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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Aus einem Briefe meiner Mutter.

Ich habe, das weißt du, je und in alle
Wege viel aus den Predigten deines Vaters
gemacht; obgleich er nicht viel aus meinem
Gesang, bis er mit Brand heimgesucht ward.
Am liedsten hör' ich, ihn, wenn er eine Casual-
predigt
hält. So ist mir die Predigt: Rich-
tet nicht,
noch immer in den Ohren ein süßer
Schall, und hätt ers bey den Liedern nicht
versehen, dieser Sonntag wäre werth, in Gold
gefaßt zu werden und Edelstein -- Ueber
den Herrn v. G -- hielt er eine Predigt trotz
der: Richtet nicht; indessen war sie nicht
für jedermaun. Sein Text war aus dem ein-
hundert neun und dreyßigsten Psalm und
dessen drey und zwanzigsten und vier und
zwanzigsten Vers; Erforsche mich, Gott,
und erfahre mein Herz, prüfe mich und
erfahre, wie ichs meyne, und siehe, ob
ich auf bösem Wege bin, und leite mich
auf ewigem Wege!
Seine Predigt handelte
vom Verstande und Herzen eines Chri-
sten,
nicht, wie alles ist, sondern wie mans
glaubt, daß es so recht, daß es so gut, so
recht gut ist -- Auf den Glauben kommts
allein an. Mancher der nicht Herr, Herr!
gesagt hat, wird dort! die beschämen, die

Herr,
K 5

Aus einem Briefe meiner Mutter.

Ich habe, das weißt du, je und in alle
Wege viel aus den Predigten deines Vaters
gemacht; obgleich er nicht viel aus meinem
Geſang, bis er mit Brand heimgeſucht ward.
Am liedſten hoͤr’ ich, ihn, wenn er eine Caſual-
predigt
haͤlt. So iſt mir die Predigt: Rich-
tet nicht,
noch immer in den Ohren ein ſuͤßer
Schall, und haͤtt ers bey den Liedern nicht
verſehen, dieſer Sonntag waͤre werth, in Gold
gefaßt zu werden und Edelſtein — Ueber
den Herrn v. G — hielt er eine Predigt trotz
der: Richtet nicht; indeſſen war ſie nicht
fuͤr jedermaun. Sein Text war aus dem ein-
hundert neun und dreyßigſten Pſalm und
deſſen drey und zwanzigſten und vier und
zwanzigſten Vers; Erforſche mich, Gott,
und erfahre mein Herz, pruͤfe mich und
erfahre, wie ichs meyne, und ſiehe, ob
ich auf boͤſem Wege bin, und leite mich
auf ewigem Wege!
Seine Predigt handelte
vom Verſtande und Herzen eines Chri-
ſten,
nicht, wie alles iſt, ſondern wie mans
glaubt, daß es ſo recht, daß es ſo gut, ſo
recht gut iſt — Auf den Glauben kommts
allein an. Mancher der nicht Herr, Herr!
geſagt hat, wird dort! die beſchaͤmen, die

Herr,
K 5
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[153/0159] Aus einem Briefe meiner Mutter. Ich habe, das weißt du, je und in alle Wege viel aus den Predigten deines Vaters gemacht; obgleich er nicht viel aus meinem Geſang, bis er mit Brand heimgeſucht ward. Am liedſten hoͤr’ ich, ihn, wenn er eine Caſual- predigt haͤlt. So iſt mir die Predigt: Rich- tet nicht, noch immer in den Ohren ein ſuͤßer Schall, und haͤtt ers bey den Liedern nicht verſehen, dieſer Sonntag waͤre werth, in Gold gefaßt zu werden und Edelſtein — Ueber den Herrn v. G — hielt er eine Predigt trotz der: Richtet nicht; indeſſen war ſie nicht fuͤr jedermaun. Sein Text war aus dem ein- hundert neun und dreyßigſten Pſalm und deſſen drey und zwanzigſten und vier und zwanzigſten Vers; Erforſche mich, Gott, und erfahre mein Herz, pruͤfe mich und erfahre, wie ichs meyne, und ſiehe, ob ich auf boͤſem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege! Seine Predigt handelte vom Verſtande und Herzen eines Chri- ſten, nicht, wie alles iſt, ſondern wie mans glaubt, daß es ſo recht, daß es ſo gut, ſo recht gut iſt — Auf den Glauben kommts allein an. Mancher der nicht Herr, Herr! geſagt hat, wird dort! die beſchaͤmen, die Herr, K 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/159>, abgerufen am 01.05.2024.