied
zu nehmen, und keines gieng von ihr ohne
Andachtsröthe (wie die Priesterwittwe sich
ausdrückt) auf den Wangen. Man brachte
die Kinder zu ihr, damit sie sie einsegnen möch-
te, und gesegnete Weiber befragten sie, obs ein
Sohn oder Tochter wäre? Ueber mich, sagte
sie, wollte sie nicht den prophetischen Zügel
schiessen lassen, so gern ich eine Probe ihrer
Kunst aus der ersten Hand gehabt hätte. -- --

Ausser der Lehre von den vier letzten Din-
gen, war sie jetzt über die Lehre von den En-
geln unerschöpflich worden. Der Spruch,
erste Corinther im eilften Capitel der zehnte
Vers: Das Weib soll eine Macht auf dem
Haupte haben, um der Engel willen, war ein
Text, worüber sie sich ausließ, wiewohl ohne
ihn zu zeichnen. Sie zeichnete überhaupt jetzt
keine Spruchstellen mehr. Da sie indessen,
auch selbst als Prophetin, orthodox blieb, und
die Kinder, so man zu ihr brachte, nur zwey-

gliedrig

Manſchetten meines Vaters Platz erhalten
— ich glaube meine Leſer haben, unerachtet
des dreygliedrigen Segens, und der langen
Manſchetten, die eherhin nicht von koͤſtlicher
Leinwand waren, nichts dagegen.

Nicht eins aus dem Kirchſpiele konnte ſich
behelfen, ohne von meiner Mutter Abſchied
zu nehmen, und keines gieng von ihr ohne
Andachtsroͤthe (wie die Prieſterwittwe ſich
ausdruͤckt) auf den Wangen. Man brachte
die Kinder zu ihr, damit ſie ſie einſegnen moͤch-
te, und geſegnete Weiber befragten ſie, obs ein
Sohn oder Tochter waͤre? Ueber mich, ſagte
ſie, wollte ſie nicht den prophetiſchen Zuͤgel
ſchieſſen laſſen, ſo gern ich eine Probe ihrer
Kunſt aus der erſten Hand gehabt haͤtte. — —

Auſſer der Lehre von den vier letzten Din-
gen, war ſie jetzt uͤber die Lehre von den En-
geln unerſchoͤpflich worden. Der Spruch,
erſte Corinther im eilften Capitel der zehnte
Vers: Das Weib ſoll eine Macht auf dem
Haupte haben, um der Engel willen, war ein
Text, woruͤber ſie ſich ausließ, wiewohl ohne
ihn zu zeichnen. Sie zeichnete uͤberhaupt jetzt
keine Spruchſtellen mehr. Da ſie indeſſen,
auch ſelbſt als Prophetin, orthodox blieb, und
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[72/0078] Manſchetten meines Vaters Platz erhalten — ich glaube meine Leſer haben, unerachtet des dreygliedrigen Segens, und der langen Manſchetten, die eherhin nicht von koͤſtlicher Leinwand waren, nichts dagegen. Nicht eins aus dem Kirchſpiele konnte ſich behelfen, ohne von meiner Mutter Abſchied zu nehmen, und keines gieng von ihr ohne Andachtsroͤthe (wie die Prieſterwittwe ſich ausdruͤckt) auf den Wangen. Man brachte die Kinder zu ihr, damit ſie ſie einſegnen moͤch- te, und geſegnete Weiber befragten ſie, obs ein Sohn oder Tochter waͤre? Ueber mich, ſagte ſie, wollte ſie nicht den prophetiſchen Zuͤgel ſchieſſen laſſen, ſo gern ich eine Probe ihrer Kunſt aus der erſten Hand gehabt haͤtte. — — Auſſer der Lehre von den vier letzten Din- gen, war ſie jetzt uͤber die Lehre von den En- geln unerſchoͤpflich worden. Der Spruch, erſte Corinther im eilften Capitel der zehnte Vers: Das Weib ſoll eine Macht auf dem Haupte haben, um der Engel willen, war ein Text, woruͤber ſie ſich ausließ, wiewohl ohne ihn zu zeichnen. Sie zeichnete uͤberhaupt jetzt keine Spruchſtellen mehr. Da ſie indeſſen, auch ſelbſt als Prophetin, orthodox blieb, und die Kinder, ſo man zu ihr brachte, nur zwey- gliedrig

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/78>, abgerufen am 08.05.2024.