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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Nur neulich erinnerte mich mein Schwie-
gervater, daß er wegen des Abschiednehmens
mit meinem Vater ein Herz und eine Seele
gewesen! So ganz nicht! Etwas kann
seyn --

Mein Vater haßte armselige Allgemein-
heiten. Wer Abschied nimmt, singt die Me-
lodie des Todes, mancher pfeift sie! --

Herr v. W -- nannte einen kurzen Ab-
schied, der, wie mich dünkt, der beste ist, den
man nehmen kann, einen Schlagflus, einen
feyerlichen Abschied! die Hektik, die sich in
die Zeit zu schicken versteht.

Wer ohne Abschied aus der Gesellschaft
scheidet, oder, wie man sich ausdrückt, sich
unsichtbar macht, hat sich, wie mein Vater
sagt, selbst umgebracht --

Mein Vater war kein Tagwähner, Tag-
färber! Auf Tagezeiten heilt er sehr! So
hab ich ihn nie des Morgens lachen gesehen!
Den Sommer hielt er für den Gelehrten we-
niger zur Arbeit tauglich, als den Winter.
So verkehrt ist die liebe Gelehrsamkeit!
Man sagt, Milton, obschon er blind gewe-

sen,
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Nur neulich erinnerte mich mein Schwie-
gervater, daß er wegen des Abſchiednehmens
mit meinem Vater ein Herz und eine Seele
geweſen! So ganz nicht! Etwas kann
ſeyn —

Mein Vater haßte armſelige Allgemein-
heiten. Wer Abſchied nimmt, ſingt die Me-
lodie des Todes, mancher pfeift ſie! —

Herr v. W — nannte einen kurzen Ab-
ſchied, der, wie mich duͤnkt, der beſte iſt, den
man nehmen kann, einen Schlagflus, einen
feyerlichen Abſchied! die Hektik, die ſich in
die Zeit zu ſchicken verſteht.

Wer ohne Abſchied aus der Geſellſchaft
ſcheidet, oder, wie man ſich ausdruͤckt, ſich
unſichtbar macht, hat ſich, wie mein Vater
ſagt, ſelbſt umgebracht —

Mein Vater war kein Tagwaͤhner, Tag-
faͤrber! Auf Tagezeiten heilt er ſehr! So
hab ich ihn nie des Morgens lachen geſehen!
Den Sommer hielt er fuͤr den Gelehrten we-
niger zur Arbeit tauglich, als den Winter.
So verkehrt iſt die liebe Gelehrſamkeit!
Man ſagt, Milton, obſchon er blind gewe-

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[627/0635] Nur neulich erinnerte mich mein Schwie- gervater, daß er wegen des Abſchiednehmens mit meinem Vater ein Herz und eine Seele geweſen! So ganz nicht! Etwas kann ſeyn — Mein Vater haßte armſelige Allgemein- heiten. Wer Abſchied nimmt, ſingt die Me- lodie des Todes, mancher pfeift ſie! — Herr v. W — nannte einen kurzen Ab- ſchied, der, wie mich duͤnkt, der beſte iſt, den man nehmen kann, einen Schlagflus, einen feyerlichen Abſchied! die Hektik, die ſich in die Zeit zu ſchicken verſteht. Wer ohne Abſchied aus der Geſellſchaft ſcheidet, oder, wie man ſich ausdruͤckt, ſich unſichtbar macht, hat ſich, wie mein Vater ſagt, ſelbſt umgebracht — Mein Vater war kein Tagwaͤhner, Tag- faͤrber! Auf Tagezeiten heilt er ſehr! So hab ich ihn nie des Morgens lachen geſehen! Den Sommer hielt er fuͤr den Gelehrten we- niger zur Arbeit tauglich, als den Winter. So verkehrt iſt die liebe Gelehrſamkeit! Man ſagt, Milton, obſchon er blind gewe- ſen, R r 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/635>, abgerufen am 18.05.2024.