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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Das war die anhaltende traurige Lage
meiner Mutter, um Minens Willen! -- Ge-
schieht das am grünen Holz -- Die gute
Bußfertige! In ihrem Trostschreiben, das ich
in seiner Länge und Breite mitgetheilt, so wie
sie es in verschiedenen Absätzen, die sonst ihre
Weise nicht waren, an mich erlassen, war
nichts in der ersten Hitze geschrieben. Sie
blieb so, bis in ihren Tod! -- Wer lebt so,
wie er glaubt
? pflegte sie zu fragen, und da-
rauf "das thaten nur die Apostel" zu ant-
worten. Wahrlich! sie lebte, wie sie glaubte.
Sie that, was sie sagte. Sie redete leben-
dig, sie handelte, wenn sie sprach. Jezt war
sie nicht mehr die Sanftfliessende! -- All Au-
genblick schlug sie Wellen. Sie lag nicht still
auf einer Seite. Sie riß das Deckbette.

Etwas über das Gewissen.

Man sey noch so fromm, noch so gut, wer
hat nicht ein Wort, dem er nicht auswiche,
wie meine Mutter, wiewohl meines Vaters
halber: Melchisedech. -- Wer hat nicht eine
Handlung, an die er ungern denkt, und wer
kann auch bey der sorgfältigsten Bemühung,
ein unbeflecktes Gewissen zu behalten, beydes

vor

Das war die anhaltende traurige Lage
meiner Mutter, um Minens Willen! — Ge-
ſchieht das am gruͤnen Holz — Die gute
Bußfertige! In ihrem Troſtſchreiben, das ich
in ſeiner Laͤnge und Breite mitgetheilt, ſo wie
ſie es in verſchiedenen Abſaͤtzen, die ſonſt ihre
Weiſe nicht waren, an mich erlaſſen, war
nichts in der erſten Hitze geſchrieben. Sie
blieb ſo, bis in ihren Tod! — Wer lebt ſo,
wie er glaubt
? pflegte ſie zu fragen, und da-
rauf „das thaten nur die Apoſtel„ zu ant-
worten. Wahrlich! ſie lebte, wie ſie glaubte.
Sie that, was ſie ſagte. Sie redete leben-
dig, ſie handelte, wenn ſie ſprach. Jezt war
ſie nicht mehr die Sanftflieſſende! — All Au-
genblick ſchlug ſie Wellen. Sie lag nicht ſtill
auf einer Seite. Sie riß das Deckbette.

Etwas uͤber das Gewiſſen.

Man ſey noch ſo fromm, noch ſo gut, wer
hat nicht ein Wort, dem er nicht auswiche,
wie meine Mutter, wiewohl meines Vaters
halber: Melchiſedech. — Wer hat nicht eine
Handlung, an die er ungern denkt, und wer
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[46/0052] Das war die anhaltende traurige Lage meiner Mutter, um Minens Willen! — Ge- ſchieht das am gruͤnen Holz — Die gute Bußfertige! In ihrem Troſtſchreiben, das ich in ſeiner Laͤnge und Breite mitgetheilt, ſo wie ſie es in verſchiedenen Abſaͤtzen, die ſonſt ihre Weiſe nicht waren, an mich erlaſſen, war nichts in der erſten Hitze geſchrieben. Sie blieb ſo, bis in ihren Tod! — Wer lebt ſo, wie er glaubt? pflegte ſie zu fragen, und da- rauf „das thaten nur die Apoſtel„ zu ant- worten. Wahrlich! ſie lebte, wie ſie glaubte. Sie that, was ſie ſagte. Sie redete leben- dig, ſie handelte, wenn ſie ſprach. Jezt war ſie nicht mehr die Sanftflieſſende! — All Au- genblick ſchlug ſie Wellen. Sie lag nicht ſtill auf einer Seite. Sie riß das Deckbette. Etwas uͤber das Gewiſſen. Man ſey noch ſo fromm, noch ſo gut, wer hat nicht ein Wort, dem er nicht auswiche, wie meine Mutter, wiewohl meines Vaters halber: Melchiſedech. — Wer hat nicht eine Handlung, an die er ungern denkt, und wer kann auch bey der ſorgfaͤltigſten Bemuͤhung, ein unbeflecktes Gewiſſen zu behalten, beydes vor

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/52>, abgerufen am 08.05.2024.