Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Junker Gotthard wars nicht? Warum
nicht? Daran wird weniger liegen, als an
der Frage: wer es denn sonst gewesen? Ich
will versuchen, beyde Antworten unter einen
Hut zu bringen.

Junker Gotthard hatte in Göttingen
und Königsberg so wenig Aufmunterung zur
heiligen Ehe gefunden, daß ihm vielmehr
seine Trine je länger je schmucker vorkam,
und was ihm den Rest gab, kann wohl die
Art gewesen seyn, wie Tine v. W. ihn bey
seiner ersten Aufwartung begegnete! -- Herr
v. W -- mit ofnen Armen. Frau v. W --
reicht' ihm die Hand! Tinchen nahm sich da-
bey so, als wenn sie nur zum Zusehen da wä-
ren! -- Erbarmung, dies Mittelstück der
Liebe, wenn Erbarmung rechter Art ist, sieht
aufs Unglück, nicht auf die Person, und die
Liebe? sagt ihr, die ihr geliebt habt, hat
nicht jede Liebe einen Götzen, den sie anbe-
tet? Idol, oder Ideal, ist hier nicht weit
auseinander. Alexander bringt das Bild
seiner Mine auf die Welt, und Mine das
Bild des Alexanders. Die Sinnen bringen
nur auf etwas, das schon da ist. Sie de-
cken nur den Tisch, um die fertigen Schüs-
seln aufzutragen, und noch jetzt, wenn gleich

die

Junker Gotthard wars nicht? Warum
nicht? Daran wird weniger liegen, als an
der Frage: wer es denn ſonſt geweſen? Ich
will verſuchen, beyde Antworten unter einen
Hut zu bringen.

Junker Gotthard hatte in Goͤttingen
und Koͤnigsberg ſo wenig Aufmunterung zur
heiligen Ehe gefunden, daß ihm vielmehr
ſeine Trine je laͤnger je ſchmucker vorkam,
und was ihm den Reſt gab, kann wohl die
Art geweſen ſeyn, wie Tine v. W. ihn bey
ſeiner erſten Aufwartung begegnete! — Herr
v. W — mit ofnen Armen. Frau v. W —
reicht’ ihm die Hand! Tinchen nahm ſich da-
bey ſo, als wenn ſie nur zum Zuſehen da waͤ-
ren! — Erbarmung, dies Mittelſtuͤck der
Liebe, wenn Erbarmung rechter Art iſt, ſieht
aufs Ungluͤck, nicht auf die Perſon, und die
Liebe? ſagt ihr, die ihr geliebt habt, hat
nicht jede Liebe einen Goͤtzen, den ſie anbe-
tet? Idol, oder Ideal, iſt hier nicht weit
auseinander. Alexander bringt das Bild
ſeiner Mine auf die Welt, und Mine das
Bild des Alexanders. Die Sinnen bringen
nur auf etwas, das ſchon da iſt. Sie de-
cken nur den Tiſch, um die fertigen Schuͤſ-
ſeln aufzutragen, und noch jetzt, wenn gleich

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0478" n="470"/>
        <p>Junker Gotthard wars nicht? Warum<lb/>
nicht? Daran wird weniger liegen, als an<lb/>
der Frage: wer es denn &#x017F;on&#x017F;t gewe&#x017F;en? Ich<lb/>
will ver&#x017F;uchen, beyde Antworten unter einen<lb/>
Hut zu bringen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Junker Gotthard</hi> hatte in Go&#x0364;ttingen<lb/>
und Ko&#x0364;nigsberg &#x017F;o wenig Aufmunterung zur<lb/>
heiligen Ehe gefunden, daß ihm vielmehr<lb/>
&#x017F;eine <hi rendition="#fr">Trine</hi> je la&#x0364;nger je &#x017F;chmucker vorkam,<lb/>
und was ihm den Re&#x017F;t gab, kann wohl die<lb/>
Art gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, wie <hi rendition="#fr">Tine v. W.</hi> ihn bey<lb/>
&#x017F;einer er&#x017F;ten Aufwartung begegnete! &#x2014; Herr<lb/>
v. W &#x2014; mit ofnen Armen. Frau v. W &#x2014;<lb/>
reicht&#x2019; ihm die Hand! Tinchen nahm &#x017F;ich da-<lb/>
bey &#x017F;o, als wenn &#x017F;ie nur zum Zu&#x017F;ehen da wa&#x0364;-<lb/>
ren! &#x2014; Erbarmung, dies Mittel&#x017F;tu&#x0364;ck der<lb/>
Liebe, wenn Erbarmung rechter Art i&#x017F;t, &#x017F;ieht<lb/>
aufs Unglu&#x0364;ck, nicht auf die Per&#x017F;on, und die<lb/>
Liebe? &#x017F;agt ihr, die ihr geliebt habt, hat<lb/>
nicht jede Liebe einen Go&#x0364;tzen, den &#x017F;ie anbe-<lb/>
tet? Idol, oder Ideal, i&#x017F;t hier nicht weit<lb/>
auseinander. Alexander bringt das Bild<lb/>
&#x017F;einer Mine auf die Welt, und Mine das<lb/>
Bild des Alexanders. Die Sinnen bringen<lb/>
nur auf etwas, das &#x017F;chon da i&#x017F;t. Sie de-<lb/>
cken nur den Ti&#x017F;ch, um die fertigen Schu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;eln aufzutragen, und noch jetzt, wenn gleich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[470/0478] Junker Gotthard wars nicht? Warum nicht? Daran wird weniger liegen, als an der Frage: wer es denn ſonſt geweſen? Ich will verſuchen, beyde Antworten unter einen Hut zu bringen. Junker Gotthard hatte in Goͤttingen und Koͤnigsberg ſo wenig Aufmunterung zur heiligen Ehe gefunden, daß ihm vielmehr ſeine Trine je laͤnger je ſchmucker vorkam, und was ihm den Reſt gab, kann wohl die Art geweſen ſeyn, wie Tine v. W. ihn bey ſeiner erſten Aufwartung begegnete! — Herr v. W — mit ofnen Armen. Frau v. W — reicht’ ihm die Hand! Tinchen nahm ſich da- bey ſo, als wenn ſie nur zum Zuſehen da waͤ- ren! — Erbarmung, dies Mittelſtuͤck der Liebe, wenn Erbarmung rechter Art iſt, ſieht aufs Ungluͤck, nicht auf die Perſon, und die Liebe? ſagt ihr, die ihr geliebt habt, hat nicht jede Liebe einen Goͤtzen, den ſie anbe- tet? Idol, oder Ideal, iſt hier nicht weit auseinander. Alexander bringt das Bild ſeiner Mine auf die Welt, und Mine das Bild des Alexanders. Die Sinnen bringen nur auf etwas, das ſchon da iſt. Sie de- cken nur den Tiſch, um die fertigen Schuͤſ- ſeln aufzutragen, und noch jetzt, wenn gleich die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/478
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/478>, abgerufen am 18.05.2024.