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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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ten. -- Kurz, weder Kaiphas, noch Pilatus,
weder das geistliche, noch das weltliche Ge-
richt, konnte ihn von seiner Märtyrer Den-
kungsart abbringen. Der Tag des Todes er-
schien, und auch der gieng ihm auf, wie alle
andere, ausser daß er, der Luft wegen, die er,
wie er sagte, lange nicht genossen, ein Glas
Wein frühstückte. Es ward zum Todesgang
getrommelt. Fürchterlich! -- er gieng ihn,
da er sich blos wegen der bösen Luft präcavi-
ren zu dürfen glaubte, getrost. Unterwegs
fiel ihm ein Bettler ins Auge! halt! schrie
er -- ich habe gesündiget! Gott erbarme sich
mein, nach seiner grossen Barmherzigkeit!
Sagt' ich nicht, fieng der Geistliche an, der
ihm das Geleite gab, kommt Zeit, kommt
Rath -- Der Märtyrer kam so aus der Fas-
sung, daß er kaum weiter konnte. Der com-
mandirende Officier, der an der armen Seele
des Deserteurs wahren Theil nahm, bewilligte
ihm Zeit und Raum zur Busse, und war eben
im Begriff, ihm den Soldateneid vorlesen
zu lassen, der Geistliche, die zehn Gebote mit
ihm nochmahls kürzlich durchzugehn, und,
wo es die Zeit zuliesse, auch noch die übrigen
Hauptstücke des christlichen Glaubens, als
es sich ergab, daß der verstockte Sünder über

sein

ten. — Kurz, weder Kaiphas, noch Pilatus,
weder das geiſtliche, noch das weltliche Ge-
richt, konnte ihn von ſeiner Maͤrtyrer Den-
kungsart abbringen. Der Tag des Todes er-
ſchien, und auch der gieng ihm auf, wie alle
andere, auſſer daß er, der Luft wegen, die er,
wie er ſagte, lange nicht genoſſen, ein Glas
Wein fruͤhſtuͤckte. Es ward zum Todesgang
getrommelt. Fuͤrchterlich! — er gieng ihn,
da er ſich blos wegen der boͤſen Luft praͤcavi-
ren zu duͤrfen glaubte, getroſt. Unterwegs
fiel ihm ein Bettler ins Auge! halt! ſchrie
er — ich habe geſuͤndiget! Gott erbarme ſich
mein, nach ſeiner groſſen Barmherzigkeit!
Sagt’ ich nicht, fieng der Geiſtliche an, der
ihm das Geleite gab, kommt Zeit, kommt
Rath — Der Maͤrtyrer kam ſo aus der Faſ-
ſung, daß er kaum weiter konnte. Der com-
mandirende Officier, der an der armen Seele
des Deſerteurs wahren Theil nahm, bewilligte
ihm Zeit und Raum zur Buſſe, und war eben
im Begriff, ihm den Soldateneid vorleſen
zu laſſen, der Geiſtliche, die zehn Gebote mit
ihm nochmahls kuͤrzlich durchzugehn, und,
wo es die Zeit zulieſſe, auch noch die uͤbrigen
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es ſich ergab, daß der verſtockte Suͤnder uͤber

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[50/0056] ten. — Kurz, weder Kaiphas, noch Pilatus, weder das geiſtliche, noch das weltliche Ge- richt, konnte ihn von ſeiner Maͤrtyrer Den- kungsart abbringen. Der Tag des Todes er- ſchien, und auch der gieng ihm auf, wie alle andere, auſſer daß er, der Luft wegen, die er, wie er ſagte, lange nicht genoſſen, ein Glas Wein fruͤhſtuͤckte. Es ward zum Todesgang getrommelt. Fuͤrchterlich! — er gieng ihn, da er ſich blos wegen der boͤſen Luft praͤcavi- ren zu duͤrfen glaubte, getroſt. Unterwegs fiel ihm ein Bettler ins Auge! halt! ſchrie er — ich habe geſuͤndiget! Gott erbarme ſich mein, nach ſeiner groſſen Barmherzigkeit! Sagt’ ich nicht, fieng der Geiſtliche an, der ihm das Geleite gab, kommt Zeit, kommt Rath — Der Maͤrtyrer kam ſo aus der Faſ- ſung, daß er kaum weiter konnte. Der com- mandirende Officier, der an der armen Seele des Deſerteurs wahren Theil nahm, bewilligte ihm Zeit und Raum zur Buſſe, und war eben im Begriff, ihm den Soldateneid vorleſen zu laſſen, der Geiſtliche, die zehn Gebote mit ihm nochmahls kuͤrzlich durchzugehn, und, wo es die Zeit zulieſſe, auch noch die uͤbrigen Hauptſtuͤcke des chriſtlichen Glaubens, als es ſich ergab, daß der verſtockte Suͤnder uͤber ſein

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/56>, abgerufen am 07.05.2024.