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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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manchen Gewissensknoten zu lösen hatte, ehe
sie überwand; geschieht das an meiner Mutter,
die Gewissensängste ergriffen; was will am
Dürren werden! Wer kann dies zu oft wie-
derhohlen? Wer es lieset, der merke drauf! --
Die Krankheit meiner Mutter behinderte sie,
ausserhalb ihrem Hause Amtsverrichtungen
vorzunehmen. Sie kam seit dem Handschla-
ge
nicht mehr aus dem Pastorat; indessen ließ
sie ihre geistliche Priesterhände nicht völlig sin-
ken. Freylich musten sie zuweilen gestützt
werden, wie jenes Priesters, wenn er das Volk
segnen sollte; indessen ward sie nicht laß zu
strafen, zu lehren und zu trösten. Jedes, das
einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu
ihr; jedes, das sich nicht finden konnte, suchte
Rath, im Geistlichen und im Leiblichen.

Eine Besondernheit, noch denkwürdiger,
als die schweren Worte, womit sie sich bela-
stete! Sie hatte das Glück, daß sie einige
verborgene Dinge, als z. E Diebstäle, ans
Licht brachte, die wie eine Pest im Verborge-
nen schlichen. -- Sie sagt' es dem Schuldigen
auf den Kopf zu. Wo sie anklopfte, da ward
aufgethan. -- Ich weiß nicht, schreibt die Prie-
sterwittwe, ob die verschiedene denkwürdige
Träume die Ursache waren, woher sie die ihr

ver-

manchen Gewiſſensknoten zu loͤſen hatte, ehe
ſie uͤberwand; geſchieht das an meiner Mutter,
die Gewiſſensaͤngſte ergriffen; was will am
Duͤrren werden! Wer kann dies zu oft wie-
derhohlen? Wer es lieſet, der merke drauf! —
Die Krankheit meiner Mutter behinderte ſie,
auſſerhalb ihrem Hauſe Amtsverrichtungen
vorzunehmen. Sie kam ſeit dem Handſchla-
ge
nicht mehr aus dem Paſtorat; indeſſen ließ
ſie ihre geiſtliche Prieſterhaͤnde nicht voͤllig ſin-
ken. Freylich muſten ſie zuweilen geſtuͤtzt
werden, wie jenes Prieſters, wenn er das Volk
ſegnen ſollte; indeſſen ward ſie nicht laß zu
ſtrafen, zu lehren und zu troͤſten. Jedes, das
einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu
ihr; jedes, das ſich nicht finden konnte, ſuchte
Rath, im Geiſtlichen und im Leiblichen.

Eine Beſondernheit, noch denkwuͤrdiger,
als die ſchweren Worte, womit ſie ſich bela-
ſtete! Sie hatte das Gluͤck, daß ſie einige
verborgene Dinge, als z. E Diebſtaͤle, ans
Licht brachte, die wie eine Peſt im Verborge-
nen ſchlichen. — Sie ſagt’ es dem Schuldigen
auf den Kopf zu. Wo ſie anklopfte, da ward
aufgethan. — Ich weiß nicht, ſchreibt die Prie-
ſterwittwe, ob die verſchiedene denkwuͤrdige
Traͤume die Urſache waren, woher ſie die ihr

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[70/0076] manchen Gewiſſensknoten zu loͤſen hatte, ehe ſie uͤberwand; geſchieht das an meiner Mutter, die Gewiſſensaͤngſte ergriffen; was will am Duͤrren werden! Wer kann dies zu oft wie- derhohlen? Wer es lieſet, der merke drauf! — Die Krankheit meiner Mutter behinderte ſie, auſſerhalb ihrem Hauſe Amtsverrichtungen vorzunehmen. Sie kam ſeit dem Handſchla- ge nicht mehr aus dem Paſtorat; indeſſen ließ ſie ihre geiſtliche Prieſterhaͤnde nicht voͤllig ſin- ken. Freylich muſten ſie zuweilen geſtuͤtzt werden, wie jenes Prieſters, wenn er das Volk ſegnen ſollte; indeſſen ward ſie nicht laß zu ſtrafen, zu lehren und zu troͤſten. Jedes, das einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu ihr; jedes, das ſich nicht finden konnte, ſuchte Rath, im Geiſtlichen und im Leiblichen. Eine Beſondernheit, noch denkwuͤrdiger, als die ſchweren Worte, womit ſie ſich bela- ſtete! Sie hatte das Gluͤck, daß ſie einige verborgene Dinge, als z. E Diebſtaͤle, ans Licht brachte, die wie eine Peſt im Verborge- nen ſchlichen. — Sie ſagt’ es dem Schuldigen auf den Kopf zu. Wo ſie anklopfte, da ward aufgethan. — Ich weiß nicht, ſchreibt die Prie- ſterwittwe, ob die verſchiedene denkwuͤrdige Traͤume die Urſache waren, woher ſie die ihr ver-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/76>, abgerufen am 07.05.2024.