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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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hungert, man laß es zu Bette gehen, wenn
ihm schläfert! -- Man überlaß es sich in
solchen Dingen so sehr, daß man jeden Gän-
gelband verabscheue! Es hat gute Wege.
Wenn der Finger verbrannt ist, wird man
das Licht scheuen, und wenn sich das Kind
den Kopf gestoßen, wird es dem Fall aus-
weichen! -- Die Erziehung geht nicht die-
sen, sondern einen ganz andern Weg! Man
sehe doch, wie Gott den Menschen zu er-
ziehen sich bemüht, da der Mensch sich in
die Unnatur stürzte und in seinem Blute
lag. --

Neigungen, Angewohnheiten schränken die
Macht der vernünftigen Bewegungsgründe,
der Grundsätze ein, und überhaupt, was ma-
chet uns unglücklich in der Welt? Wahrlich
nicht der Mangel der Sache. Der Mensch kann
sich ohn alles behelfen. Selbst ohne die Hof-
nungen der andern Welt kann man gutes thun.
Der Appetit, Freunde! die Neigung zu et-
was, das entweder gar nicht da ist, oder
schwer erhalten werden kann, macht uns un-
glücklich! -- Mensch, du bist ein gebohr-
ner Diogenes! Lerne dich selbst kennen!

Ob und in wie weit der Mückenheld
diese Lektion verdient habe, die ich ihm ge-

lesen,

hungert, man laß es zu Bette gehen, wenn
ihm ſchlaͤfert! — Man uͤberlaß es ſich in
ſolchen Dingen ſo ſehr, daß man jeden Gaͤn-
gelband verabſcheue! Es hat gute Wege.
Wenn der Finger verbrannt iſt, wird man
das Licht ſcheuen, und wenn ſich das Kind
den Kopf geſtoßen, wird es dem Fall aus-
weichen! — Die Erziehung geht nicht die-
ſen, ſondern einen ganz andern Weg! Man
ſehe doch, wie Gott den Menſchen zu er-
ziehen ſich bemuͤht, da der Menſch ſich in
die Unnatur ſtuͤrzte und in ſeinem Blute
lag. —

Neigungen, Angewohnheiten ſchraͤnken die
Macht der vernuͤnftigen Bewegungsgruͤnde,
der Grundſaͤtze ein, und uͤberhaupt, was ma-
chet uns ungluͤcklich in der Welt? Wahrlich
nicht der Mangel der Sache. Der Menſch kann
ſich ohn alles behelfen. Selbſt ohne die Hof-
nungen der andern Welt kann man gutes thun.
Der Appetit, Freunde! die Neigung zu et-
was, das entweder gar nicht da iſt, oder
ſchwer erhalten werden kann, macht uns un-
gluͤcklich! — Menſch, du biſt ein gebohr-
ner Diogenes! Lerne dich ſelbſt kennen!

Ob und in wie weit der Muͤckenheld
dieſe Lektion verdient habe, die ich ihm ge-

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[468/0476] hungert, man laß es zu Bette gehen, wenn ihm ſchlaͤfert! — Man uͤberlaß es ſich in ſolchen Dingen ſo ſehr, daß man jeden Gaͤn- gelband verabſcheue! Es hat gute Wege. Wenn der Finger verbrannt iſt, wird man das Licht ſcheuen, und wenn ſich das Kind den Kopf geſtoßen, wird es dem Fall aus- weichen! — Die Erziehung geht nicht die- ſen, ſondern einen ganz andern Weg! Man ſehe doch, wie Gott den Menſchen zu er- ziehen ſich bemuͤht, da der Menſch ſich in die Unnatur ſtuͤrzte und in ſeinem Blute lag. — Neigungen, Angewohnheiten ſchraͤnken die Macht der vernuͤnftigen Bewegungsgruͤnde, der Grundſaͤtze ein, und uͤberhaupt, was ma- chet uns ungluͤcklich in der Welt? Wahrlich nicht der Mangel der Sache. Der Menſch kann ſich ohn alles behelfen. Selbſt ohne die Hof- nungen der andern Welt kann man gutes thun. Der Appetit, Freunde! die Neigung zu et- was, das entweder gar nicht da iſt, oder ſchwer erhalten werden kann, macht uns un- gluͤcklich! — Menſch, du biſt ein gebohr- ner Diogenes! Lerne dich ſelbſt kennen! Ob und in wie weit der Muͤckenheld dieſe Lektion verdient habe, die ich ihm ge- leſen,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/476>, abgerufen am 18.05.2024.